Zwölf Zehner – August 2013

09.09.2013
Willkommen im September. Doch vorher lassen unsere Kolumnisten vom Dienst den Monat August musikalisch Revue passieren und destillieren in ihrer Kolumne Zwölf Zehner die wichtigsten zehn Tracks des Monats.
»Control« ist die einzige legitime Wahl für die vergangenen Wochen. Punkt. Das liegt wenig bis gar nicht an Big Seans, uns gar nicht so unsympathischen, käsigen Punchlines, auch nicht an Jay Electronicas bestem Vers seit zwei Jahren und auch nicht an einem dieser No I.D. Beats, die es perfekt verstehen traditionalistische Loops mit einer fast schon Just Blaze’schen Wucht zu kombinieren. Nein, Control ist Hip Hop soziologisch so relevant wie zuletzt vielleicht »Ether« und das obwohl Kendrick Lamars Endlossvers, in dem er seinen Unmut über den Stand der Kunst mit ungewohnt heiserer The-Game-Delivery vorträgt, nicht halb so provokativ ist wie 95% Prozent des Outputs der Herren Kool Keith und Cam’Ron. Da aber größere Macht bekanntlich größere Verantwortung mit sich bringt, appelliert Herr Lamar hier eigentlich primär an den Sportsgeist derer, mit denen er in der letzten Zeit zusammengearbeitet hat und die momentan da sind wo oben ist. Dass Antworten auf Kendricks Herausforderung primär von abgehalfterten Mid-Millenium-Mixtape-Rappern erfolgten, ist ein bißchen so als würden sich auf eine Wutrede von Kalle Rummenigge nur Ewald Lienen und Ede Geyer zu Wort melden, zeigt aber, dass es hier für die Belle Etage nichts mehr zu diskutieren gibt. Und das hat man nun wirklich selten.

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Forest Swords
Engravings
Tri Angle • 2013 • ab 21.99€
Hätte es ihn vor zehn Jahren schon gegeben, wären meine Ninja Tune Platten vermutlich nie im undankbaren, weil eigentlich immer von mindestens einem Karton versperrten linken unteren Fach im Regal verschwunden. Forest Swords macht 2013 all das worauf ich nach RJD2s Deadringer dann vergeblich gewartet habe. »Ljoss« ist eines dieser Kleinode, das nie nach schnöden Downtempo Beats klingt, im Gegenteil: Forest Swords Musik entzieht sich in der Wahrnehmung vollkommen dem von Endtroducing etablierten Primat des Cut/Paste, jedes einzelne Element wirkt wie ein flüchtiger Live-Moment, seien es die Western-Gitarren, die gedubbten Vocals oder das gleich zu Beginn eingesetzte und rekurrierende Melodiefragment. Platte des Monats, aber ich wiederhole mich.

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In just jenem Augenblick, in dem ich diesen Text hier verfasse, hat der gute Hub Deezy diesen Track doch tatsächlich von Soundcloud verbannt. Also frei aus der Erinnerung: »Jeepazzhubbard« ist ein ganz und gar untypischer Hubert Daviz Track, der den inneren B-Boy beschwört. Ob den des Hörers oder den in Hub Deezy selbst, in beiden wird er drin sein. Ich habe es immer gewusst, dass der gute Mann nicht nur deep kann. Dann holt er auch mal den Funky Drummer, den er hinter den Untiefen seiner rumänischen Jazzsammlung in der dunkeln Ecke seines Plattenschranks versteckt, aus dem Schrank und sieht sich darin inspiriert, fortan die Uptempojazzschleifen frei aus seiner SP zu schleudern. Manch einer gerät da ins Schwärmen und wünscht sich den jungen Daniel Dumile zu frühen KMD-Zeiten auf der Vocalspur, Tape rein ins Autodeck und Ellbogen raus aus dem Fahrerfenster.

LISTEN (offline)

Funkinevil (Kyle Hall & FunkinEven)
Ignorant
Wild Oats • 2013 • ab 14.99€
»Ignorant« ist ein solch quintessentieller Funkineven-Track, dass man sich schon fragen kann wie groß Kyle Halls Input hier gewesen sein dürfte. 303 und 808 liegen sich in den Armen, diese typischen Funkineven Stop-&-Gos bereiten uns auf den nächst-höheren Squelch-Gang vor, dennoch ist da dieses ungeheuere Gespür für Reduktion und Minimalismus. Nicht dass Kyle das nicht auch könnte, aber die Rollen auf der A-Seite der neuen Funkinevil scheinen klar verteilt gewesen zu sein.

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Ein bißchen aufatmen darf man schon. Nachdem Spaceghostpurp in den letzten 18 Monaten primär als cholerischer Borderliner mit Zimmertemperatur-IQ auf unangenehmste Weise für Fremdschämen auf der Social Media Plattform deiner Wahl sorgte und nebenbei auch noch einige der wichtigsten Raider Klan Mitglieder verlor, bringt er sich mit dem »Outro-Beat« für das aktuelle Nell-Mixtape endlich mal wieder musikalisch ins Gespräch. Ich erkläre mir meine Faszination für das dort benutzte Hauptloop ja immer noch damit, dass auch dieses Taxi Driver entliehen wurde (was faktisch wohl nicht stimmt), es könnte aber auch einfach sein, dass SPG hier endlich den inoffiziellen Nachfolger zu Keepin It G des heutigen Intimfeinds A$AP Rocky gebaut hat. Schade dass das kaum einer zur Kenntnis nehmen wird, obwohl Nell an rappender Front seine Sache sehr ordentlich macht.

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Julia Holter
Loud City Song
Domino • 2013 • ab 19.19€
»Hello Stranger« ist so Julia Holter: ambitioniert, aber nicht verkrampft, referenziell aber extrem eigensinnig. Nun gut, eine werktreue Coverversion der Barbara Lewis Soulschnulze Hello Stranger aus dem Jahr 1963 durfte auch keiner ernsthaft erwarten, wie Holter hier aber mit Ausnahme der Lyrics vorhandenes vollkommen entkontextualisiert, lädt geradezu zu akademischen Circle Jerks ein. Für derlei Unfug haben wir hier aber keine Zeit, stattdessen notieren wir einen kolossal melancholischen Song, der geradezu danach schreit visuell adäquat umgesetzt zu werden. Sollte dies bis November noch nicht passiert sein, bleibt die Hoffnung auf Holters Konzerte in Deutschland und ganz viel Morgentau auf der spätherbstlichen Befindlichkeit.

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Dieser Gerry Read macht keine einfachen Tracks, die Mann produziert ausnahmslos Banger. Stets die Hi-Hat im Anschlag, den Bass im roten Freuquenzpegel und ein kurzes Vocalsample, das an der Aussgangslage keine Zweifel lässt: »U Got No God Damn Groove«. Bestechend dabei immer wieder, wie er in der Mitte den Druck rausnimmt und nonchalant ein elegantes Disco-Sample platziert, das sich jedoch gleich dem Wumms eines Basses wieder unterordnen muss. Bloß keine Missverständnisse aufkommen lassen. Das hier ist keine Musik für einfache Clubs, sollte Gerry Read mit dem Gedanken einer ganzen LP spielen, wäre Music for Warehouses ein mehr als geeigneter Arbeitstitel.

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Mike und Aaron von Protect-U glänzen auf dem Münchener Public Posession-Label, das 2012":http://www.discogs.com/Tambien-The-Tambien-Project/release/3758389 und “2013 für zwei unserer Lieblingsmaxis verantwortlich war, mit einem energetischen Remix für Bell Towers. Sehr verspielt, leicht zerhackt setzen sie hier den Bass, die Synth und die Crash-Hat auf den wuchtigen Drums ein und verabschieden sich für den Moment von ihrem doch manchmal sehr verproggten, trotzdem sehr geschätzten, Sound. »Lighttrail« hingegen ist im besten Sinne 4 to the Floor und erinnert irgendwie an aktuelle Produktionen von, ja, von diesem Greg Beato

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BNJMN
Hummingbird EP
Rush Hour • 2013 • ab 4.79€
Es ist schon ein kleiner Verdienst 140 BPM-Irrsinn als Autoren-Techno verkaufen zu können, aber ähnlich wie dem häufig mit ihm verglichenen Actress, gelingt es BNJMN auf »Hummingbird« sein stoisches Bassdrum-Korsett mit einem dissonanten Synth-Ensemble so zu kontrastieren, dass uns nach fünf Minuten noch nicht einmal aufgefallen ist, dass wir vergeblich auf Clap, Snare und Hi-Hat gewartet haben. Genau das macht Hummingbird zu einem Statement.

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Die bleichen Jungs von Phoenix gehen also in den Club und wollen – was sonst – Mädchen kennenlernen. Verschüchtert, viel zu enge Klamotten tragend, wie man sich diese Indie-Jungs eben vorstellt, stolzieren sie durch Dunkel und versuchen dem anderen Geschlecht zu imponieren. »Trying to be cool«, wie es so schön heisst. Da kommt so ein Typ rein. Nicht irgendeiner, nein, Kels heißt der, einer der ganz Großen, ach was, der Allergrößte und – oh snap – dieser Mann lebt auch diese Attitüde. Anschauungsunterricht gibt es es obendrauf, wie man mit den Frauen im Club umgeht: I’m gonna roll up to the club, I’m gonna holla at the honeys! Noch Fragen? Classic R. Kelly. Nach ein paar Shots hat jeder im Club eine gute Zeit. Auch die Jungs von Phoenix, auch wenn Kels die ganzen Frauen after Club noch auf die After-Party mitnimmt. Schließlich – wenn Kels feiert – dann haben alle eine gute Zeit. No exceptions. Phoenix haben sie, Kels hat sie, die Ladies haben sie und wir haben sie ohnehin. Kels bleibt der Größte.

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