Zwölf Zehner – Februar 2013

06.03.2013
Willkommen im März. Doch vorher lassen unsere Kolumnisten vom Dienst den Monat Februar musikalisch Revue passieren und destillieren in ihrer Kolumne Zwölf Zehner die wichtigsten zehn Tracks des Monats.
Detroit – in unserer romantisierten Vorstellung trifft man sich dort, pleite aber sexy, zum BBQ, setzt Kinder im Vorschulalter an den Maschinenpark, echauffiert sich über die da oben, hört nebenher VG-Platten und kreiert aus dem Stegreif Magie für die alte Welt. Dass diese herzlich naive Vorstellung im Hause Strickland nicht ganz so weit weg ist von der Realität, wissen wir zumindest annähernd und wenn Big Stricks Sohnemann mit 16 nun seine erste EP veröffentlicht, die er sich nicht mit der Verwandtschaft teilt, hören wir natürlich besonders genau hin. »Lamborghini Dreams« (was sonst?!) erscheint (natürlich) über 7 Days Ent, das Label des biologischen Erzeugers von Generation Next, und jeder der vier Tracks ist für sich genommen eine Sensation. Der Titeltrack aber, mit dieser federleichten Italo-Figur, ließe sich direkt als eines, der nicht gerade seltenen, Highlights auf einem weiteren familieninternen Label vermerken: FXHE. Ja, so gut ist der kleine Strickland. Fast schon beängstigend.

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Wie kann eine solche Hymne eigentlich nicht auf einem Willie Hutch-Sample basieren? Und apropos Willie Hutch, apropos Hymme: Als einer der Track des Jahres 2007 ist uns UGK’s International Player’s Anthem noch bestens in Erinnerung, jetzt erhält dieser mit Project Pat‘s »Drank and that strong« so etwas wie einen Junior Partner. Zum einen ist da dieses orchestrale Soulsample mit seinen Strings und wenn ein Raptrack Strings enthält, dann honorieren wir das verdammt nochmal. Denn: It’s always all about the strings! Ihr wisst ja wie da ist mit der Ausnahme und der Regel. Zum anderen ist da dieser einfachste Drumloop, der in seiner Einfachheit nur noch von der grenzdebilen Delivery Project Pat’s getoppt wird. Der Bruder Juicy J’s (ein alter Bekannter dieser Kolumne), knallt sich hier offensichtlich nicht nur lyrisch Hucke voll, raucht Joint auf Joint back to back, vernichtet den Codeinsirup mit Sprite gar literweise, auf dass er mit seinem Erste-Klasse-Ticket ins Nirvana über Telefongespräche mit Cheech and Chong philosophiert. Habe ich bereits diese Hook erwähnt? Dass man im Rausch zur eigenen Überhöhung neigt, das wissen wir nicht erst seit Project Pat. Sich aber nicht immer so bierernst nehmen, gut dass uns Pat daran erinnert.

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Der Eklektiker und zuckersüßer Neon-Pop, das könnte schwierig werden. Der Streber aus Österreich scheint sich zu Beginn direkt mal eine Synth-Melodie seines Bruders im Geiste Floating Points zu borgen, anstatt es sich aber einfach zu machen und fünf Minuten auf deren Schönheit zu setzen, verwandelt Dorian Concept das im Original relativ unspektakuläre »D&T« in einen stolpernden Adrenalin-Rausch mit klassischem Break in der Mitte, atemlosen Finale und postkoitaler Coda. Quasi die langerwartete Bilingual Dance Sexperience

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Bereits an anderer Stelle wurde auf die Brillanz des kompromisslosen Soundentwurfs von Streetwalker eingegangen und der Titeltrack des gerade erschienenen »Future Fusion« mag diesbezüglich das größte Ausrufezeichen sein. Nach einem kurzen de Palma kompatiblen Soundtrack-Bit beginnt sich ein unkontrolliertes Arpeggio zu überschlagen und der Drumcomputer rattert. Unmittelbar danach ein Trenz Reznor Tribut in wunderbarer Rotzigkeit, leidend, masochistisch, böse. Ein fünfeinhalbminütiger Mindfuck, der wiedermal beweist, dass Epigonentum etwas wunderbares sein kann, wenn sich dafür die richtigen Leute finden.

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Noch so ein Raider, den man häufig vergisst. Grandmillys »The Paper« hat schon zwei, drei Monate auf dem Buckel und ging mal wieder in der Flut der BRK-Tracks unter, was Emerald Ruins hier aber am Beat veranstaltet muss nachträglich noch aufgegriffen werden. Inoffizieller Keep It G Nachfolger, ick hör dir trappsen. Grandmilly rotzt dazu noch schnell eine gewohnt nihilistische Strophe hin, im Refrain dann der übliche Chopped & Screwed-Wahnsinn – die gehen nirgendwo hin, diese 275er.

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Juli 2011, Kantine Konstanz. Beautiful Swimmers DJ Set. Der letzte Track. Das schreit nach was Großem. Max D legt den Rohling gemach in den den CD-Player, wartet auf die Schlusstakte eines ausklingenden Chicago Smashers und wagt einen kurzen Blick in die Menge, ehe er mit einem untersetzten 80-BPM-Kehraus den Laden in kollektive Ekstase versetzt.
Kollege Aigner und ich gucken uns verduzt an. Was zur Hölle? Was ist das, was soll das – wir haben die Worte nicht. Der unbekannte Track, ein sanftes Drumgerüst, das den schwebenden Untersatz liefert für einen esoterischen Panflötenteppich, der sich auf drei Minuten immer wieder Raum lässt (schließlich schwebt er ja auch!) und mit dem wiederkehrenden Sample und einsetztendem Basslauf immer weiterzieht. Schweben, Teppich, ja, das sind die Klischees aus Tausend und einer Nacht, aber das war eben nicht irgendeine Nacht, es war diese eine. Gefühlte tausend mehr hat es dann schließlich auch gedauert, bis »Peeling An Orange In One Piece« auf Tonträger verweigt worden ist und auf dem grandiosen »House Of Woo« schier heraussticht.

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Ich will ja nicht wirklich daran glauben, dass im Sommer tatsächlich die Veröffentlichung des neuen The-Dream Albums bevorsteht. Zu häufig wurde diese in letzter Zeit nach hinten terminiert und unsere Vorfreude ( die Vorfreude echter Fanboys) jedes Mal aufs weitere getrübt. Dass der gute Terius seine Fans regelmäßig mit Free Tracks entschädigt, erweist sich dahingehend auch fast schon als kontraproduktiv, weil sich die Freude auf das Album nahezu ins Unermessliche steigert. Anyway, Free-Track-Objekt der Begierde des Februars ist das schmissige »Slow it down«, das sich nicht nur mit Project Pat’s »Drank and that strong« einen Zweikampf liefert um die eingängigste Hook des Monats (Slow it doooown, doooown dooown dooown), sondern noch folgende unterstützungswerte Forderung propagiert: Enough with the motherfuckings dance songs, DJ you gotta slow it down! Full support von dieser Stelle. Und weiter: Sollten seine Songs weiterhin nicht gespielt werden im Radiooooo, die weißen Mädels werden trotzdem darauf reiten wie ein Rodeeeeoooooo. Man muss ihn einfach gern haben.

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So ganz sicher sind wir uns immer noch nicht, ob die das Ernst meinen. inc. haben eine derart pathetisch, schmierige Ballade geschrieben, dass sich im schlimmsten Fall 2015 die Soundtrack-Redaktion von Grey’s Anatomy daran vergreifen könnte, gleichzeitig ist »Angel« aber auch ein Statement für weniger Ironie und große Gefühle. Oder sie sind einfach bessere Schauspieler als The Weeknd, wir wissen es nicht genau. Fest steht aber, dass »Angel« die einzige Möglichkeit ist, sich zu rasieren und dabei den autistischen Gosling-Blick aus Drive proben zu können, ohne sich selbst sofort dafür zu hassen. Danke dafür, inc.!

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Ninja Tune beschreibt Moire’s »Drugs« bildlich als als diesen surrealen Moment, in dem man beim Sonnenaufgang um 5 Uhr morgens auf einem Dach steht und über die Stadt blickt, und dermaßen gepackt oder wird, dass man sich weigert loszulassen. Das trifft es ganz gut, aber nicht ganz. Es ist eher der Moment, in dem man im Morgengrauen den Club verlässt, körperlich völlig verausgabt vom pulsierenden Rythmus, dem wummernden Bass und möglichweise auch von den illegalen Substanzen und geblendet wird von den Sonnenstrahlen der aufgehenden Sonne. Dieser Ausgenblick, shizophren und völlig gegensätzlich, ein Augenblick der Grenzerfahrung, der das Gehirn zu überfordern scheint, all das ist »Drugs«.

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Everyone? Kann raus.” Ja ja, der Okraj wollte Joakim und Kindness absehbarerweise nicht unbedingt hier vertreten sehen und das leuchtet eigentlich ein. Sowohl Kindness, als auch der erfahrene Franzose haben schon wesentlich überraschenderes und kreativeres produziert als »No Time To Waste«, einen eigentlich recht biederen Chicago House Throwback, der durch die mal an David Byrne, mal an Arthur Russell angelehnte Delivery des verkappten Haarmodels Bainbridge etwas zu offensichtlich ein Hit sein will. Aber: nach zwei, drei Durchgängen zwangssnobistischer Analyse merkt man auch wieder, dass all solche Dekonstruktionen Zeitverschwendung sind, wenn man auf einmal grinsend zu summen beginnt. Frühling, everyone?

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