Kamaal Williams will zurück zum rawen Shit

25.05.2018
Gemeinsam mit Yussef Dayes veröffentlichte er vergangenes Jahr mit »Black Focus« einen Fan-Liebling. Jetzt ist Henry Wu aka Kamaal Williams solo zurück. Seine Musik ist von vielen Stilen inspiriert. Von nichts mehr aber als vom Glauben.

Bevor Henry Wu als Teil des Duos Yussef Kamaal vor zwei Jahren einen neuen Jazz-Hype in Großbritannien lostrat, galt er schon als aufstrebende Größe der Südlondoner Produzentenszene. Nach dem Split von Yussef Kamaal geht er jetzt als Kamaal Williams eigene Wege, das Debütalbum »The Return« erscheint auf seinem neuen Label Black Focus. Vor einer gemeinsamen Clubnacht mit Twit One und Alex Barck im Berliner Father Graham redet er über deutsche Autos, die Veränderungen in London und den Islam.

Heute Abend wirst du unter anderem mit Twit One auftreten, einem der begabtesten Beatmaker der deutschen Szene. Beschäftigst du dich viel mit Sachen, die aus Deutschland kommen?
Kamaal Williams: Ja, Tim und ich sind gute Freunde. Wir haben auch schon eine Platte zusammen aufgenommen, »27 Karat Years«, in Düsseldorf bei Elektro Müller. 2015 war das.

»Die arabische Sprache klingt für mich nach Musik. Und sie sieht für mich nach Musik aus.«

Kamaal Williams
Tim hat mich in die Sachen von Retrogott Suff Daddy und dieser ganzen Crew eingeführt. Natürlich bin ich auch ein großer Fan von Max Graef, Glenn Astro und so vielen anderen. Hier in Deutschland bin ich echt in Einklang mit der Musik-Szene, speziell mit Tim und Max. Max Graef ist einer meiner Lieblingskünstler überhaupt. Er ist so vielseitig. Unsere Ansätze sind ähnlich – wir haben beide eine Band, wir sind beide Produzenten. Heute wird außerdem Alex Barck von Jazzanova auflegen. Jazzanova war eine wichtige Inspiration für mich als Heranwachsenden. Sie waren die ersten, die außerhalb von UK Broken Beat gemacht haben.

Was ist das Besondere an der Szene in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern?
Kamaal Williams: Da ist so viel Leidenschaft, Zielstrebigkeit und Detailverliebtheit, wenn es um das Produzieren von Musik geht. Vielleicht ähnlich zu der Art, wie die Deutschen Autos bauen. Sie machen die besten Autos, allein schon wegen dieser Liebe zum Detail. Ich selbst fahre einen BMW.

Einen 3er?
Kamaal Williams: Klar.

»The Return« könnte man als dein erstes Solo-Album bezeichnen. Ist für dich das Album klassischerweise der große künstlerische Ausdruck, im Gegensatz zu EPs und Singles?
Kamaal Williams: Ich liebe es, an Alben zu arbeiten. Mein erstes Album war ja das Yussef-Kamaal-Album, und für mich ist das hier die Fortsetzung davon. Bei der Art, wie die Songs komponiert und aufgenommen sind, macht nur das Albumformat Sinn. Während meine anderen Produktionen, die EPs und Singles, eher für die Clubs sind. Wie ich hier mit einer Band die Songs schreibe, so etwas funktioniert für mich nur in Albumform, ich könnte keine Single veröffentlichen. Ich liebe diesen Entstehungsprozess des Albums. Es ist eine großartige Art, sich mit den Musikern in meiner Band zu verbinden. In der Zeit, in der das Album entstand, sind wir wirklich sehr stark zusammengewachsen.

In den letzten Jahren erfuhren in den USA im Jazz verwurzelte Künstler einen Hype, was Jazz einen neuen Auftrieb verlieh. In Großbritannien wirst du als einer der Pioniere einer ähnlichen Bewegung wahrgenommen. Woher kommt das allgemeine Interesse an dieser Musik deiner Meinung nach?
Kamaal Williams: Ich glaube, dass das immer da war. Das einzig Neue ist, dass es jetzt eine neue Generation von Musikern gibt, die Jazz wiederentdecken. Einer der Gründe ist vielleicht, dass es inzwischen so viele DJs, Produzenten und Beatmaker gibt, dass der Markt ausgereizt ist. Alle wollen DJ, Beatmaker oder MC sein, alle hängen an Ableton. Das musikalische Können eines Instrumentalisten ist inzwischen wirklich etwas Besonderes in einer Zeit voller Technologie und Social Media. Da kommt etwas daher, das total altmodisch hergestellt wurde, ein Saxophon zum Beispiel. Wenn man dann aber einen 18-jährigen es spielen und in einen neuen Kontext setzen sieht, macht es das zu etwas Besonderem. Die Leute suchen nach rohen Talenten.

War das auch dein Weg? Genug zu haben vom Überproduzierten und sich als Instrumentalist einen Ausweg suchen?
Kamaal Williams: Ich hatte immer eine Band, mit der ich spielte. Mein Traum war immer, ein Jazz-Funk-Album zu machen, inspiriert von den Herbie-Hancock-Alben der 70er. Das sind für mich die größten Kunstwerke, die wir haben. Irgendwann, nachdem ich viel House und HipHop produziert hatte, wollte ich einen Wechsel, wollte zurück zu den rohen Elementen und diesen Traum verwirklichen, ein Album zu machen.

Du beziehst dich oft auf London, wenn es um deine Identität und deinen Sound geht. London, speziell der Osten und der Süden, hat in den letzten Jahren gewaltige Veränderungen erfahren. Gentrifizierung und Verdrängung sind Alltag, in der elektronischen Musik-Szene trauert man Clubs hinterher, die verschwinden mussten. Wie sieht das in deiner Szene aus, betrifft das auch dich und die Menschen um dich herum?
Kamaal Williams: Ich lebe schon mein ganzes Leben in Peckham im Südosten. Ich habe die Veränderung gesehen, und sie ist unvermeidlich. Natürlich gehen damit negative Dinge einher, aber musikalisch, kreativ sorgt dieser Zustrom von Leuten aus der ganzen Welt nach Peckham für viele interessante Dinge. Natürlich gibt es Nebeneffekte – Leute können sich ihre Wohnungen nicht mehr leisten. Auch für mich ist es dort inzwischen sehr teuer. Aber das ist einfach der Lauf der Dinge, man kann da nicht viel machen, es passiert sowieso.

Es gibt also erstmal einen großen Input.
Kamaal Williams: Ja, einen wirklich großen Input. Viele Leute kommen von außen rein und schaffen Dinge, vieles davon ist wirklich großartig, manches nicht so. Wir werden sehen, was dabei herauskommt. Ich glaube, es ist wichtig, sich an die Künstler zu erinnern, die dort von Anfang an waren. Leute wie ich, wie Yussef Dayes, wie Mansur Brown, der noch in diesem Jahr sein Album auf Black Focus veröffentlichen wird: Wir sind alle aus Südlondon, dort geboren und aufgewachsen. Mein Großvater kam schon aus Südostlondon, also war mein Vater dort verwurzelt, meine Mutter ist Immigrantin und kommt aus China. Wir sind stark mit beiden Aspekten Südlondons verbunden, denn es ist auch ein migrantisch geprägter Stadtteil. Das macht Peckham aus: Peckham besteht aus Westafrika, Nordafrika, Asien und der Karibik. Ein Einwanderer zu sein, bedeutet, aus Peckham zu sein.

Doch inwiefern verändert es sich? Kannst du erläutern, was du mit positivem und negativem Input meinst?
Kamaal Williams: Das Negative ist, dass die Dinge, die in die Gegend kommen, nicht unbedingt für die Menschen vor Ort sind. Sie sind für die neuen Leute. Zum Beispiel irgendwelche Galerien: Sie zielen nicht auf die lokale Community, denn sie sind sehr teuer. Das Essen in den neuen Restaurants ist sehr teuer. Das ist also etwas, das die lokale Bevölkerung nicht einlädt. Auf der anderen Seite können diese Galerien, die Cafés und Restaurants, den Bewohnern Jobs verschaffen. Wer weiß also schon, ob das gut oder schlecht ist? Ich kann es nicht beurteilen.

Unter dem Namen Henry Wu zierte ein asiatisches Schriftzeichen dein Auftreten, eine Hommage an die Herkunft deiner Mutter. Seit Yussef-Kamaal-Zeiten sind es arabische Schriftzeichen. Was hat es damit auf sich?
Kamaal Williams: Ich bin Muslim seit sieben Jahren. Seitdem bin ich verliebt, nicht nur in den Islam, sondern auch in die arabische Sprache. Als Jugendlicher war ich Graffiti-Künstler in Peckham und Kalligraphie und Typographie haben mich immer fasziniert. Genauso war es schon mit chinesischer Kalligraphie. Die arabische Sprache wird mit einem bestimmten Flow geschrieben. Nicht nur der Sound der Sprache, auch die Art, wie sie geschrieben wird, hat einen bestimmten Rhythmus. Das hallt in mir als Musik nach – die arabische Sprache klingt für mich nach Musik. Und sie sieht für mich nach Musik aus, wegen diesem Flow. Wenn wir zusammen live spielen, geht es auch immer um den Flow, darum, die Dinge geschehen zu lassen. Für mich ist die arabische Schrift die visuelle Repräsentation der Musik. Die Kalligraphie auf dem Album stammt von einem chinesischen Muslim namens Haji Noor Deen. Sein Stil ist eine Mischung aus asiatischer und arabischer Kalligraphie. Wenn jemand malen sollte, was wir spielen, wäre es genau das. Wenn man sich die Buchstaben anschaut, die Rundungen, wie sie durch einander hindurch gehen, diese Kommunikation der Buchstaben ist so wie die Kommunikation der Band.

Was inspiriert dich am Islam? Hat es etwas mit islamischer Mystik zu tun?
Kamaal Williams: Ich glaube, dass die Musik ein Geschenk ist. Die Urheberschaft liegt nicht bei mir, ich bin niemand besonderes. Ich schreibe das dem Schöpfer zu. Der Schöpfer hat uns allen ein Geschenk gegeben. Alle haben eine Gabe, die uns demütig bleiben lässt. Denn wenn du dich selbst zu sehr liebst, zerstörst du sich am Ende nur selbst. Wir sind alle unperfekt. Ich mag es nicht, mich als den Größten darzustellen, das bin ich nicht. Gott ist der Größte, und er hat mir eine kleine Gabe gegeben. Wenn ich so ehrlich bin, zu wissen, dass das ein Geschenk ist, kann ich souverän genug sein, es mit anderen zu teilen. Denn es ist nicht von mir, sondern von Gott. Das ist mein Glaube, und deshalb bin ich, wenn ich Musik mache, völlig frei. Das ist der beste Weg, es zu teilen: Auf ehrlich Weise, aus dem Herzen. Sich keine Gedanken darum zu machen, wie es klingen sollte oder ob es wie Jazz sein sollte oder Lo-Fi oder nach 70ern zu klingen hat. Lass es einfach raus: Es ist, was es ist. Versuch es nicht zu etwas zu machen, das es nicht ist.

Dieser Beitrag ist Teil des Themenschwerpunkts

Britischer Jazz

Unter dem Themenschwerpunkt »British Jazz« fassen wir Beiträge zur Jazzmusik aus Großbritannien zusammen.

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