Aigners Inventur – Juni 2014

16.07.2014
Auch diesen Monat setzt sich unser Kolumnist vom Dienst wieder kritisch mit der Release-Flut auseinander, selektiert, lobt und tadelt. Any given month. Dieses Mal u.a. unter der Lupe: Cro, Young Thug, Throwing Snow und How To Dress Well.
Cro
Melodie
Chimperator • 2014 • ab 18.99€
Seien wir ehrlich: jeder Journalist, der in den letzten vier Wochen noch Zeit hatte irgendwas außer der FIFA WM zu verfolgen, dürfte mit Lebrons Feelgood-Brief bereits ausgelastet gewesen sein. Folgerichtig möchte ich gar nicht so tun, als wäre diese Inventur nicht stark assoziativ zwischen Welkes Dachterrassen-Zynismus, Jan Hofers willkommenen Reality Checks und dem Warten auf die nächste Hansi Flick-Pressekonferenz entstanden. Dem mag es auch geschuldet sein, dass wir direkt mit dem auf dem Papier schlimmsten beginnen: Cro, dieser CR7 des Deutschraps, diese Hassfigur aller selbsterklärten Auskenner, der Nani vom Bodensee. Klar, »Melodie« ist so fürchterlich wie Ronaldos Zackenfrisur aus Spiel 2, aber ganz ehrlich: am Ende ist Cro damit näher dran an Philipp Lahm, als uns allen lieb ist. Während wir ihn nicht Ernst nehmen, poliert er in einer viel zu großen und viel zu teuren Wohnung nämlich seine Platinplatten, während die Besserwisser, die ihre Huss & Hodn-Platten mit Eden-Hazard-Clips synchronisieren, alleine nach Hause gehen und schon wieder vergessen haben, den Wasserkocher zu entkalken.

Riff Raff
Neon Icon
Mad Decent • 2014 • ab 13.29€
Weiter mit Riff Raff aka Lukas Podolski. Mehr Self-Awareness als man glaubt, aber dabei so grundsympathisch, dass man dem cartoon’esken Charme halt doch einfach erliegen muss. Nun haben weder Poldi 2014, noch Riff Raffs Albumdebüt »Neon Icon« etwas Messbares vorzuweisen, aber irgendwie macht das Spiel ohne beide auch keinen Sinn. Da ist es auch nicht weiter schlimm, dass Riff Raff auf »Cool It Down« über etwas rappt für das sich vermutlich auch Kid Rock beworben hätte, den direkt danach legt er mit »VIP Pass To My Heart« das extrem hüftsteife Tumblr-Äquivalent zu »Atemlos« vor. Womit wir dann auch bei Matze Ginters ungelenke Überlebensversuchen beim Karneval am Brandenburger Tor wären.

Überhaupt, diese neue Generation. Young Thug ist Neymars Buchse, Young Thug ist Pogbas Iro, Young Thug ist Palacios ekliges Rattenschwänzchen, Young Thug ist ein Andre Schürrle Selfie, Young Thug ist Miguel Herrera nach einem Tor für Mexiko. Und so irritierend man all jenes finden mag: er ist hier um zu bleiben. Das zeigt auch wieder sein jüngstes Mixtape, auf dem er zwar ab und an nur im Mittelfeld rumeumelt, dann aber doch das entscheidende Ding mit der Brust annimmt, reinschiebt und danach nicht mal seinen Scheitel richten muss. #rapgamemariogoetze.

Madlib
Rock Konducta Part 2
Madlib Invazion • 2014 • ab 18.99€
Passiert aber alles nicht ohne väterlichen Rückhalt. Da sitzt also Otis »Jogi« Jackson in seinem Liegestuhl, macht Yoga und nimmt Miro Klose ein Udo Jürgens-Mixtape auf und alle sind sich einig: Er ist immer noch der Größte. Äh, Moment: ein paar Korrekturen: der Liegestuhl ist der Bombshelter, wir sind Miro Klose und Udo Jürgens ist obskurster Psych-Rock aus mehr Ländern als die WM-Teilnehmer. Dass Madlib immer noch einer der Größten ist muss hingegen nicht korrigiert werden, auch nicht wenn er sich als Rock Konducta vor Katrin Müller-Hohenstein versteckt.

D.K.
Drop
Antinote • 2014 • ab 13.99€
Apropos K.M.H.: ich hätte mir so sehr gewünscht, dass deren Fußfetisch-Plantsch-Reportaten aus dem deutschen Camp ausschließlich mit Tracks aus D.K.s »Drop« LP unterlegt worden wären. Das hätte diese sensationell geile Fernsehgarten-Atmosphäre mit geschmackssicherstem midtempo Throwback-House und Boogie Grooves wenigstens so konterkariert, dass man sich nicht jedes Mal danach direkt die Fremdscham mit einer kalten Dusche aus den Poren reiben hätte müssen.

Generation Next / Big Strick
Like Father Like Son (Album)
7 Days Entertainment • 2014 • ab 29.99€
Nun stehen weder die Kloses, noch die Podolskis im Verdacht einen besonders guten Draht nach Detroit zu haben, aber das, was dort Big Strick und sein Sohn Generation Next auf »Like Father, Like Son« veranstalten, ist eigentlich mindestens so drollig wie die Furcht der kleinen Kloses vor Frau Merkels Mundfalte oder Lil Poldis Elfmetertraining auf dem heiligen Rasen mit Vaddern. Nur dass Strick seinen Sohn eben früh an seinen Maschinenpark im Keller rangelassen hat und die beiden jetzt den reduziertest-unaufgeregtesten Detroit House der Gegenwart produzieren, wobei beim Senior die Kraft nur noch für die erste Halbzeit reicht und der Junior das Ding dann nach Hause bringt.

King Britt Presents Fhloston Paradigm
The Phoenix
Hyperdub • 2014 • ab 13.49€
Ein wenig Mitleid habe ich mit King Britt. Seit einer Ewigkeit macht jener nämlich großartige Dinge, als Fhloston Paradigm veröffentlichte er gerade auf Hyperdub ein tolles Album voll mit weirdem Space Age-House und kruden »Blade Runner«-Zitaten, das aber vermutlich in zwei Wochen schon wieder alle vergessen haben, wie Tim Cahills Anschlusstor gegen Holland oder Lavezzis erste Halbzeit am Sonntag.

Es sind andere Dinge, die im Kopf bleiben, beispielsweise Van Persies majestätisch ergraute Schläfen oder die absurde Geschichte hinter Aphex Twins »Caustic Window«. Nun hört und sieht man dieser Kuriosität durchaus die Abnutzungserscheinungen an, aber genau diese sind es ja, die uns häufig am meisten faszinieren (Schweinsteiger-Gladiator-Memes bitte an dieser Stelle einfügen).

Plastikman
Ex: Performed Live At The Guggenheim NYC
Mute • 2014 • ab 25.99€
Wenn diese aber chronisch werden, nähern wir uns gefährlich nah der Vorrunde und Richie Hawtin, ein Satz, den ich so auch nicht erwartet hätte je zu schreiben. So viel Häme wie der sich für sein aktuelles, im Guggenheim Museum performtes Plastikman -Album »Ex« gerade anhören muss, könnte man glatt meinen, dass die ganze Welt komplett verdrängt hat, was Richie Hawtin in grauer Vorzeit geleistet hat. Gut, aber andererseits: Wer grinste nicht wie ein 3-jähriger im Cola-Rausch als Spanien von »White Mamba« Robben gefressen wurde und die Italiener für ihre Signature-Pomadigkeit erneut abgestraft wurden?

Martyn
The Air Between Words
Ninja Tune • 2014 • ab 31.99€
Solche Gefühle löst Martyn hingegen nicht bei Menschen aus. »The Air Between Words« ist der Per Mertesacker unter den Alben des Monats, unaufgeregt, gut aufgestellt, ohne die ganz großen Glanzlichter, aber mit handwerklichem Geschick den ganzen Ableton-Übersteigern im Eins gegen Eins doch meilenweit überlegen.

Luke Abbott
Wysing Forest
Border Community • 2014 • ab 16.99€
Tragischer wird’s dann wieder mit Luke Abbott, der sich auf »Wysing Forest« ganz kurze Euphoriephasen mit allerlei zögerlichen Zwischentönen und einer melancholischen Grundverunsicherung zerschießt. Ein Album wie die Three Lions also, zudem auch, weil sich Abbott stets bewusst ist, dass er im Winter besser aufgehoben ist und mit dieser tropischen Sommerschwüle nichts am Hut haben will. An sich wären hier jetzt auch noch Gags in Sachen Abschlussschwäche notwendig, da Rooney ja aber doch getroffen hat, bleibt diese Punchline eingemottet.

Throwing Snow
Mosaic
Houndstooth • 2014 • ab 23.99€
Machen wir weiter mit der unausweichlichen Raumdeuter-Metapher. Die staubt Throwing Snow mit »Mosaic« ab. Ein Album, das viel versucht und irgendwie alles gut macht, auch wenn der ein oder andere Gesangsbeitrag oder hektische Breakbeat stacksig-storchiger wirkt als Müller im Sechzehner. Es mag in den gefühlt 30 Micro-Genres, die Throwing Snow hier streift jeweils andere Klassenbeste geben, aber das große Ganze im Blick habend, ist Mosaic ein faszinierend abgezocktes Album eines altklugen Jungspunds.

Lone
Reality Testing
R&S • 2014 • ab 19.54€
Ähnliches gilt für Lone, der sich für eine »Reality Test« einen James Rodriguez-Vergleich gefallen lassen darf, weil man auch bei ihm um seine Qualitäten wusste, aber nicht abzusehen war, wie leichtfüßig er hier mit Hip Hop und House jongliert und diese beiden Sozialisationseckpunkte so mühelos in den Knick hämmert wie auf Großteilen von »Reality Test«. Nun gut, es bestehen auch hier noch begründete Zweifel ob der langfristigen Champions League-Eignung, aber es soll ja auch Leute gegeben haben, die Jerome Boateng für langsam hielten.

Womit wir beinahe schon am Ende dieser Allegorien-Hölle angekommen wären. Noch aber ist die Schweinsteiger/Mascherano-Rolle zu besetzen, für die sich Shed im Head High Kostüm bewirbt. Kompromissloser Tackling-House ist das, von der Hemdsärmeligkeit her fast schon höwedesk, wer auf dem Flur ausgeknockt wird steht wieder auf und reckt die Faust nach oben. Man könnte jetzt hier noch mit Männersport-Keulen auf Mädchentechno einklöppeln, aber die Chauvi-Quote dürfte heute schon Sujet-mäßig völlig ausgereizt sein.

Sebastien Tellier
L'Aventura
Record Makers • 2014 • ab 22.99€
Bevor wir uns dem schönen Mats und dem großen Manu widmen können, quaken uns jetzt noch Giovane Elber und Fernanda Dings aka Sebastien Tellier und Arthur Verocai die Mär von brasilianischer Lebensfreude, Samba in Favelas und dem ganzen anderen Schmu, den man sich vor dem Gute Nacht Spiel um Mitternacht täglich bieten lassen musste. Das ist wahrscheinlich der undankbarste Vergleich, den sich »L’Aventura« je wird gefallen lassen, aber für mich ist Tellier viel viel überzeugender, wenn er sich in seiner ganzen Frenchiness suhlt anstatt hier den Samba- und Bossa-Versteher zu geben. Frankreich – Brasilien: 1-0.

How To Dress Well
What Is This Heart? Limited Deluxe Edition
Domino • 2014 • ab 25.99€
In meiner weltmeisterlichen Überemotionalität streichelte Mats Hummels übrigens Manuel Neuer in der gemeinsamen WG zum neuen How To Dress Well Album so lange die Wangen bis Neuer dieses stoische Grinsen entwickelte, das all die Higuains und Slimanes zu Kreisliga-Abschlüssen zwang. Dass dort in Wahrheit vermutlich auch wieder Uns Helene und der übliche Autoscooter-EDM lief, verdrängen wir an dieser Stelle ganz schnell. Aber: was wäre das schön gewesen, mit Manu, Mats und »What Is This Heart«?


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