We Are Shining – Ausprobieren, Nachahmen, Erkunden

20.11.2014
Auch wenn Morgan Zarate und Acyde längst keine Grünschnabel mehr sind: Mit »Kara« veröffentlicht das britische Duo ein gemeinsames Debüt als We Are Shining und findet zu seinem ganz eigenen Sound. Ein Interview über das Musikmachen heute.

Ende August erzählt BBC-Host Benji B in seiner Radio-1-Show voller Begeisterung vom jüngsten Besuch im Plattenladen seines Vertrauens. Ein rotes Cover habe da an der Wand hinter der Theke von Rough Trade East in London gehangen. Darauf abgebildet: eine Voodoo-artige Maske und der schleierhafte Schriftzug »Kara«. Die Verantwortlichen, die sich hinter dem Album des Monats verstecken, begleitet Benji B schon seit einiger Zeit. Nun schwärmt er von den ersten Erfolgen, die Morgan Zarate und Acyde gemeinsam als We Are Shining feiern und preist ihren psychedelischen Sound als konkurrenzlose Positionierung im derzeitigen Musikgeschehen an.

Tatsächlich klingt »Kara« wie aus der heutigen Zeit gefallen. Setzen wir also ein paar Jahre früher an: Anfang der 2000er produziert Morgan Zarate mit dem Sänger und Musiker Steve Spacek das Projekt Spacek. »Der reinste Fehler, ich wurde musikalisch vollkommen missverstanden«, erinnert er sich an die zwei Alben, mit denen er das Londoner Update futuristischen R’n’Bs liefern wollte. »Viele Leute meinten, das sei die beste Chill-Out-Musik überhaupt. Chill Out?! Ich dachte, das wäre die verrückteste Clubmusik – war sie natürlich nicht. Doch ich habe daraus gelernt: Wenn man unbedacht an die Musik geht, kommen zwar Missverständnisse auf, doch ebenso neue Ergebnisse dabei heraus.«

Unmissverständlich missverstanden
Jener Leichtsinn sei es auch gewesen, den Morgan in Acydes Stimme erkannt habe, als er dessen Rap-Part auf dem DJ-Vadim-Remix von DJ Cams »Innervisions« hörte. Also finden sich die beiden 2011 für erste gemeinsame Spielereien im Studio ein. Acyde bringt einen Sampler und eine krude Auswahl an Platten mit, Morgan Zarate frische Skills an den Synthesiszers, die er gerade auf Hyperdub ausleben darf, sowie jede Menge Produktionserfahrungen, die er in Los Angeles’ Hip Hop- und R’n’B-Szene mit Leuten wie Raphael Saadiq Musiq Soulchild oder Frank ’n’ Dank sammelte.

»»Uns hat eine Ära der psychedelischen Musik inspiriert, die einen Spirit der Unschuld zelebriert. Einfach ausprobieren, nachahmen und erkunden««

Morgan Zarate
Gemeinsam bastelt das Duo an ersten Produktionen, die sich in guter alter Hip Hop-Tradition an den Loop klammern, dabei aber ebenso krautig-psychedelische Gitarren- und Synth-Abfahrten feiern. Im Bekanntenkreis werden die Ergebnisse weitergereicht. Hier und da fällt ein Auftrag an, kaum einer will die versendeten Beats jedoch für ein eigenes Projekt. Stattdessen wird regelmäßig Begeisterung an »Hey You!« laut, einem Song, der von Einflüssen zwischen Can und den Neptunes bzw. N.E.R.D. Anfang der 2000er lebt und mit Acydes unverkennbar verhangenen Vocals den Weg bereitet für das Debütalbum von We Are Shining das dieser Tage erscheint.

Kein Hexenwerk
»Um ›Kara‹ zu hören, musst du offen sein. Hast du zu viele Regeln im Kopf, wird dich die Platte nur überfordern«, instruiert Morgan Zarate. In der Tat laufen auf »Kara« nicht nur unzählbare Einflüsse zusammen. Das Albums klingt weniger nach dem Resultat zweier Musiker, als vielmehr nach einer dreiviertelstündigen Jam-Session einer sechsköpfigen Stoner-Band, die auf der Couch fläzend ein bisschen viel über jüngste Madlib-Grooves sinniert hat. Morgan Zarate macht keinen großen Hehl um den Schwindel heutiger Produktionen: »Diese Musik zu machen ist einfacher als viele annehmen. Der Zauber heißt Multitracking: Du fängst mit einem Element an und baust mit weiteren Spuren darauf auf. Bevor du dich versiehst, hast du einen Track. Wir machen ziemlich ›basic shit‹.« Acyde erinnert sich wiederum an schlaflose Nächte des Arrangierens: »Du kannst heute so einfach Musik aufnehmen, hast aber am Ende unendlich viel zu bearbeiten. Wie früher nur auf vier Spuren aufzunehmen, kann von klarerem Vorteil sein. Man muss so spielen, dass es sitzt. Wir waren bei unseren besten Takes eher eingeschränkt. Und Entsprechend haben wir den Sound auch eher raw gehalten.«

Musik aus dem Niemandsland
Einmal angefangen über die Arbeit an »Kara« zu erzählen, geraten die beiden in einen Strom an Flashbacks und Anekdoten. Immer wieder scheint durch, wie essentiell das wortwörtliche Spiel mit der Musik gewesen sei: »Uns hat eine Ära der psychedelischen Musik inspiriert, die einen Spirit der Unschuld zelebriert. Einfach ausprobieren, nachahmen und erkunden«, postuliert Morgan das Mantra von We Are Shining. »In Ghana imitieren Leute Salsa aus Puerto Rico – das klingt am Ende nach unreflektierter Musik aus einem Niemandsland, die mich total fasziniert. Es geht um den Instinkt. Musik sollte zuerst mit dem Herzen und dann mit dem Kopf produziert werden.«

Konsequenter Weise versucht man im Studio auch die Gäste auf besagten Mindstate zu bringen, wenn nötig unter Mithilfe der Minibar: _»Wir wollten die Sängerinnen dazu bringen, dass sie verrückte Geräusche machen. It kind of freaked them out. Sie würden sowas sonst nur beim Gesangsunterricht machen. Aber das war genau, wo wir hin wollten: mad vibes, primal shit. Ich habe mir im Zuge des Albums alte Platten von Gato Barbieri angehört, die früher bei meinem Vater liefen, etwa den Soundtrack des Films ›Last Tango In Paris‹. Darauf sind argentinische Balladen über die im Hintergrund ständig Leute schreien. Solche Einflüsse haben uns als Duo letztlich zusammengebracht. Denn man trifft nicht so oft auf Leute, die sagen: ›Oh, du stehst auch auf Geschrei? Wicked!‹.«_