The Last Poets – Nichts erfunden

25.10.2018
Vier Wochen nach dem Tod des Bürgerrechtlers Martin Luther King Jr. haben sich The Last Poets gegründet. Ihr kreatives Schaffen ist eine Art Initial für das, was wir heute »Hip-Hop« nennen. Wir trafen sie zu einem sehr spannenden Interview.

Es sollte bloß kein Missverständnis entstehen, deswegen nochmal in aller Klarheit: The Last Poets sind vielleicht die wirkungsmächtigste Popgruppe, die hierzulande kaum einer kennt. In den USA ist das wohlgemerkt vollkommen anders. Dort sind sie Legenden und Helden. Als sich die Gruppe 1968 formierte, vier Wochen nachdem Martin Luther King ermordet wurde, konnte noch keiner ahnen, welche Reichweite ihr Wirken haben sollte. Der lose Zusammenschluss von jungen afroamerikanischen Männern, deren Kick-Off bei einem (heute würde man es wohl so nennen) Poetry Slam stattfand, hat Rap maßgeblich beeinflusst – sicherlich Rap als Ausdrucksform des afro-amerikanischen Lebens in den USA konstituiert. Taktgeber waren Trommeln, meist leichte, selten komplexe Rhythmen, zu diesen trugen schon länger – mindestens seit den 1940er Jahren – Männer ihre Texte vor. Auch in der Beat-Literatur (»beat« bedeutete hier eher ›vom Leben geschlagen sein‹) war so mancher Rhythmus vorgegeben worden, doch der revolutionäre Twist der (einfach wie heroisch genannten) Last Poets bestand darin, das musikalische Potenzial in der Literatur und das poetische in der reduzierten Musik zu erkennen. Nicht ohne Grund berufen sich erst die MCs des frühen Hip-Hop auf die Gruppe, dann Rap-Größen wie Nas oder Common In den letzten zwei Jahrzehnten gab es dementsprechend auch einige Kooperationen mit genannten, aber auch mit Ty Dead Prez oder DJ Premier

An einem warmen Sommerabend in Berlin während des PopKultur-Festivals konnte man Abiodun Oyewole und Umar Bin Hassan nun erleben. Eine äußerst seltene Gelegenheit. Die beiden Mitglieder der ersten Phase reisen mit ihren jeweils über 70 Jahren äußerst selten. An ihrer Seite der Percussionist Baba Donn Babatunde. Oyewole und Bin Hassan sind auch im hohen Alter und zum fünfzigsten Jubiläum Meister der Worte. Während andere Musiker*innen hohle Phrasen aus dem Pressetext dreschen und stromlinienförmig durch Pressetage gleiten, heißt jeder Satz und jedes Wort bei The Last Poets auch Verpflichtung. Viele Sätze sind druckreif, einige sind Manifeste. Hier wird nicht bloß gesprochen, sondern geredet, erzählt, aufgefordert, hinterfragt, gepredigt, wehmütig zurückgeblickt und verbittert nach vorne geschaut, resümiert, gelobt und zum Teufel geschickt.

Derweil man an den Worten und der Ausstrahlungskraft gefallen findet, darf man aber nicht vergessen, dass so manches Thema vermutlich nicht sonderlich gut bei den Herren aufgehoben ist. In den letzten Jahrzehnten sind auch antisemitische und homophobe Töne aufgekommen, die Vita ist alles andere als makelfrei. Besonders wurde das klar, als beim Panel Lydia Lunch – ihres Zeichens Mitbegründerin der No-Wave-Bewegung – im Publikum saß. Im besten Falle nennt man das ein Spektakel pulsierender political incorrectness. Es waren damals halt andere Zeiten in den Sechzigern, den Siebzigern, und Protest gegen die Zustände nicht zartbesaitet. Mit aller Härte hat man gegen »The Man« protestiert. Da ist manches auf der Strecke geblieben, was im Jahr 2018 von progressiven Kräften als normale Form der Kommunikation gepflegt wird. Hier achtet keiner auf der Bühne darauf, niemanden mit seinen Worten zu verletzen.

Hier ist nun also die Essenz der Begegnung mit The Last Poets. Wir haben die Statements von Abiodun Oyewole und Umar Bin Hassan zu bestimmten Themenbereichen hier gebündelt und publizieren sie unkommentiert. Dann mal rein in die Welt der Last Poets.


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Abiodun Oyewole: Am 4.4.1968 habe ich meinen Verstand verloren. Ich war fertig mit der Welt. An dem Tag als Martin Luther King ermordet wurde, wollte ich mir einfach eine Pistole besorgen und white people auf der Straße erschießen gehen. Ich verstand nicht – und verstehe bis heute nicht – wie man diesen Mann, dessen Agenda Liebe, Frieden und Gewaltlosigkeit war, ermorden konnte. Wie einen Hund. Seine Lehren berührten mich. Ich hingegen war anders erzogen worden. Mir wurde beigebracht, dass die Hand, die dich verletzen möchte, gebrochen werden muss.Doch auf Anraten von David Nelson, einer der Mitgründer, habe ich mich darauf eingelassen, dass mein Mund die Waffe wurde, meine Worte die Patronen. Das war die Grundidee der Last Poets
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David Nelson hat mich einfach für einen Poetry-Wettbewerb angemeldet. Am 9.5.1968 stand ich in Harlem, ich Söhnchen aus Queens, und hatte Angst. Denn in Harlem sind die blacks und die nigger tough. Das sah ich jeden Sonntag, denn unsere Heimkirche war in Harlem. Ich war fasziniert von der Arroganz. Sie trugen Kashmir-Jacken und Angora-Hüte, sie redeten als wäre man weniger wert als Dreck unter dem Fingernagel. Das war die Energie in Harlem. Und um da bestehen zu können, entwickelte ich meine Arbeitsweise, die ich bis heute behalten habe – auch auf der neuen Platte. Observieren, Verstehen, Ausdrücken. Ich habe ja nichts erfunden, ich nahm die Welt wie sie war und drückte das aus. Ein Poet erzählt niemandem was Neues, viel mehr öffnet er nur die Türen zu den Wahrheiten dieser Welt. Die Menschen besitzen die Wahrheit und sehen, was ich beschreibe jeden Tag. Aber niemand hat ihnen gesagt, dass es sich lohnt hinzuschauen.

Ich habe ja nichts erfunden, ich nahm die Welt wie sie war und drückte das aus.

Abiodun Oyewole
Umar Bin Hassan: Ich kam zur Kraft der Worte als ich 8 Jahre alt war. Ich war ein Schuhputzer-Kind und polierte das Leder auf der Straße. In der gleichen Straße arbeitete ein kleiner motherfucker, der zusätzlich noch Magazine oder Zeitungen verkaufte. Ich wollte den reichen Leuten und vor allen Dingen den Frauen zeigen, dass ich der »real deal« bin und machte Werbung. Doch mein Weg war erstmal ein anderer. Ich machte Reime, ich ersann Claims. Das kam an. Als ich 18 Jahre alt war, arbeitete ich noch in Ohio, wo ich herkomme, sowohl in der Mühle, als auch als Security-Mitarbeiter. Es muss 1969 gewesen sein, da kamen The Last Poets das erste Mal in die Stadt. Ich stand da als Chef der Security an dem Tag, zwei Knarren in der Hose. Ich hörte sie und dachte: ›Da muss ich mitmachen.‹ Ich ging mit den Knarren, breitbeinig, zu Abiodun und fragte ihn, wie ich mitmachen könne: »Komm nach Harlem.« Auf einmal ging mir doch die Muffe. Trotzdem verkaufte ich den Plattenspieler meiner Schwester, fuhr mit dem Greyhound nach New York und suchte dieses Harlem.

Abiodun Oyewole:Als Band haben wir nie zum Krieg gegen die Weißen aufgerufen, da wäre ich gerne genau. Im Mittelpunkt unseres Schaffens stand das Vereinen der black community, wir wollten awareness bei unseren Leuten schaffen. Als wir das Wort »nigger« benutzten kamen einige zu uns und meinten, wir würden black people beleidigen. Vollkommener Unsinn. Wir beleidigten die house slaves, die nigger, die Schwarzen, die sich dem System total ergeben hatten – ein Virus in der Community. Es war eine literarische Figur. Heute bricht es mir das Herz, es heißt mittlerweile immer: nigger hier, nigger da. Das ist unachtsam. Bei uns stand ein Gedankenkonstrukt dahinter. Vom nigger zum stolzen schwarzen Mann!

Umar Bin Hassan: Man muss sagen, dass wir jeden outniggeret, wie wir. Wir haben nigger-Rekorde gebrochen. Ich war ein harter Typ, dachte ich zumindest. Deswegen sagte ich »Fuck, Fuck, Fuck« und sowieso alles. Mir doch egal. Aber ich nutzte das Wort auch um eine Figur zu schaffen, die einfach unschlagbar ist. Der biggest white nigger der rumlief war John McCain. Der hat den Vietnamesen gezeigt, was nigger-energy bedeutet. Und dann hat er das noch allen im Senat gezeigt. Das ist natürlich auch beeindruckend.


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Abiodun Oyewole:Jeder der Poets hatte einen eigenen FBI-Agenten. Wir wurden beobachtet und verfolgt. Ich habe meinen Agenten im Gefängnis kennengelernt. Doch musste er sich mir vorstellen. Und er beobachtete mich ab 1968. Weil ich »kontroverse und subversive Sachen« gesagt habe. Ich saß im Gefängnis, weil ich den Ku-Klux-Klan ausgeraubt habe. Ich war 1970 der Mitbegründer der Yoruba-Gesellschaft am College, das ich damals besucht habe. Es lag in North Carolina. Die originale nigerianische Sprache, Kultur und Religion standen im Vordergrund unseres Schaffens. Dazu gab es noch eine Aschanti-Gesellschaft an der Universität. Das Interesse an der eigenen Herkunft stieg – und gleichzeitig war es ein guter Platz zum Planen. Nachdem wir in der Gruppe diskutiert hatten, wie man zivilen Ungehorsam leisten kann und darauf zwei in den Knast gekommen sind – weil sie bei einem Überfall verpfiffen wurden – wollte ich ihre Kaution zahlen. Dafür musste ich halt selbst einen Überfall planen – ich besorgte mir eine Waffe. Außerdem lernten wir den SDS (Students for a Democratic Society) kennen.

»Ich saß im Gefängnis, weil ich den Ku-Klux-Klan ausgeraubt habe.«

Abiodun Oyewole
Das waren weiße Jungs, die komplett wahnsinnig waren. Die haben Bomben gebaut und Ähnliches. Ich stand zwei Tage vor meinem geplanten Überfall aus Versehen an der Seite einer Ku-Klux-Klan-Parade. Der Scheiß ist nicht normal, wenn du es live siehst. Da stand ich am Rand und die Leute vom örtlichen SDS schmissen Ziegelsteine auf die Wichser. Ein bärtiger, weißer Typ hämmerte einen dicken Stein gegen den Kopf von einem KKK’ler und die weiße Mütze wurde rot. Jedenfalls dachte ich da: ›Scheiß auf den Überfall. Ich zieh jetzt einfach die fucking nazis ab.‹ Doch die SDS-Jungs haben mir erzählt, wo die Heimstätte des Klans sei und vorgeschlagen, einfach alles nieder zu brennen. Ich hatte ja noch eine 357‘er Magnum vom Überfall. Das ist eine schwere, gemeingefährliche Waffe. Der Rückstoß hat mich fast meinen Arm gekostet. Ich bin mit einem Kumpanen hingefahren und uns wurde der Fluchtweg versperrt von einem Pepsi-Truck. Als die uns black guys erblickten, schossen sie. Bis ich einen Schuss aus dem Revolver abgab – da war Ruhe im Stall. Ich kam ins Gefängnis wegen Waffenbesitz und noch anderem Kram. Und während ich in meiner Zelle versauerte, kam unsere Platte im Sommer 1970 raus. Und stieg in den Billboards ganz nach oben. Ich wusste von nichts, bis ein Zellenkumpane immer wieder »New York, New York – The Big Apple« sang. »Woher kennst du das? Das ist MEIN Song, Bruder!« – »Quatsch Alter. Das ist Platz Eins, du musst verrückt sein, Mann.« Doch plötzlich ging es uns beiden auf. Sie hatten die Platte veröffentlicht und ich saß im Gefängnis. Dieser Bruder heulte plötzlich wie ein Schlosshund. Er wiederholte immer wieder, dass ich sein Star sei. Stars sind jedoch im Gefängnis nicht gewünscht, sondern gefürchtet. Erst als ich entlassen wurde, konnte ich feiern.

Abiodun Oyewole:Das Konzept von »Black Power« wird immer falsch verstanden. Mein Vater lebte nach einem Black Power-Gedanken: Man muss sich alles selbst aufbauen können. Das klingt seltsam, aber das ist ja die Grundidee von Black Power, nämlich Unabhängigkeit von den Strukturen des weißen Mannes zu sein. Mein Vater besorgte für uns ein Feld. Und ein Feld muss beackert werden. Deswegen wachten wir jeden Tag um 5:30 Uhr auf, um nach Long Island zu fahren. Niemand wollte bei mir übernachten, da jeder wusste, was das bedeutete: Früh Aufstehen und vor der Schule noch arbeiten. Ich habe aber Handwerk und Landwirtschaft gelernt. Ich habe von meinem Vater, den ich wegen seines Regimes aus Disziplin gehasst habe, alles gelernt – und vor allen Dingen: Stolz sein auf das Geschaffene. Deswegen bin ich (bis auf die Zeit im Gefängnis) nicht weiter abgerutscht. Wer seinen Lebensunterhalt mit Kartoffel ernten verdient hat, der weiß, was es bedeutet, alles selbst machen zu müssen. Ein slave ohne master – da müssen wir black people durch.

Abiodun Oyewole:Die Verbindung mit Rocksteady und Roots und Dub hätte eigentlich von ehedem passieren sollen. Ich verstehe nicht, wie wir immer so blind sein konnten. Reggae ist der Inbegriff von Rebellen-Musik und wir machen Rebellen-Poesie. Neben der Tatsache, dass es natürlich sehr gut klingt, ist die Untermauerung unserer Aussagen auf der sonischen Ebene das wirklich interessante. Du musst wissen: Wir waren in London beim Release. Und da standen überall junge Frauen und Männer, black guys und white guys. Sie feierten das. Das war ein gutes Gefühl, auch außerhalb der Staaten verstanden zu werden.

The Last Poets
Understand What Black Is
Studio Rockers • 2018 • ab 37.99€
Umar Bin Hassan: Abiodun sagt, es war eine Verbindung, eine Hochzeit. Ich sag aber auch, dass eine Ehe sich erstmal finden muss. So war es in diesem Falle. Die Musik neigt dazu die Poesie zu übervorteilen – oder noch schlimmer, sie als etwas Größeres zu verkaufen als sie wirklich ist. Wir mussten also erstmal verstehen, wie die Brüder in England so ticken. Ich gebe gerne zu: Ich bin immer noch nicht voll eingestiegen. Die Arbeit, die unseren jamaikanischen Brüder in den letzten Jahrzehnten geschaffen haben, die muss erstmal aufgearbeitet werden. Jamaika ist nicht die USA, you know, man… Die Platte ist auf allen Ebenen ein ›work in progress‹: Allein der Titel ist so tief. Wie soll man verstehen, was black ist? In den letzten Jahren wurden immer mehr Weiße black – mit allem, was dazugehört. Wir haben auf unsere alten Tage angefangen über die Menschheit zu reden. Denn »Black« ist nur eine Kategorie, die funktioniert, weil wir als Menschen andere Menschen urteilen. Schwarz ist der Ausgangpunkt für alles. Vorher war alles schwarz – wir Menschen haben die Farbe und das Licht gebracht. Diese Platte ist eine Neugeburt: aus dem Schwarzen in die Welt. Understand what Black is, brother!


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