Koushik – Raus aus dem Fenster und rein ins Ohr

17.08.2008
Foto:Eric Coleman Stones Throw
Fast wäre Koushik zusammen mit Q-Tip und Dr. Dre im Ordner »LP kommt wohl nie« abgeheftet und im Stahlschrank ad acta gelegt worden: Erscheinen ungefähr so wahrscheinlich, wie dass Maik Franz und Mario Gomez beste Freunde werden. Doch halt, Kommando zurück. Da ist er wieder.

Koushik Ghosh aus dem kanadischen Dundas, Ontario. Out My Window, sein erstes offizielles Album – nach der aus drei EPs zusammengeschusterten Compilation Be With – im Schlepptau. Über sein Verbleiben seit Be With, im Jahre 2005 bei Stones Throw erschienen, kann nur gemutmaßt werden. Bären oder Elche im kanadischen Hinterland wird er wohl nicht gejagt haben. Ich stelle mir das eher so vor: Man nehme ein mit Equipment vollgestopftes Wohnmobil, packe in den Kofferraum ein ausufernde Auswahl an Platten, baue die Dusche zur Gesangskabine um und fahre in die Pampa. So hätte ich es zumindest angestellt. Koushik braucht, soweit bekannt, keine idyllischen Landausflüge. Ein Fensterblick genügt. Ist nämlich alles reine Kopfsache, dieses Produzieren. Seit Be With, einigen EPs, Remixen und Labelsamplerbeiträgen für Stones Throw durchaus visionär zu bezeichnende Kopfsache. Außerdem hat man als stiller Beobachter, abseits des Trubels, eh die besten Ideen und kann in Ruhe am eigenen musikalischen Output tüfteln.
Koushiks musikalische Sozialisation ist nicht sonderlich spektakulär: Mit fünf Jahren begleitet er seine Mutter – eine klassische indische Sängerin – zum Gesangsunterricht, mit acht absolviert er erste Übungen an den Plattenspielern seines Bruders. Sechs Jahre später offizielles Debüt hinter den Wheels of Steel, verschiedene Radiotätigkeiten und eigene Produktionen – die das Licht der Öffentlichkeit nie erblicken – folgen. Bis dahin eigentlich nichts Besonderes oder Anzeichen übermäßigen Talents. Wie auch, wenn keine Anstalten gemacht werden sich zu präsentieren. Bis, ja bis er Egon, Labelchef von Stones Throw, auf einer Party kennenlernt. Die beiden Nerds fachsimpeln angeregt über Platten und merkwürdige indische Frauen in den USA. Man versteht sich. Als Koushik später ein paar Tracks über das Label seines Londoner Freunds Kieran Hebden alias Four Tet – remixte u.a. 2005 Madvillain(!) – auf 7-Inch pressen lässt, die Stones Throw Jungs davon Wind bekommen und bei der Promotion der Platte unter die Arme greifen, sind zarte Bande zwischen den Städtchen Oxnard und Dundas geknüpft. Auf Anfrage der Steinwerfer entscheidet man sich gemeinsame Sache zu machen. Koushik hat ein Label und die Welt einen begnadeten Musiker und erstklassigen Arrangeur mehr. Der Rest ist Geschichte.

Das Klangspektrum reichte von fröhlich-verspielten, an die Beach Boys gemahnenden Stücken bis zu einer tieftrauertragender Portion Portishead. Flöten und akustische Gitarren treffen auf Cembalo und Mellotron. Zwischendurch schauen Cylonenkrieger und Quietscheentchen auf einen Plausch durchs Fenster.

Roman Högerle
Musik so wichtig wie Atmen
Ist Koushiks musikalische Sozialisation noch relativ leicht nachzuvollziehen, gestaltet sich eine Beschreibung seiner Musik weitaus schwieriger. Er findet nämlich selbst keine treffende Bezeichnung dafür. Seine Produktionen setzen sich aus Filmgeräuschen, (Free) Jazz, Hip-Hop, Breakbeat-Samples und selbst eingesungenen Vocals zusammen. Größter Einfluss bleibt dabei die Popmusik aus den 1960er Jahren. Eine Zeit in der Popmusik noch nicht mit Kommerz gleichgesetzt wurde und Image noch kaum, musikalische Kreativität und Qualität dagegen sehr geschätzt wurden. Doch man tut ihm unrecht, beschränkt man seine Produktionen nur auf diese magere Genre-Auswahl. Schon Be With war aufgrund der Vielzahl an nach sich ziehenden Emotionen nur schwer in Worte zu fassen. Out My Window zieht hier ohne Mühe gleich. Das Klangspektrum reichte von fröhlich-verspielten, an die Beach Boys gemahnenden Stücken bis zu einer tieftrauertragender Portion Portishead. Flöten und akustische Gitarren treffen auf Cembalo und Mellotron. Zwischendurch schauen Cylonenkrieger und Quietscheentchen auf einen Plausch durchs Fenster. Ein ordentlich hallender, mystifizierter Koushik am Mikro veredelt die eigenen Tracks abschließend. Multitalentiert nennen es die einen, andere sprechen von Ambitionen. Obwohl Namen wie Prefuse, Shadow, RJD2, Dabrye oder eben auch Four Tet fallen müssen, wenn es um ansprechende Verwandlungen von Samplehaufen in neue, eigenständige Musik geht, führt Koushik aufgrund seiner musikalischen Vorlieben ein peripheres, gesondertes Dasein. Das Ineinandergreifen und nahtlose Verschmelzen der verwendeten Samples und sein tragender, sich anschmiegender Vocal-Einsatz machen den Unterschied. Keine Sound-Collagen, vielmehr ein organischer Strudel, der nur schwer wieder loslässt, ist man einmal in seinen Sog geraten.
Musik ist Koushik so wichtig wie Atmen. Tief zieht er sich die Lungenflügel mit frischer, unverbrauchter Luft voll, sein Brustkorb hebt sich, Organe arbeiten schneller, vom Rhythmus des Breakbeats angetrieben. Blut wird mit Sauerstoff angereichert. Was Koushik dann mit voller Kraft aus dem Fenster in die Welt bläst ist pure Magie. Konsequent setzt er seinen, mit Be With begonnenen, Weg fort. Koushiks Out My Window ist ein einzigartiger Beweis seines angedeuteten Talents Kleinode zu schaffen und diese einer logischen Chronologie unterzuordnen. Bleibt nur zu hoffen, dass er uns bis zur nächsten LP nicht wieder drei Jahre warten lässt.