Records Revisited: Bob Dylan’s Blonde On Blonde (1966)

16.10.2013
»Blonde On Blonde« ist das erste Doppelalbum der Rockmusikhistorie. Es ist am 16.5.1966 bei Columbia Records erschienen. Das war ein Montag und Janet Jackson erblickte das Licht der Welt.

Interessanterweise kann man sehr gut und auch klug über Bob Dylan reden, ohne seine Musik wirklich zu kennen. Ich musste feststellen, dass dieser Satz wahr ist, nachdem ich die These vor gar nicht langer Zeit an mir selbst verifizierte. Mein Bild von Bob Dylan war geprägt durch Ressentiments, entstanden durch von moralischer Aufrüstung kündenden Liedern, die bis ans letzte Lagerfeuer meiner Schulzeit sentimentale Untertöne mit erhobenem Zeigefinger zum Erklingen brachten; als auch durch die mir vermittelte Gewissheit, der Bob Dylan sei einer, auf den man sich leicht einigen könne. Auch diejenigen, die Popmusik als Bestandteil der Kulturindustrie und der Massenkultur verabscheuten. Aber der Bob, der war da irgendwie ausgenommen. Lange Zeit war ich der Ansicht, dieser common sense beruhe schlicht auf jener »political correctness«, die die mir bekannten Lieder umgaben, also der schmerzfreien Rhetorik von Fragen, die ihre Antwort immer schon enthalten: »How many times must the cannonballs fly/ before they are forever banned?« Heute muss ich sagen: da habe ich einiges übersehen. Insbesondere, weil ich Dylan leichtfertig mit dem Umfeld gleichsetzte, mit dem ich ihn assoziiert habe. Dabei wollte Dylan »kein Mitglied von irgendeinem Movement« sein, wie er selbst sagte, und er war es auch nicht; als Künstler hat er die Erwartungshaltung seiner Fans ein ums andere Mal enttäuscht, als Persona hat er sich sämtlichen, eindeutigen Zuschreibungen nach und nach entzogen. Nimmt man nur diese hier skizzierten Attribute, nämlich Bob Dylan als ein Grenzen attackierender, Strukturen hinterfragender, das Errungene umkippender Künstler, der zudem die performative Situation offen lässt, also verheimlicht, ob nun der Künstler selbst oder in einer Rolle spricht, so muss man von Bob Dylan als Popkünstler sprechen. Er hat dieses Prinzip im Pop ja eigentlich installiert und in Perfektion in sein Leben übertragen. So schlingert er stetig zwischen Bob Dylan und Robert Allen Zimmermann; hat keinen eigentlich festen Wohnsitz, sondern ist seit inzwischen 25 Jahren auf »Neverending Tour«; er ist als Mensch in etwa so unscharf wie die auf dem Artwork von »Blonde On Blonde« abgebildete Person. Man muss nur mal ein Interview von Bob Dylan aus den 1960er Jahren lesen. Auch hier werden die typischen Rollenverteilungen (Frager, Befragter) aufgehoben. Stattdessen erlebt man eher so einen Blick in eine »Szenerie«, ähnlich wie bei einem Film, wo man einfach mal mit der Kamera draufhält und dann wird geflachst, kommentiert, ironisiert, nichts eigentlich gesagt.

Was »Blonde On Blonde« von seinem Vorgänger (und auch Nachfolgern) unterscheidet, ist: seine Magie. Komposition, Gesang, Begleitung haben auf »Blonde On Blonde« eine geheimnisvolle Begegnung, die im Sound kulminiert.

Wenn jetzt hier von dem Album gesprochen werden würde, mit dem Bob Dylan wohl am ehesten gegen alle Erwartungen anging, dann würden sich diese Zeilen um »Self Portrait« (1970) drehen. Sein bestes Album ist allerdings »Blonde On Blonde«. Bob Dylan hat in den acht Jahren von seinem selbstbetiteltem Debüt bis zu »Self Portrait« elf Studioalben veröffentlicht. Es war seine gemessen an der Kreativität ergiebigste Zeit, mit den Jahren 1965 und 1966 als Höhepunkt. In diesen Jahren hat er sich künstlerisch gefunden und sich mit deutlichen Zeichen gegen die Vereinnahmung als Folk- und Protestsänger gestellt. Dem Purismus der Szene ist er beim Newport Festival im Juli 1965 mit der Benutzung einer elektrischen Gitarre entgegnet. Von seinen eigenen Fans wurde er ausgebuht, was scheinbar den Damm der angestauten Kreativität zum brechen brachte. Nach der elektrischen Gitarre, interessierte er sich vermehrt für den Nashville-Sound, mit seinen Geigen und Arrangements, dann gab es plötzlich zweistimmigen Gesang wie bei einem Schlager von Donovan, dann Kinderchöre, dann neue Spleens. Der Wendepunkt in seinem Schaffen, so formulierte es der Rockkritiker und wohl versierteste Dylan-Experte Greil Marcus, war das am 1965 erschienene »Highway 61 Revisited«, mit dem über 6 Minuten langen »Like A Rolling Stone« als Single. Ein unbestritten tolles Werk. Was das in mehreren Sessions von Oktober 1965 bis März 1966, zuerst in New York City, dann in Nashville, Tennessee aufgenommene »Blonde On Blonde« von seinem Vorgänger unterscheidet, ist: seine Magie. Komposition, Gesang, Begleitung haben auf »Blonde On Blonde« eine geheimnisvolle Begegnung, die im Sound kulminiert, »that thin, wild mercury sound«, wie ihn Dylan selbst beschreibt. »It’s metallic and bright and gold, with whatever conjures up.« Und dazu gehört auch eine gewisse Spontaneität, womit nicht nur der unmittelbare musikalische Einfall beschrieben werden soll, sondern gerade auch der sprachliche. Die gewöhnliche Sprache mit Leben zu erfüllen, die Alltäglichkeit des Sprechens an ihre Intensität zu erinnern – das macht gute Poplyrik von Blues bis Hip Hop aus und darin steckt auch der Moment, der ihn zu einem außerordentlichen Lyriker macht, orientiert an Beatpoeten wie Allen Ginsberg, mit dem er auch befreundet war. Der Höhepunkt in dieser Hinsicht ist vielleicht »Visions Of Johanna«, eine Dreiecksgeschichte zwischen zwei Frauen und einem Mann, und in seiner Figurenkonstellation in etwa die popmusikalische Antwort auf E.T.A. Hoffmanns »Der goldne Topf«, wie ja die Popkultur per se immer eine Antwort auf die Epoche der Romantik ist. Doch das ist eine andere Geschichte und sie soll ein anderes Mal erzählt erden.

Bisher in dieser Reihe erschienen:
Ornette Coleman’s The Shape Of Jazz To Come, 1959
Gil Scott-Heron’s Small Talk At 125th And Lenox, 1970