Mo Kolours – Erstaunliches auf kleinem Raume

20.03.2014
Foto:Owen Richards / © One Handed Music
Mo Kolours hat soeben ein ungewöhnliches Debüt veröffentlicht. Das Album ist so flüchtig, wie viele Erfahrungen in der modernen Gesellschaft; die Tracks haben den stärksten Effekt, wenn sie gerade vorbei sind. Was soll das?

Es soll Menschen geben, die haben mehr als zwei Toiletten in ihrem Haus. Lil Wayne rappte mal: »Big house, long hallways, got ten bathrooms, I can shit all day, nigga«. Zehn Toiletten? Wayne wird weder den ganzen Tag sein Geschäft verrichten, noch dazu alle Toiletten benutzen. Aber man will ja immer viel von allem. Wenn man viel haben kann, nimmt man sich viel, weil man könnte es ja auch gebrauchen. Mit Alben ist es nicht anders. Man will 15 oder mehr Songs. Um schließlich nach vier davon die Aufmerksamkeit zu verlieren. Man ist nicht mehr in der Lage das Vorhandene in vollem Ausmaße zu genießen und tatsächlich wahrnehmen zu können. Von dieser Annahme geht auch Joseph Deenmamode aka Mo Kolours aus. Der Musiker aus London mit Wurzeln in Mauritius kennt das von sich selbst: »Sogar wenn ich ein Album von einem der ganz Großen höre, ertappe ich mich, wie ich durch die Songs skippe.« Damit dürfte Mo Kolours eine Wahrheit aussprechen, die auf viele Musikkonsumenten der vielzitierten Generation Y zutrifft, für die ADS die ersten drei Buchstaben im Alphabet geworden sind. Mo Kolours schlussfolgert darauf sehr nüchtern: »Wenn mich schon ein zertifiziertes Genie langweilen kann, wer wird sich dann erst hinsetzen und sich einen siebenminütigen Beat von mir anhören? Wen kümmert‘s?« . Deshalb ist Mo Kolours selbstbetiteltes Debütalbum die Antithese zum 10-Toiletten-Konzept geworden, hat sich Mo Kolours doch darauf beschränkt, nur das Notwendigste anzubringen und jede überflüssige Sekunde wegzuschneiden. Sehr realistisch und radikal hat er seine eigenen Hörgewohnheiten analysiert, sie auf das Publikum übertragen und mit seinem Debütalbum darauf reagiert. »Ich will, dass sich die Leute so fühlen als hätten sie vom letzten Beat nicht alles gehört. Auf eine Art und Weise antizipiere ich den Skip-Faktor«, erklärt er. Das Album klatscht uns eine Skizze hin, damit wir ein Bild haben wollen, speist uns mit Snippets ab, damit wir das wertschätzen, was vom Song überhaupt da ist.

CITI: Die Stärke des Albums ist es, dass es sich Subtilem widmet, wo eigentlich nur Zeit für Explizites bliebe.:### Immer weiter gehen, aber ständig zurückblicken

Mo Kolours bricht damit natürlich auch mit den Erwartungen, die man an ein Debütalbum hat. Anstatt den Sound der drei EPs, die dem Album vorausgingen, auszuformulieren, stoppt er ihn, bevor er anfängt zu schwafeln. Und: Es passt trotzdem rein, was raus muss. Im Zentrum stehen immer die Schlaginstrumente, drumherum scharen sich dubbige Basslines, schludriger Soul und jede Menge kleiner Geräusche oder Radio-Jingles. Mo Kolours baut in zwei Minuten immer etwas, in dem es um Melodie, Schönheit und Harmonie geht. Und just, wenn er es gefunden hat, springt er zum nächsten Song. Ist das nicht modern? Anstatt festzuhalten, macht Mo Kolours weiter. Wertschätzung entsteht meist erst in der Retrospektive. Man geht rastlos immer weiter und blickt dabei dämlicherweise ständig zurück. So beschreibt »Mo Kolours« typische Gefühle der Gegenwart – und bietet mit seinem warmen und exotischen Klangbild gleichzeitig einen Fluchtweg aus den Anstrengungen der modernen Welt. Und das ist die wirkliche Stärke dieses Album: Dass es widersprüchlich bleibt und sich dem Subtilen widmet, wo eigentlich nur Zeit für Explizites bliebe. »Das Schwierigste ist es, die subtilen ›Zwischenemotionen‹ festzuhalten; die Gefühle, die nicht klar definiert sind. All diese Emotionen sind es für mich wert durch Musik ausgedrückt zu werden«, sagt Mo Kolours. So mischt sich unter das Gefühl, am Strand zu sein und die Seele baumeln zu lassen, hier und da die latente Ahnung, dass etwas nicht Ordnung sei; die Alltagshektik sitzt einem im Nacken. Sirenen, der Wiederhall aus den Häuserschluchten der Großstadt. Erstaunlich, was auf kleinem Raume alles entstehen kann.