Records Revisited: D’Angelo – Voodoo (2000)

25.01.2020
Die Rückkehr des Unperfekten brauchte mehrere Jahre. Was sich lohnte. Denn »Voodoo« von D’Angelo brachte vor 20 Jahren die Wärme und den Groove des Soul zurück. Eine Geschichte über Mythen, Seele und eines der merkwürdigsten Musikvideos.

»Voodoo« ist ein Album der Verwandlung. Es findet sich nicht nur ein Künstler auf diesen dreizehn Songs, sondern aus Michael Eugene Arche wird endgültig D’Angelo, aus seinem Sound endgültig dieser beeindruckende Neo Soul voller Wärme. Am 25. Januar 2000 kam die Platte auf den Markt und die Revolution begann.

Es ist erst das zweite Album von D’Angelo, aufgenommen in den legendären Electric Lady Studios in New York, umgeben von allerlei bekannten Künstlern. Allen voran Questlove der Drummer der Roots der dieses Album wie kaum jemand sonst mitprägte: »Ich dachte nicht, dass wir Geschichte schreiben würden, aber etwas brodelte dort in den Electric Lady Studios. Kurz danach, wollten alle Künstler in diesem Bereich aufnehmen, hoffend auf ein wenig Inspiration.«

Eine neue Version von Soul und R&B entstand, die Einflüsse und Ideen auf bislang unbekannte Art verknüpfte, eine vollkommen eigene Idee, ein eigener Entwurf. »Zeitgenössischer R&B ist ein Witz«, sagte D’Angelo damals zum Release in einem Interview. »Und das eigentlich Lustige ist: Die Leute meinen den Kram vollkommen ernst, den sie da machen.«

Weiter entfernt vom damals aktuellen Sound konnte ein Album nicht sein. »Voodoo« lebt vom Unperfekten, vom Spontanen. Zahlreiche Musiker der Soulquarians sind irgendwie mit diesem Album verbandelt oder steuerten etwas bei. Und sei es, dass sie nur kurz bei den Aufnahmen mal dabei waren. Sowohl »Mama’s Gun« von Erykah Badu als auch »Like Water For Chocolate« von Common entstehen zeitgleich, alle drei Alben verbindet die dieselbe Atmosphäre, jedoch mit vollkommen unterschiedlichen Ausprägungen.

Fast vier Jahre aus Sessions brauchte es für die Entstehung der Songs von »Voodoo«. Unter jedem Song liegen ein eigener Groove, ein eigener Vibe

Diese Musik war nicht für die Clubs gedacht. Diese Musik war Liebe und Kunst. Von der ersten bis zur letzten Note.

und stets eine warme wie heimelige Produktion. Afrobeat, Gospel und Funk tauchen mal in einzelnen Spuren als Inspiration auf, dazu die eindringliche Stimme von D’Angelo, voller Leidenschaft und Seele.

Alles muss organisch, muss wohlig sein. Das Sterile, das Glatte sollte verschwinden. Diese Musik war nicht für die Clubs gedacht. Diese Musik war Liebe und Kunst. Von der ersten bis zur letzten Note. Zeitweise begleitet ein Personal Trainer den übergewichtigen D’Angelo bei den Aufnahmen, der ihn in Form bringen soll. Mit weitreichenden Konsequenzen, wie sich bald zeigte.

Als »Voodoo« dann erschien, waren die Vergleiche mit den Größen des Genres schnell bei der Hand: Curtis Mayfield Marvin Gaye Otis Redding. Was nicht verwundert, schließlich wuchs D’Angelo mit dieser Musik auf. Doch die Vergleiche stören. Besonders mit Marvin Gaye. Warum? »Weil ich nicht will, dass die Leute denken, dass ich die ganze Zeit von seinem Leben besessen bin, er sein will«, sagte D’Angelo in einem Interview gegenüber Vibe kurz nach dem Release von »Voodoo« – was die GQ nicht davon abhielt, ihn ein paar Jahre später als den nächsten Marvin Gaye auszurufen. Darüber als Headline: »AMEN!« Überhaupt haftete D’Angelo und seinem Sound das Sakrale seit damals an. (Ein anderes Magazin nannte einmal den »R&B-Jesus«.)

Die Kritik lobte das Album größtenteils, hier und da gab es eine gemischte Kritik, aber die Legende dieser Platte hatte sich längst verselbstständigt. »Voodoo« war nicht einfach ein Album, es war eine Neuerfindung, ein Ausbruch, ein Aufstand. Hier brachte jemand seine künstlerische Vision so konsequent unter wie nur wenige zeitgenössische Künstler. Hier schwitzte, arbeitete, litt, lebte jemand nur für seine Musik. Und dann passierte dieses Musikvideo.

»Untitled (How Does It Feel)«, der wohl beste Prince-Song, den Prince nie geschrieben hat, sticht auf diesem herausragenden Album noch als Track heraus. Was irgendwen bei Virgin Records wohl auf die Idee gebracht hatte, ihn als Single zu veröffentlichen. In dem dazugehörigen Musikvideo fährt eine Kamera um den halbnackten (und nun durchtrainierten) D’Angelo, der sich jetzt auch mit noch einer neuen Facette seines Selbst auseinandersetzen muss – dem Sexsymbol. Bei der Tour zum Album rufen vornehmlich die weiblichen Besucher, er möge sich doch einfach ausziehen. Statt seiner Musik interessieren sich die Leute auf einmal für seinen Hintern.

Was sich zum Problem entwickelte. Denn D’Angelo zerschmetterte vor Wut mehrfach Equipment hinter der Bühne. Das Porträt des Künstlers als Nackedei. Was dem Album und D’Angelo nicht gerecht wird. So wundert es nicht, dass sich der damals 26-Jährige für einige Zeit aus der Szene und der Öffentlichkeit zurückzog. Bis zu seiner nächsten Platte »Black Messiah« sollten vierzehn Jahre vergehen. Die Pause schadete jedoch nicht. Vielmehr übertraf sich D’Angelo damit noch einmal, was jedoch ein anderer Klassiker der Musikgeschichte ist. Allerdings deutete sich schon zur Veröffentlichung von »Voodoo« an, dass es weitergehen würde. Auf die Frage damals, ob seine Vision auf dem Album umgesetzt sei, antwortete D’Angelo: »Yeah, aber nicht vollständig. Ich habe das Gefühl, dass es der Anfang davon ist.«_ Die Verwandlung hatte gerade erst begonnen.


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