Records Revisited: King Crimson – In The Court Of The Crimson King (1969)

10.10.2019
Die Platte, die dem Prog-Rock zur Geburt verhalf: Vor 50 Jahren machte King Crimson auf ihrem Debütalbum vor, wie man im 6/8-Takt rockt, mischte Jazz und Klassik in die Arrangements und läutete apokalyptisch das Ende der Sechziger ein.

Die Publicity im Vorfeld war schon mal nicht schlecht gewesen. Als Vorband der Rolling Stones zu spielen, erwies sich fast zwangsläufig als Karrierebeschleuniger. Die Newcomer King Crimson hatten jedenfalls ein durchaus beachtliches Publikum vor sich, als sie am 5. Juli 1969 im Hyde Park vor mehreren hunderttausend Zuschauern spielten.
Entsprechend hoch dürften die Erwartungen an das Debütalbum gewesen sein, mit dem sich King Crimson drei Monate später in den Plattenläden vorstellten. Und lieferten. Angefangen bei der selbst für die 1960er Jahre schrillen Ikonografie. Ein gemaltes Gesicht, das die komplette Vorderseite des Covers beansprucht, gehalten in fleischigen Rosa- und kränklichen Blautönen, mit angstvoll aufgerissenen Augen, einem zum Schrei weit geöffneten Mund, der den Blick auf Zähne, Zunge und Zäpfchen freigibt, und beachtlichen Nasenlöchern. Nicht zu vergessen auf der Rückseite das zugehörige Ohr. Der Schrei wollte allem Anschein nach gehört werden. Oder der Schreiende ist seinerseits jemand, der hört.

Ein Schrei auch der Eröffnungssong »21st Century Schizoid Man«. Ominöse Mellotron-Klänge am unteren Rand des Hörspektrums, die an verstimmte Orgeltöne denken lassen, geben einen kurzen, obskuren Vorgeschmack. Dann setzt der eigentliche Song ein mit diesem in dreckigster Metal-Manier sägenden Riff, bei dem Gitarre und Saxofon unisono verzerrt von Unheil künden.

In dieser frühen Stunde des Prog-Rock bestand die Leistung von King Crimson darin, das zu tun, was gute Musik immer tut: Dinge kombinieren, die sich bei anderen Kollegen bewährt haben, und daraus etwas in der Form noch nicht Erprobtes machen.

Verzerrt ebenso der Gesang von Greg Lake, zugleich Bassist der Band, der sich im Jahr darauf in Richtung Emerson, Lake and Palmer verabschieden sollte. Im Text ist von Kriegsgräueln wie Napalm die Rede. Summer of Love geht anders. Dazu knappstes Staccato-Gereiße vom Gitarristen und King Crimson-Kopf Robert Fripp. Bis erneut der Riff einsetzt, wuchtig, aber nicht bombastisch. Selbst der rhythmisch frickelige 6/8-Mittelteil mit Fripps zugänglich atonalem Gitarrensolo bleibt immer elegant dynamisch, was insbesondere der federnden Jazz-Spielweise des Schlagzeugers Michael Giles zu verdanken ist, dessen Verdienste gar nicht hoch genug zu schätzen sind, auch wenn spätere King Crimson-Trommler mit mehr Druck und Pyrotechnik zu Werk gehen sollten.

Der Song ist zum Aushängeschild des Albums geworden, gab er doch die Richtung vor, in die sich die Rockmusik im folgenden Jahrzehnt entwickeln sollte. Eine Entwicklung, die rückblickend nicht immer die schönsten Blüten treiben sollte. In dieser frühen Stunde des Prog-Rock bestand die Leistung von King Crimson darin, das zu tun, was gute Musik immer tut: Dinge kombinieren, die sich bei anderen Kollegen bewährt haben, und daraus etwas in der Form noch nicht Erprobtes machen. Dadurch, dass King Crimson sowohl improvisierend als auch nach fast akademischem Vorbild komponierend vorgingen, tonale und atonale Passagen einerseits und rhythmisch gerade wie ungerade oder zumindest ungewohnte Taktmaße andererseits selbstbewusst vermengten, machten sie vor, dass da im Rock jenseits des Blues-Schemas noch viel möglich war.
Und sie haben mit ihren Ergebnissen auf »In The Court Of Crimosn King« die letzten 50 Jahre ziemlich vorbildlich überstanden. »21st Century Schizoid Man« hat sich als Chiffre in die Popmusik gebrannt. Kanye West etwa samplete den Song 2010 für seinen breitbeinigen Hit »Power«, und der japanische Gitarrenschamane Keiji Haino benannte sein erstes Drehleier-Soloalbum von 1995 in parodistischer Manier »21st Century Hard-Y-Guide-Y Man« – harter Stoff mit zum Teil maximaler Verzerrungs- und Dissonanzendichte.

»21st Century Schizoid Man« hat sich als Chiffre in die Popmusik gebrannt. Kanye West etwa samplete den Song 2010 für seinen breitbeinigen Hit »Power«.

Darüber könnte fast in Vergessenheit geraten, dass der Rest der Platte keinesfalls weniger bemerkenswert ist, bloß weniger heftig rockend. Mit dem flötengetragenen Folk-Song »I Talk To The Wind« haben sie einen Mitsing-Hit in ihren Kanon eingefügt, der noch aus der Zeit stammt, als Robert Fripp mit Michael Giles und dessen Bruder Peter die kurzlebige und eher mäßig erfolgreiche Band Giles, Giles and Fripp betrieb. Das Material von damals war jedoch stark genug, um zum Teil in spätere Nummern eingearbeitet zu werden. Wie King Crimson überhaupt gern ihre Songs in suitenartige Gebilde teilten und den Instrumentalparts eigene Titel gaben.
»Moonchild«, mit zwölf Minuten das längste Stück des Albums, bringt wiederum luftige Psychedelik in Songgestalt und in den Raum hinein horchenden Free Jazz zusammen. In seiner instrumentalen zweiten Hälfte wird daraus ein wunderbar filigranes Duett von Fripp und Giles, bei dem beide sich als Meister der Stille behaupten. Von wegen Prog-Rock muss beim Überbietungswahn immer ganz vorn dabeisein.

King Crimson
In The Court Of The Crimson King 50th Anniversary Edition
Panegyric • 2019 • ab 33.99€
Pathetischer, doch mit seinem elegischen Refrain und den diversen verspielten Intermezzi ein würdiger mächtiger Beschluss ist der Titelsong. Würde man heute vielleicht nicht mehr so machen. Andererseits gilt das für viele richtige Klassiker: Die zu kopieren, wäre unnütz. Ein bisschen historischer Abstand kann schließlich nicht schaden.
Ende 1969 hatte sich die Band aufgelöst, der im Umgang wohl nicht einfache Robert Fripp blieb allein zurück. Ein paar alte Namen wie Greg Palmer und Michael Giles tauchten auf dem zweiten Album »In The Wake of Poseidon« zwar wieder auf. Da waren sie allerdings bloß noch Sessionmusiker. Es sollte nicht die einzige große Umbesetzung und Auflösung bei King Crimson bleiben.


»In The Court Of The Crimson King« von King Crimson findest du im Webshop von HHV Records