Records Revisited: Guru – Jazzmatazz Vol.1 (1993)

17.05.2018
Das Genre-Crossover war die große Verbeugung des Gang Starr MC vor den Jazzwurzeln der Rap-Musik. Es war jedoch auch eine verpasste Chance und ein Anachronismus in einer sich rasant wandelnden Hip-Hop-Welt.

Auch wenn Funk stets als Quelle Nummer 1 für die frühe Rap-Musik herangezogen wurde, war der Jazz nie weit entfernt. Von Herbie Hancocks »Rockit« (1983) über Run-DMCs und L.L. Cool Js frühe Verweise auf bekannte Jazzinstrumentalisten bis zum Aufstieg von De La Soul, A Tribe Called Quest Arrested Development und den Digable Planets Anfang der 1990er Jahre gibt es massenweise Beispiele, in denen der Rap sich stärker von der Mellowness des Jazz nährte, als von der Grittyness des Funk. Umso verwunderlicher, dass in den USA erst Mitte 1993 ein Album erschien, dass sich selbst als »experimental fusion of Hip-Hop and Jazz« betitelte.

Als Gang Starrs wortgewaltiger MC Guru (aka Keith Elam) Mai 1993 sein kollaboratives Werk »Jazzmatazz Vol. 1« mit verschiedenen Jazzinstrumentalisten, MCs und Jazzvokalistinnen veröffentlichte, hatte die Hip-Hop-Community eigentlich schon die Hochphase des jazzinfizierten Rap hinter sich. Im Westen übernahm mit Dr. Dre und Snoop Dog der G-Funk das Ruder, während im Osten mit dem wild durcheinander gewürfelten Kollektiv Wu-Tang Clan ein neuer, düsterer Hardcore Land gewann. Gurus Experiment wirkte in dieser Entwicklung wie ein Anachronismus.

Wer zu spät kommt…

Da halfen auch keine wohlwollenden Worte des großen Musik- und Hip-Hop-Journalisten Bill Adler auf dem Backcover des Albums. Adler sprach dabei von »Jazzmatazz« als eins der ersten vollwertigen Verbindungen von Hip-Hop und Jazz, nur um gleich im Anschluss ziemlich vollwertige Gegenbeispiele zu nennen. Nicht zuletzt – und diesen Aspekt schnitt Adler nur sehr kurz an – hatte sich in Großbritannien schon seit Mitte der 1980er Jahre eine florierende Szene entwickelt, die Jazz, Soul, Funk, Rap und Dance Music sowohl samplebasiert als auch live von A bis Z durchfusioniert hatte.

Der umtriebige DJ Gilles Peterson hatte 1987 den Namen Acid Jazz dafür etabliert. Auf seinen Labeln Acid Jazz Records und ab 1990 Talkin’ Loud tummelten sich bereits etliche Jahre vor Gurus »Jazzmatazz« Bands wie Brand New Heavies, Galliano und Young Disciples. Guru selbst scheint diese Historie viel stärker verinnerlicht zu haben als Adler, denn sowohl N’Dea Davenport (Sängerin der Brand New Heavies) und Carleen Anderson (Sängerin bei den Young Disciples) sind Gäste auf dem ersten »Jazzmatazz«-Album.

Wenn Guru in irgendeiner Form mit seinem großen Kollaborationsprojekt gescheitert ist, dann an dem Anspruch des Experiments.

1990 hatte mit Ninja Tune Records zudem ein neues britisches Label seinen Betrieb aufgenommen, das in den kommenden Jahren Jazz, Dance und Hip-Hop zu einer neuen Melange verrühren würde, die weit über die einfache Fusion von »Jazzmatazz« hinausgeht.

Das Album wurde dennoch – und womöglich gerade deshalb – in Europa ein kommerzieller Erfolg. Guru landet hier auf bereits bestelltem Feld. Vor allem der pop-affinere Ansatz des britischen Acid Jazz hatte in Europa eine breite Fanbasis entwickelt, die sich nicht mehr nur in Undergroundclubs respektvoll zunickte. Acid Jazz war längst Mainstream. Und »Jazzmatazz« reihte sich dort geschmeidig ein.

There is a thin line between Schein und Sein

Denn wenn Guru in irgendeiner Form mit seinem großen Kollaborationsprojekt gescheitert ist, dann an dem Anspruch des Experiments. »Jazzmatazz« ist nicht nur in seiner Entstehungsform absolut unexperimentell: Die Beats basieren auf meist wohlbekannten Samples (James Brown, Billy Squier u.a.), die Guru vorproduzierte. Über diese spielten die verschiedenen Jazzkünstler ihre Solos, während Guru seine Lyrics schrieb und als Haus-MC mit seiner prägnanten sonoren Stimme durch das Album führte.

»Jazzmatazz« ist auch musikalisch alles andere als experimentell. Genau genommen ist es ein Jazz-Pop-Rap-Album. Das liegt nicht zuletzt an den Mitstreitern, die Guru für sein selbst ernanntes Experiment um sich versammelte. Mit Ronny Jordan, Courtney Pine und den eben erwähnten N’Dea Davenport, sowie Carleen Anderson holte sich Guru mehrere Vertreter des pop-affinen, britischen Acid Jazz an Bord. Branford Marsalis hatte zuvor u.a. mit Sting gespielt. Und selbst die alten Herren des Ensembles – Donald Byrd Lonnie Liston Smith and Roy Ayers – sind vorrangig für ihren äußerst geschmeidigen Jazz der 1970er Jahre bekannt. Auf »Jazzmatazz« klingt mehr 1980er Fahrstuhl-Jazz durch, als dass den Wurzeln des Genres ein respektvoller Besuch abgestattet wird.

Musikalisch gesehen ist »Jazzmatazz« damit eins der weniger spannenden Jazz-Rap-Alben der Ära. Jazz-Deepness klingt anders und findet sich viel eher auf den von DJ Premier im selben Zeitraum produzierten Gang Starr Alben »Daily Operation« und »Hard To Earn« wieder – auch wenn dort ausschließlich mit Samples gearbeitet wird. Interessanterweise sah Guru das selbst anders. Er sprach davon, mit »Jazzmatazz« den Spagat zwischen Hardcore Rap und dem mellow Jazz seiner Kindheit zu schaffen, um seine Gang Starr Street Credibility nicht zu verlieren.

Auf den nachfolgenden Alben der »Jazzmatazz«-Reihe klingt dieser Anspruch nur noch wie ein leeres Versprechen. Die Volumes 2-4 versickerten immer mehr im seichten R&B-Pop, in dem Gurus Rap zum aufgesetzten Feature verkam. Vielleicht war dies auch der Grund, weshalb Gurus Experiment in den Staaten wenig Erfolg hatte. Rap lebte immer noch von Ecken, Kanten und einer gewissen Schmutzigkeit. Guru dagegen hatte ihn mit »Jazzmatazz« maximal rundgeschliffen.