Arcade Fire – Live am 18.6. in der Wuhlheide in Berlin

23.06.2014
Foto:John Luas
Arcade Fire haben es längst in die Stadien geschafft und hier verkehrt sich das Indieprinzip der Band aus Montréal. Die Band wirkt ein wenig als würde sie sich selbst nicht wieder erkennen.
Während 15.000 Menschen vergangene Woche in die Wuhlheide und dort direkt zum Bierstand strömten, stand ein ziemlich verloren wirkender Owen Pallett auf der Bühne. Es ist der Auftritt des Violinisten, der später selbst in der Hauptband aufgehen wird, der Symbolkraft bestitzt an diesem Abend. Er passt nicht rein, der Sound sitzt nicht, nichts sitzt eigentlich – er ist ein unfreiwilliger Clown, die Emotionalität und Virtuosität seiner Songs geht eher an die Nervengrenze als ans Herz. Owen Pallet, der schon seit »Funeral« im Jahr 2004 bei Arcade Fire mitmischt, ist so ein Zeitreisender aus jenen Jahren, da Arcade Fire die Alternative und Indie waren. Einiges hat sich getan seitdem: Aus der Erfolgsgeschichte der Band spricht vielleicht folgender Fakt am ehesten Bände: Die Band war die erste Indieband, die in den USA mit einem Album von 0 auf 1 ging (»The Suburbs« 2011).

Nun also Arcade Fire in der Wuhlheide, mit einer Bataillon an Reflektoren im Bühnendach, die Anspielungen auf ihre letzte, erfolgreichste Platte »Reflektor« immer zum Greifen nah. Im Vergleich zu frühen Jahren ist die Bühnenshow zugeschnitten auf Win Butler und seine Frau Regine Chassagne, das hippieske Durcheinander der Band, von der nie jemand so genau sagen konnte, wie viele Mitglieder sie eigentlich hat, wurde zielgruppengerecht vereinfacht. Als Liveband überzeugt Arcade Fire, trotz der schlechten Abmischung an diesem Abend. Aber irgendetwas will einfach nicht passen. Irgendwo zwischen Band und Publikum macht sich ein Unbehagen breit.

Arcade Fire bleibt eine der besten Bands unserer Zeit, aber es gibt Momente, da wünscht man sich, es hätte sich nicht so weit herumgesprochen.

Zwar war die Musik der Band schon immer mit der großen Geste und der polyphonen Stärke stadiontauglich, doch war das Stadionhafte an Arcade Fire eher ein Zugeständnis an den Pathos als an den Mainstream. Denn Arcade Fire sind zu allererst eine lyrische Band, und darin besteht ihre Stärke. »Rebellion (Lies)«, »Wake Up«, selbst die Discoattitüde der letzen Platte: Wie lässt sich das auf der Berliner Kindl-Bühne der Wuhlheide vor 15.000 Menschen umdeuten? Subversiv ist hier nichts mehr, die Texte eine Fußnote der vielen visuellen Eindrücke, die man mit der Bühnenshow zu setzen versucht. So überwiegen am Ende nostalgische Gefühle – man sehnt sich nach den früheren Stücken. Nicht, weil »Reflektor« keine gute Platte ist, aber weil man die Wärme sucht angesichts des überwältigenden, unpersönlichen Umfelds.

Man kann der Band, die eine außergewöhnlich gute Liveband ist, keinen Vorwurf machen. Im Gegenteil: Ist es nicht ein Erfolg, ein gutes Zeichen, dass eine Band wie Arcade Fire an diesem Abend für alles Altersgruppen und die ganze Familie spielt und nicht etwa am Reißbrett entworfene Marketinggeschwüre der großen Labels? Ja, und dennoch bleibt da ein Rest von Nachdenklichkeit stecken und ein Befremden bei der um Kunstfertigkeit bemühten Choreographie, die immer wieder den Reflektionsgedanken der letzten Platte aufgreift und vielleicht ja auch deswegen schon die Reflektion des Ganzen in den Vordergrund rückt an diesem Abend.

Die großen Gesten sind jetzt tatsächlich groß. Der symbolische Gesang von »Wake Up« wird jetzt tatsächlich zu einem Stadiongegröhle. Das, was einmal subversiv gemeint war, ist jetzt aller Doppeldeutigkeiten beraubt. Arcade Fire bleibt eine der besten Bands unserer Zeit, aber es gibt Momente, da wünscht man sich, es hätte sich nicht so weit herumgesprochen.

Später am Abend spielt die Band noch einen mehr oder weniger geheimen Gig im Hof des Michelberger Hotels im Berliner Szeneviertel Friedrichshain – vielleicht auch, um nicht endgültig berechenbar zu werden, endgültig entzaubert zu sein – an Spiegeln und Selbstreflektion mangelt es dieser außergewöhnlichen Band jedenfalls nicht.