Analog Africa, Soundway, Strut Records – Jäger des verlorenen Schatzes

05.10.2012
Foto:Analog Africa
Analog Africa, Soundway und Strut Records werden von Liebhabern afrikanischen Souls und Funks oft in einem Atemzug genannt. Wir haben uns mit den Betreibern der drei Häuser unterhalten und zeigen, dass sie so ähnlich gar nicht sind.

Analog Africa: Archivar der afrikanischer Jugendkultur
Samy Ben Redscheb war vor zehn Jahren als DJ in einem senegalesischen Hotel engagiert als er in einer alten Plattenkiste eine besonders groovige Funk-Scheibe aus Simbabwe entdeckt. Fasziniert von diesem ihm bislang völlig fremd Sound, entschließt er sich kurzerhand in das südafrikanische Land zu fliegen und sich auf Spurensuche zu begeben. Doch die Recherche erweist sich schwieriger als gedacht: Wo man alten Soul, Funk und Rock auf Vinyl bekommen kann? Stets bekommt er nur Schulterzucken als Antwort. Doch der Deutsch-Tunesier lässt nicht locker, reist mehrmals nach Harare, klappert lokal Radiostationen ab, fragt in die Jahre gekommene Musiker und Taxifahrer, bis er schließlich nach drei Jahren im entlegenen Goldminen-Dorf Shishavani fündig wird: »Sie haben die Türen aufgemacht und dort war ein Lager von 50 mal 30 Metern und alles voller Schallplatten. Wir haben dort zwei Tage verbracht und unser Auto so vollgepackt, dass die Mittelachse auf dem Weg nach Harare gebrochen ist.« Die Ladung alter Schallplatten wird mit einem Container nach Deutschland verschifft. Aus dem Rohmaterial pickt Ben Redscheb die Perlen heraus, lässt sie remastern und presst sie für den Markt der nördlichen Hemisphäre. Ein neues Label ist geboren: Analog Afrika.

Der Digger Ben Redscheb ist dermaßen angefixt, dass er sein Leben umkrempelt und seine Leidenschaft zur Berufung macht: Er schmeißt seinen Job als Tauchlehrer, heuert vorerst bei der Lufthansa als Flugbegleiter an und fliegt alle paar Wochen nach Lagos, Accra oder Khinshasa. Lager- und Kellerräume oder verrümpelte Terrassen und Hinterhöfen werden für ihn zu Arbeitsstätten; Fundgruben von Tonträger einer vergessenen Blütezeit afrikanischer Jugendkultur. Nach den Simbabwe-Compilations folgen Nigeria, Ghana, Benin. Die Weltmusik-Community ist begeistert: Kosmischer Afro-Soul aus Togo und Ghana oder psychedelischer Voodoo- Funk aus Benin. Auf der nördlichen Welthalbkugel hat man bisher kaum gewusst, dass es ebenfalls in Afrika eine Beat-und Hippie-Ära gab, in der verzerrte Gitarren, Hammond Orgeln, Schlaghosen und Flowerpower-Hemden en vogue waren.

Die Geschichten dieser Ära und die Biographien und Interviews mit Musikern wie Amadou Ballaké aus Burkina Faso, Rob Raindorf aus Ghana oder dem Orchestre Polyrythmo aus Benin erfährt man nicht nur auf dem Blog von Analog Africa. Jede Vinyl wird stets von einem liebevoll gestaltetem Booklet und rarem Bildmaterial begleitet. Labelbetreiber Ben Redscheb ist es wichtig diesen »Mehrwert« den Käufern seiner Scheiben mitzugeben: »Das vermittelt dem Hörer eine Idee davon, was wirklich in einem Land passiert ist. Wenn du Musik hörst ohne zu wissen woher die Leute kommen, wer sie sind und was für Probleme sie hatten, dann kannst du die Musik mögen. Aber lieben wirst du sie erst, wenn du diese Menschen kennenlernst.«

Soundway fischt in karibischen Gewässern
Miles Cleret, Betreiber von Soundway Records, das im April sein zehnjähriges Bestehen feiert, hat nie beabsichtigt ein eigenes Label zu gründen. Er war 2002 im Urlaub in Ghana und hörte wie ein lokaler DJ einen Track von Ebo Taylor auflegte. Taylors Afrobeat vereint traditionelle ghanaische Musik mit Elementen amerikanischer Funk- und Rockgiganten wie James Brown oder Deep Purple. Seine Songs basieren auf populären Reimen aus der Goldmine der traditionellen ghanaischen Musik. Die instrumentalen Tools: E-Gitarren, Bass, Drumset und Bläsersektion sind Importe aus der westlichen Hemisphäre. Wie so viele Kinder der HipHop-Generation beginnt auch Miles Cleret in den Neunzigern Soul-, Funk- und Jazz-Platten zu entdecken, die als Sample-Fundgrube der HipHop-Produzenten gedient haben. Die Schnittmenge aus eigenem Musikgeschmack und der neuentdeckten Exotik lassen Cleret in Afrika den Soundtrack seines Lebens finden. Raue Soul- und Funk-Perlen, die zwar nicht den technischen Standard der US-Produktionen haben, dafür aber durch eine besondere Experimentierfreude autrumpften. »Es gab eine Aufbruchstimmung, ein Gefühl von Selbstermächtigung. Die meisten Länder hatten ja gerade mal ein Jahrzehnt Unabhängigkeit hinter sich«, erklärt er. Fasziniert von diesem originellen Soundhybrid bereist er drei Jahre lang Ghana um anschließend die Compilation »Ghana Soundz« zusammenzustellen. Als sich kein Label für die Compilation interessiert, gründet Cleret Soundway. Nach zehn Jahren blickt er heute stolz auf rund 40 Releases von Singles, EPs, Compilations und wiederveröffentlichter Alben zurück.

Anders als bei Ben Redscheb ist der Fokus des Labels über die Jahre von Afrika abgerückt. Als Cleret eines Tages auf Ebay Calypso-Platten kauft, freundet er sich mit dem Verkäufer Roberto Gyement an. Ein Kalifornier mit Latino-Wurzeln, der anschließend für Soundway eine Reihe panamaischer und kolumbianischer Compilations zusammenstellt. Gyement teilt Clerets Werdegang: Seine Jugendhelden waren Black Sabbath und Run DMC. Doch im Jahre 2000 zieht er für sechs Jahre nach Costa Rica und entwickelt langsam ein Gespür für Calypso, Salsa und Cumbia. Um sein Visum zu verlängern muss er alle drei Monate einen Abstecher ins benachbarte Panama machen. »Ich suchte direkt in der Grenzstadt eine Radiostation auf wo ich tausende alter LPs und Singles kaufte. Sie hatten Tonnenweise Schallplatten.« Gyement übernimmt die Abteilung Panama und Kolumbien und stellt fünf sagenhafte Compilations zusammen, die als genetischer Code panamaischer und kolumbianischer Musikkultur der 1960er und 1970er Jahre betrachtet werden könne. Anders als bei Kuba oder Jamaika, standen die karibischen Grooves der Nachbarn nie im weltweiten Fokus. Dabei haben beide Länder ganz eigene Styles: Panamas Musikszene wurde in den Sechzigern und Siebzigern durch Calypso von Emigranten aus Trinidad und Funk amerikanischer GIs bereichert. An der kolumbianischen Karibikküste wurde die Cumbia erfunden; jener schlurfend-rauchige Offbeat-Groove, der in Peru und Argentinien seine Nachahmer fand und heutzutage mit Clubbeats vermischt als »Electro-Cumbia« seinen Siegeszug in Clubs von Buenos Aires bis Berlin feiert.

Mit Will Holland (aka Quantic) fanden Cleret und Gyement schließlich den dritten angelsächsischen Plattennerd, mit einem Faible für Latin-Grooves. Der englische Produzent, Multiinstrumentalist und Plattenliebhaber wohnt seit einigen Jahren im kolumbianischen Cali und liefert dieses Jahr mit 59 Tracks der sechsfach-Vinyl »The Original Sound of Cumbia« ein wahres Vermächtnis rarer Cumbia-Tunes der Jahre 1948-1979. Doch Soundway bleibt keineswegs ein reines Liebhaber-Label für obskure B-Seiten und verlorengeglaubte Klangjuwelen. Denn das Haus erweitert stets sein Spektrum. Im April ist mit »Batida« erstmals ein modernes Clubalbum eines Solo-Künstlers erschienen. Hinter Batida steckt der angolanisch-portugiesische DJ Mpula alias Pedro Coquenao, der 70er-Jahre-Samples aus Angola mit elektronischen Clubbeats und Kuduro-Raps vermischt. Dazu suchte sich Batida Samples seiner Lieblingstunes, verwurschtelt sie mit synthetischen Basslines und knackigen Elektrokicks und verschickte diese Riddims an MCs aus Angola und Portugal. Für Soundway ist somit das erste auf Filesharing und Sampling basierte Album entstanden.

Strut Records: Sie sind immer noch hungrig
Die Helden der afrikanischen Swinging Sixties und Roaring Seventies in modernen Studios neue aufzunehmen, ist dagegen das Rezept des englischen Labels Strut Records. So geschehen im Fall des äthiopischen Jazz-Vibraphonisten Mulatu Astatke, des ghanaer Hiplife-Löwen Ebo Taylor oder den aus Benin stammendenVoodoo-Funkern Orchestre Polyrhytmo. _»Viele dieser alten Künstler leben noch und wir müssen die Zeit nutzen, die uns noch bleibt, um sie aufzunehmen. Vor allem aber sind sie immer noch tolle Musiker und sie sind immer noch hungrig auf Live-Gigs«, erklärt Label-Manager Quinton Scott. Und genau das zeichnet Strut im Vergleich zu Analog Africa und Soundway aus. Das Label fliegt die alten Herren nach Paris (Orchestre Polyrhytmo), London (Mulatu Astatke) oder Berlin (Ebo Taylor) ein und vermittelt ein Studio. Vor allem aber organisiert Strut eine Band von jungen lokalen Enthusiasten, die nicht nur das Backing für eine Albumproduktion liefern, sondern anschließend auch mit den grauen Afro-Rockern durch die Welt touren. Es finden sich zwar stets Musiker, die auf genau diesen analogen Sound stehen, aber die größte Herausforderung sei es, so Scott, nicht einen Abklatsch der legendären, alten Aufnahme zu liefern.

Denn genau den »originalen« Sound erwarten die Fans. Als Scott die jungen britischen Jazz-Funker Heliocentrics mit Mulatu Astatke zusammenbrachte, zweifelten einige Fachsimpler die analogen Studioaufnahmen an. _»Die Heliocentrics sind Puristen, der Sound ist zwar sehr clean aber es gab kein Sampling oder andere Tricksereien, hundert Prozent analog«, versichert Scott. Auch die Wahlverwandschaft von Ebo Taylor und den Jungstars der Berliner Afrobeat Academy war ein genialer Schachzug. Während sich die erste Zusammenarbeit, das 2010 veröffentlichte »Love And Death«, hauptsächlich auf Neueinspielungen alter Afrobeat-Nummern Taylors konzentrierte, bricht die dieser Tage erscheinende zweite Scheibe »Appia Kwa Bridge« Bahnen. Ganze sechs von acht Tracks sind neue Kompositionen. Und Gastmusiker Taylors Altersklasse wie Tony Allen, Oghene Kologbo oder Pax Nicholas leisten ihm beim Generations-Clash Schützenhilfe. »Appia Kwa Bridge« ist anders als die Compilations mit Originalaufnahmen keine vertonte Zeitmaschine, sondern eine lebende Begegnung mehrerer Musikergenerationen unterschiedlichster Länder im ghanaischen Hiplife-Gewandt. Aufgenommen in den Berliner Lovelite Studios mitten im Friedrichshainer Kiez.