Perfume Genius – Ultra-persönliche Geschichten

31.05.2012
Foto:Angelo Ceballos
Perfume Genius ist eine der interessantesten Typen die es zu entdecken gibt. Das Ergebnis seines intensiven Lebenslaufes sind Songs, die hin- und hergerissen zwischen Klassik und Moderne taumeln, versehen mit brutal schonungsloser Lyrik.

Informationen zu teilen war niemals einfacher. Jeder, der einen Internetzugang hat, kann schnell alles einem breiten Publikum zugänglich machen. Das Resultat dieser Post-Internet-Zeiten ist ein massives Durcheinander völlig nutzloser Inhalte und banaler Fakten, in die Online-Sphäre gestellt, damit andere durch sie hindurch tauchen können. Die Leute frönen dem permanenten Austausch und Musiker Mike Hadreas aka Perfume Genius mit seiner brutalen schonungslosen Lyrik, die ultra persönliche Geschichten darstellt, wie zum Beispiel das Verhältnis zwischen ihm und seinem pädophilen Lehrer, ist da keine Ausnahme – und auf gewisse Weise doch: das Teilen unbequemer Geschichten ist des Liedermachers Stärke, erzählt durch sein hymnisches Piano und seine anrührende Stimme wohlgemerkt und nicht etwa durch 140 Zeichen auf Twitter. Das anrührende dabei ist, dass Hedreas sich seiner überbordenen Offenheit nicht einmal bewusst zu sein scheint: »Ich könnte es sein, aber dann ist meine ganze Familie so. Auf eine Art ist es wirklich hilfreich, aber es gibt definitiv Dinge, die sich meine Mutter und ich lieber nicht erzählt hätten«, er lacht und fügt hinzu: »Keine Angst zu haben, von dem ganzen merkwürdigen Shit in Besitz genommen zu werden, der sich auftut wo man auch nur hinkommt, kann ganz hilfreich sein.«
Hadreas könnte wahrscheinlich einige Notizbücher mit »merkwürdigem Shit« füllen, betrachtet man seine bewegte Vergangenheit: Der aus dem Staat Washington stammende, zog nach New York City, versank für einige Jahre im Alkohol- und Drogensumpf, bevor er zu seiner Mutter nach Everett, Washington zog, um wieder clean zu werden. Dies war die Zeit in der Hedreas sein Debüt »Learning« (2010) schrieb und auch aufnahm, eine Lo-fi-Produktion, wie es sie nur selten gibt, einschließlich dem Sound von seinen Füßen, die in die Pedale treten, hinzugefügt zu dem vertrauten Vibe des konfessionellen Albums. Auch wenn man denken könnte, dass seine tagebuchartigen Songs von vorneherein viele Zuhörer ausschließen, schafft Hadreas Talent für Melodien einen einladenden Zugang.

»»Ich hatte plötzlich diesen Druck und war total nervös, aber ich fand einen Weg es umzudrehen und machte es zu einer Herausforderung, die ich auf meine eigene Art und Weise packte, in dem ich einen poppigen Song über Prostitution schrieb.«

Mike Hadreas
Nun, zwei Jahre später, folgt auf »Learning« »Put Your Back N 2 It« – der Silberstreifen zu dem verheerenden Vorgänger, wie der ironische Titel bereits offenbart. »Ich wollte, dass der Titel albern ist. Es konnte entweder bedeuten, Anstrengung in die Dinge zu stecken oder böse zu werden«, erklärt Hedreas. Aber man darf sich nicht von dem von Ice Cube inspiriertem Titel in die Irre führen lassen; auch dieses Album schildert erschütternde Themen. »Dark Parts« schildert den Missbrauch, den Hadreas’ Mutter durch ihren Großvaters erlitt und »Take Me Home« handelt von Emotionen der Prostitution: »Oh, all alone, I wander aimless/I work the corner of an endless grid/I’ll be so still for you«. Ein Stück weit scheint das Album doch etwas weniger konfessionell: »Auf dem ersten Album war nicht viel zwischen dem, was ich fühlte und dem, was ich schrieb. Dieses Mal habe ich versucht in einer eher mitfühlenden und allgemeinen Art zu schreiben, aber das endete darin, dass ich zu groß dachte. Ich musste mich darin erinnern, Songs für meine Familie, Freunde und Leute, die mir Briefe gesendet haben, zu schreiben, anstatt etwas zu schreiben, zu dem sich jeder auf der Welt in Beziehung setzen kann..« Und in seiner typisch offenen Art fügt er noch hinzu: »Ich versuchte zu sehr cool mit einigen meiner Songs zu sein. Es war nicht sehr ehrlich, aber ich bin froh in der Lage zu sein, dies einzusehen.«
Hadreas schrieb das zweite Album in Seattle, wo er mittlerweile mit seinem Freund und Band Kollegen Alan Wyffels lebt. »Ich schrieb wenn Alan eingeschlafen war und das Gebäude ruhig genug war, so dass niemand mich schreiben hören konnte, außer meine Nachbarn, zwei haarige homosexuelle Bären. Sie müssen mich wieder und wieder üben gehört haben. Ich habe überlegt ihnen die CD zu geben, aber warum sollten sie sich das alles noch einmal anhören?« Neben der Auseinandersetzung mit dem Hin und Her der Liebe als Gegensatz zur Drogensucht, ist der andere große Unterschied zum ersten Album, dass Hadreas nun bei einem Label unterschrieben und in einem Studio aufgenommen hat.»Ich hatte echt Angst davor im Studio aufzunehmen. Ich dachte dort würde mich ein Haufen Leute beobachten und ich wäre nicht in der Lage zu experimentieren – aber es lief anders«, reflektiert Hadreas. Das Album wurde in einem abgelegenen englischen Bauernhaus, umgeben von Schafen, aufgenommen. Als Hedreas nach Seattle zurückkehrte, wollte sein Label, dass er einige Singles zu dem insgesamt langsamen Album hinzufügte, die ihn zuerst irritierten: »Ich hatte plötzlich diesen Druck und war total nervös, aber ich fand einen Weg es umzudrehen und machte es zu einer Herausforderung, die ich auf meine eigene Art und Weise packte, in dem ich einen poppigen Song über Prostitution schrieb.« Wenn auch Hadreas alle Songs schreibt, so arrangiert sein Freund doch auch für die Live-Performances. Hadreas wurde Wyffels durch einen Freund von der Klavierschule vorgestellt.»Er hat eine nüchterne Art wie ich und natürlich fand ich ihn süß«, so beschreibt Hadreas den Anfang ihrer Zusammenarbeit. »Es war kurz bevor wir ein Paar wurden. Wir waren einfach so respektvoll miteinander. Es war wirklich teenagermäßig. Eines Tages sagten wir ›Ich liebe dich‹ zueinander ohne je gedated zu haben und einen Monat später zogen wir zusammen.« Diese Gefühle von Liebe sind zweifelsohne die Quelle des Lichts auf dem ganzen Album. Ein Album, gleichzeitig klassisch, durch Hadreas’ meisterhaftes Klavierspiel und modern, durch seine experimentellen Snares und elektronischen Percussions, alles abgerundet durch Texte im Einklang mit dem Trend der Über-Offenbarung. »Immerhin poste ich keine Bilder von meinem Mittagessen oder teile den Leuten mit wie müde ich bin«_, scherzt er. Und warum sollte er auch, wenn er statt dessen zärtlich über eine spermabedeckte Violine singen kann?