Gang Gang Dance – Von Schicksalsschlägen und Eierschalen

19.05.2011
Foto:Brian Deran 4AD
Im Interview mit Sängerin und Keyboarder der avantgardistischen Musiker Gang Gang Dance aus New York geht es um Spiritualität, sehr kryptische Formen von Inspiration und natürlich um das neue Album der Band.

Die Geschichte von Gang Gang Dance ist gezeichnet von einschneidenden Erlebnissen. Das prägendste ist dabei zweifelsohne, das Band-Mitglied Nathan Maddox ums Leben kam, als er auf dem Dach sitzend vom Blitz erschlagen wurde. Anscheinend hatte er sich »wie immer dem Himmel dargeboten«. Daneben brannte nach einem Gig in New York auch beinahe das gesamte Equipment der Musiker nieder. Und als wenn das nicht genug wäre, wurde der ehemalige Schlagzeuger Tim DeWitt auch noch angeschossen. Eine bewegte Bandgeschichte also. Nicht weniger getrieben ist die Musik der New Yorker. In dieser vereinen sich nicht nur Einflüsse von britischem Grime bis hin zu südamerikanischem Reggaeton, sondern auch die persönlichen Empfindungen der einzelnen Bandmitglieder. So entstehen bunte, mosaikartige Songs, deren Melodien sich erst mit der Zeit erschließen – wenn überhaupt. Auf ihrem neuem Album Eye Contact klingt die Band nun ausgeglichener denn je. Dass das eine Art kreativen Wahnsinn nicht ausschließt, wird auch im Interview mit Liz Bogarty und Brian DeGraw deutlich, indem Spiritualität ebenso ein Thema ist wie Zweige, die aus Eierschalen entspringen.

Das neue Album klingt viel runder und harmonischer als eure früheren Veröffentlichungen. Konntet ihr diesmal ohne Zwischenfälle daran arbeiten?
Brian DeGraw: Ja und es ist tatsächlich ein wichtiger Grund dafür, warum es klingt wie es klingt. Wir haben das Album das erste Mal komplett außerhalb der Stadt aufgenommen. Wir haben einen Monat in Wonder Valley verbracht und die Stücke eingespielt. Gemixt haben wir das Album dann an einem ruhigen Ort in Upstate, New York. Insgesamt war der ganze Prozess also viel entspannter.

Ihr habt immer betont, dass ihr auf euren Alben versucht, eure spezielle Live-Energie einzufangen. Denkt ihr, das ihr diesem Ziel mit Eye Contact einen Schritt näher gekommen seit?†¨
Brian DeGraw: Ja, ich glaube schon. Außerdem haben wir andere Dinge entdeckt, die wir im Studio machen können, die uns auch zufrieden stellen. Ich finde zwar, dass dieses Album die Live-Energie ziemlich gut einfängt, aber vor allem haben wir andere Herangehensweisen entdeckt.

Habt ihr bewusst etwas an der Instrumentierung geändert, um andere Effekte zu erreichen?
Brian DeGraw: Ein bisschen. Es gibt einige Songs, die wir aufgenommen haben und als wir sie abmischen wollten, haben wir uns dann oft noch entschieden, alles zu verwerfen und einige Sounds zu ersetzten. Mit Mindkiller war es beispielsweise so. Die ursprüngliche Version war mehr ein standardmäßiger Drums/Bass/Gitarren-Song und er klang irgendwie zu »Rock†˜n’Roll«. Also haben wir unter anderem die ursprünglichen Drums mit elektronischen ersetzt.

»Ich glaube wir setzen uns einfach aus einer merkwürdigen Kombination zusammen, die diese Sache kreiert. Aber wir haben nie versucht, nach etwas Bestimmtem zu klingen oder nicht zu klingen.«

Brain DeGraw
Eure bisherigen Artworks waren oft Gemälde. Dieses ist nun eine Fotografie. Hat diese Tatsache eine tiefere Bedeutung?
Liz Bogarty: Eine sehr gute, sehr relevante Frage finde ich. In der Vergangenheit haben wir immer Bilder von Nathan benutzt, der in unserer Band war und von uns gegangen ist. Brian, Josh und ich standen ihm sehr nahe, während Jesse [Jesse Lee, der neue Drummer der Band] ihn nicht wirklich kannte. Also haben wir eine bewusste Entscheidung getroffen, diesmal keines seiner Werke zu benutzen und etwas anderes zu verwenden. Es soll natürlich nicht repräsentieren, dass wir nicht mehr an ihn denken.
Brian DeGraw: Auf eine Art, war es eine Erleichterung, auch wenn es komisch klingt, das zu sagen, weil es nicht befreiend war Nathan gehen zu lassen. Aber ihn in diesem Sinne gehen zu lassen, war wichtig. Auf spiritueller Ebene werden wir ihn nie gehen lassen und ihn immer lieben.

Haben die Symbole für Unendlichkeit, die drei Mal in der Tracklist auftauchen, auch etwas damit zu tun?
Brian DeGraw: Eigentlich war es ein unbewusstes Thema, das jetzt aber tatsächlich sehr stark im Verlauf des gesamten Albums vorkommt. Es gibt viele Songs, die Verstorbenen gewidmet sind. Und dazu kommt das Thema der Unendlichkeit, das anspricht, dass die Körper der Menschen gehen, aber das ihre Geister noch sehr stark unter uns vertreten sind. Das mündet darin, wie es sich angefühlt hat, seit Nathan nicht mehr da ist. Und dass das Album mit »live forever« endet ist unsere Art, diese Idee zu einem Abschluss zu bringen.
Liz Bogarty: Aber der Satz drückt auch aus, dass die Musik hoffentlich für immer leben wird.

Das Album beginnt ja auch mit »It’s everything time«. Leitet also dieser Satz das Thema ein? Ich bin wohl nicht der Einzige, der sich gefragt hat, was »everything time« sein soll?
Liz Bogarty(lacht): Und, was denkst du?

Also für mich klingt es wie die Beschreibung eines LSD-Trips. Hört sich nach bunten Bilder und grenzenloser Vorstellungskraft an.
Liz Bogarty (lacht jetzt noch lauter): Ich glaube im Endeffekt bedeutet es, was immer du willst. Aber mir gefällt das mit dem LSD-Trip. Dabei belassen wir es. Wir mögen es offen.

Eure Musik ist ja auch ziemlich offen. Entscheidet man das für sich als Band, so nach dem Motto »Wir wollen anders klingen als alle anderen«?
Liz Bogarty: So etwas kannst du als Künstler nicht entscheiden!
Brian DeGraw: Wir haben diesen Sound einfach über die Zeit gefunden. Ich glaube wir setzen uns einfach aus einer merkwürdigen Kombination zusammen, die diese Sache kreiert. Aber wir haben nie versucht, nach etwas Bestimmtem zu klingen oder nicht zu klingen. Gut, manchmal, wenn mich irgendetwas, was wir geschaffen haben, zu sehr an etwas erinnert, das ich überhaupt nicht mag, versuche ich es zu ändern.

»Ich habe mir merkwürde Bilder vorgestellt, vielleicht Hühnereier, die sich öffnen und aus denen dann Äste wachsen.«

Brian DeGraw
Kann man denn noch »normale« »Mainstream«-Musik gut finden, wenn man so abgedrehten Sound wie ihr macht? Gibt es irgendwelche Chart-Songs die ihr zur Zeit mögt?
Brian DeGraw: Mir gefällt die Idee von »guilty pleasure« innerhalb der Musik nicht. Ich finde das sehr ironisch – so etwas sollte es nicht geben. Wenn es dir gefällt, gefällt es dir.
Liz Bogarty: Da stimme ich zu! Ich mochte Kanye†˜s letztes Album. Es war sehr gut. Ich mochte auch das Cover. Das von George Condo, das dann indiziert wurde. Das war ein sehr cooles Risiko, das er da eingegangen ist, weil es sehr nach folkloristischer Kunst aussah, als hätte es ein Aussteiger gezeichnet. Ich bin tatsächlich ins Museum gegangen und habe mir eine George-Condo-Ausstellung angesehen. Diese Gemälde sind auf sehr großartige Weise aufwühlend.

Wo wir gerade von Kunst reden: Eure Musik ist ziemlich »Avant-garde« könnte man sagen. Zieht ihr eure Inspiration nur von verschiedenen musikalischen Genres oder auch aus der Bildenden Kunst?
Brian DeGraw: Alles davon! Auch aus der Natur. Bei diesem Album habe ich zum Beispiel an verschiedene Formen der Natur und physikalische Objekte gedacht. Zum Beispiel an Eier…
Liz Bogarty (lacht): Jaaaa! Eier sind großartig!
Brian DeGraw: Vor allem als wir an Glass Jar, dem ersten Song gearbeitet haben, habe ich an all diese Gebilde der Natur gedacht. Ich habe mir merkwürde Bilder vorgestellt, vielleicht Hühnereier, die sich öffnen und aus denen dann Äste wachsen.

Was an euch als Band ja sehr erstaunlich ist, wie ihr nach all diesen Schicksalsschlägen immer wieder zurück kommt. Habt ihr mal daran gezweifelt, ob ihr noch das richtige macht?
Beide: Näääähh!
Liz Bogarty: Mir haben Leute ein paar Mal gesagt, ich solle doch lieber etwas Sichereres machen, weil es mir sonst nie gut gehen würde, ich nie ein eigenes zu Hause haben würde, nie in der Lage sein würde ein Haustier zu halten. Im Ernst: Meine Familie hat immer gefragt: »Und verdienst du überhaupt irgendwas?« Und ich musste ihnen dann immer erklären: »Okay, die Band bekommt für dies und das Geld und wir teilen es dann auf.« Meine Familie war also mein ganzes Leben um mich besorgt. Aber jetzt lieben sie es. Ich rufe immer mein Vater an, wenn wir auf Tour gehen. Er besitzt eine Schuh-Reparatur und ist immer im Laden. Wenn ich dann anrufe, fragt er immer: »Also wo bist du? Was? London? Wirklich? Und danach?«. Er schreit, damit ihn jeder hören kann.