Studio One – Jamaikas Hitfabrik

16.08.2011
Die Geschichte des wohl einflussreichsten jamaikanischen Plattenlabels aller Zeiten ist gleichzeitig die Geschichte von Clement »Sir Coxsone« Dodd. Florian Triesch geht auf Sprurensuche.

Die Geschichte des wohl einflussreichsten jamaikanischen Plattenlabels aller Zeiten ist gleichzeitig die Geschichte von Clement †˜Sir Coxsone’ Dodd. Will man den Erfolg dieser enorm produktiven Hitfabrik begreifen, muss man das Leben des Geschäftsmannes und Musikliebhabers Dodd betrachten, der jamaikanischer Musik, angetrieben durch seine Vision, zu Weltruhm verhalf.

Clement wurde ins Kingston des Jahres 1932 geboren und dank des Restaurants seiner Mutter durfte er sich früh im musikalischen Bespaßen der Gäste versuchen. Anfang der 1950er arbeitete er dann als Farmarbeiter in Florida, wo er begeistert von der dortigen Musik- und Party-Szene die Vision hatte, dieses Kulturgut gewinnbringend nach Jamaika zu importieren.

Zurück in Kingston rief er 1954 das Downbeat Sound System ins Leben, welches zunächst aus einem Verstärker, einem Plattenspieler und einer Auswahl von Schallplatten bestand, die er sich in New Orleans und Miami besorgt hatte. Zu dieser Zeit war die jamaikanische Musikszene von Soundsystems geprägt, die bei Open-Air Veranstaltungen mit R&B Hits um die Gunst des Publikums buhlten. Das damals populärste Soundsystem war The Trojan von Duke Reid, welches Dodd zunächst Gastauftritte bescherte, wonach Sir Coxsones eigenes Soundsystem später zum Hauptkonkurrent von Reid werden sollte. Durch die in den USA erworbene musikalische Expertise fand sein Soundsystem schnell Anklang, doch die lokale Konkurrenz war derart groß, dass Dodd regelmäßige Plattensafaris in die USA unternehmen musste, um sein Publikum durch rare Scheiben bei Laune zu halten. So besaß er bald fünf Soundsystems, für die er verschiedene Verwalter, wie z.B. sein Faktotum Lee “Scratch” Perry einsetzte. Durch dieses Musik- und Entertainment Imperium konnte er maßgeblich den Musikgeschmack der Inselbewohner steuern und später auch die eigenen Produktionen austesten und promoten.

Im Zuge der schwindenden Popularität von R&B in den USA wurde es zunehmend schwieriger das eigene Soundsystem durch exklusive US-Stücke hervorzuheben. Aus diesem Grunde entwickelte der geschäftstüchtige Dodd die Idee Stücke zu produzieren, deren Dubplates zunächst nur für die eigenen Soundsystems gedacht waren. Allerdings merkte der Geschäftsmann in ihm bald, dass sich diese Aufnahmen auch weiterverkaufen ließen und so produzierte er ab Mitte der 50er mit verschiedenen Künstlern für sein Studio One Label. Damals war die Musik noch eher an R&B angelehnt, der dann gegen Ende der 50er mit lokaler Musik zu Ska verschmolz. Diese original-jamaikanische Kreation fand großen Anklang, woraufhin 1963 das eigene Aufnahmestudio eröffnet wurde, in dem einige der bedeutendsten Ska-Aufnahmen von Künstlern wie den Skatalites oder den Maytals entstanden.

Dort fand auch ein sonntägliches Vorsingen statt, welches z.B. zu Aufnahmen mit Bob Marley, Peter Tosh, Bunny Wailer oder Burning Spear führte. Coxsone agierte dabei nicht bloß als Produzent, sondern versuchte die Karrieren der Künstler insgesamt zu steuern, allen voran die von Bob Marley. Marley jedoch verließ aufgrund geschäftlicher Differenzen später das Label.

Dem Ska folgten Rocksteady und Reggae, wobei Studio One zu einer Art Synonym für diese Stile wurde und einen Hit nach dem anderen verbuchen konnte – von den Heptones, den Abyssinians, Jackie Mittoo uvm. Später folgten Dub und Dancehall und auch hier konnte Studio One seinen Einfluss geltend machen, wenn auch nicht mehr im gleichen Maße wie im Ska und Reggae. Zwischenzeitlich war der Erfolg des Labels derart groß, dass Dodd diverse obskure Sublabels ins Leben rief, um so Studio-One-müde Radio DJs zum Spielen seiner zukünftigen Hits zu bringen.

Nach dem Tod Bob Marleys machen der Crack und Kokain- Boom sowie politische Unruhen dem Label den Garaus.

Im Laufe der späten 70er stauten sich einige Faktoren an, die Anfang der 80er zum vorläufigen Ende der Hitfabrik aus Kingston und somit auch zu einem Wandel in der jamaikanischen Musik insgesamt führten. Zu nennen sind hier z.B. der Tod Bob Marleys, der Boom von Kokain und Crack, sowie politische und wirtschaftliche Unruhen. Dodd erkannte die Zeichen der Zeit und verließ Jamaika, um einen Plattenladen in New York zu eröffnen. Dort erfolgten weitere Aufnahmen für Studio One und über das Bostoner Label Heartbeat wurden Reissues alter Studio One Aufnahmen vertrieben, wobei die vorläufige Hochphase des Labels bereits vorbei war.

Clement zog 1998 nach Jamaika zurück, führte dort alte und neue Künstler zusammen, und 2002 begannen die Arbeiten an einer Dokumentation über sein Lebenswerk, welche bei Soul Jazz Records erschienen ist. Das Label erlangte zu dieser Zeit den Höhepunkt seiner weltweiten Popularität und die Straße, in der sich das Studio befand, wurde offiziell in Studio One Boulevard umbenannt. 2004 starb Dodd an einem Herzinfarkt und noch kurz vor seinem Tod schätze er die Zahl des unveröffentlichten Materials auf gut 60 Prozent.
Der Erfolg von Studio One ist also vielen Faktoren geschuldet, geht jedoch letztlich Hand in Hand mit der Vision und Beharrlichkeit von Sir Coxsone. So war er maßgeblich dafür verantwortlich zeitgenössische jamaikanische Musikstile zu fördern und zu popularisieren. Als Katalysator diente ihm die Zeit des Umbruchs, in der Jamaika insgesamt seine Identität abseits des Sklaverei- und Kolonial-Stigmas suchte. Doch die musikalische Vision wäre wohl nicht um die Welt gereist ohne die dazugehörige geschäftliche Vision, die Coxsone nie aus den Augen verlor.