To Rococo Rot – Live am 29.12. im HAU1 in Berlin

06.01.2015
Foto:Kristoffer Cornils / © hhv.de mag
Nach 19 Jahren ist Schluss. Kein Grund, Trübsal zu blasen dachten sich To Rococo Rot und schmissen ein unaufgeregtes Abschlusskonzert im Berliner HAU1, bei dem noch jedes Auge trocken blieb.

Alles halb so wild. Wenn wir einen Blick auf 2014 mit all seinen Krisen im nächsten, nahen und mittleren Osten, den vielen Toten und katastrophalen Entwicklungen zurückwerfen, dann ist das nicht mal der Rede wert. Selbst in der Musikbranche gab es gravierendere Klagen zu vernehmen. Da war das neue U2-Album und eine traurig hohe Anzahl verfrühter, unverschuldeter Tode. Dagegen wirkt so eine freiwillige Aufgabe wie das geringste Übel dieser letzten zwölf Monate, die von der Zeitschrift Spex elegant mit dem Wort »Scheißjahr« zusammengefasst wurden.

Und doch: Das HAU1 ist heute restlos ausverkauft. Vom Pop-Theoretiker Diedrich Diederichsen über Schauspieler Robert Stadlober bis hin zu einem Typen, der J Mascis zumindest verdammt ähnlich sieht, drängelt sich eine ganze Riege von nicht-mehr-ganz-jungen bis mittelalten mehr oder minder prominenten Indie-Menschen durch die Räumlichkeiten des Berlin-Kreuzberger Theaters, weil sie To Rococo Rot ein letztes Mal sehen wollen. Als gäbe es nichts Schlimmeres als die Auflösung dieser Band.

Gegen das Prinzip Hit
Dass To Rococo Rot mit seinem Abschiedskonzert an diesem klarkalten Dezemberabend ein von Pausenglocken umrahmtes Set vor einer Insider-Crowd spielt, ist geradezu bezeichnend. In mehr als 20 Jahren, über gut neun eigenständige Studioalben und zahlreiche Kleinreleases und Kollaborationsplatten hinweg haben sich To Rococo Rot nämlich keinen einzigen Hit erlaubt. Die vom Düsseldorfer Stefan Schneider mit den Brüdern Ronald und Robert Lippok im Jahr 1995 gegründete Band positionierten sich gegen das Prinzip Hit. Ähnlich wie die Chicagoer Szene um das Label Thrill Jockey und deren damaligen Zugpferde Tortoise nahmen sich die drei zwar Rockinstrumente zur Hand, ließen die Allüren aber zu Hause. Stattdessen gingen To Rococo Rot stoisch wie Minimal-Musiker, cool wie Jazzer und abgeklärt wie Electronica-Frickler an ihr experimentelles, repetitives Songwriting, dessen Charakter schon in ihrem Projektnamen widerhallt: To Rococo Rot, ein hochrhythmische Klangspielerei, der sich von vorne wie von hinten gleich liest – ähnlich zirkulär wie ihre meist um ein einziges Bassriff Schneiders tänzelnden Tracks, die sich selbst in den Schwanz zu beißen scheinen.

To Rococo Rot rollen einen fetten, tanzbaren Grooves im Raum aus. Das wurde leider viel zu oft überhört: Die Körperlichkeit dieser großartigen Musik, die heute ein letztes Mal zu spüren ist.

Damit lassen sich Feuilleton- und Muckerherzen, nicht aber unbedingt ein Stück vom großen Kuchen gewinnen, wie es sich auch heute zeigt. Nicht, dass das To Rococo Rot jemals gestört haben dürfte. Auch ihr Ende nehmen To Rococo Rot bescheiden hin. _»Das fiel uns ziemlich leicht. Wir spürten, dass es nicht mehr weitergeht. Bevor wir unsere Freundschaft riskieren, haben wir die Band lieber aufgelöst«, erklärte Ronald Lippok, der neben den Drums bei To Rococo Rot wie sein Bruder Robert für die elektronischen Elemente verantwortlich ist, gegenüber der Berliner Stadtzeitschrift tip Stefan Schneider habe das erst im Sommer bei der immer-mal-wieder-Labelheimat City Slang veröffentlichte Album »Instrument« nicht gefallen, es war ihm nicht innovativ genug. Dass No-Wave-Legende Arto Lindsay mit seinen Gesangseinlagen die Band in Richtung Song (und damit vielleicht sogar: Hit?) bugsiert hatte, mag dem vielleicht noch zugetragen haben. Es reichte zumindest für eine Trennung im Guten.

Es geht immer noch mehr Understatement
Das alles wird an diesem Kreuzberger Abend nicht weiter aufgebauscht. Die Lippok-Brüder treten anfangs kurz ans Mikrofon, nuscheln ein paar Wörter und geben die Bühne für die schottische Band The Pastels frei. Deren Sänger und Gitarrist Stephen McRobbie nuschelt noch stärker, wenn er zwischen den sich ewig hinziehenden Shoegaze-Lamenti der Band ein paar Erinnerungen zutage befördert. Irgendwas mit Alkohol, den Peel Sessions und blargargel, er, um, anyway, this one’s called… Es ist ein Auftritt, nicht unähnlich einer Szene aus der Verfilmung von »High Fidelity«: süß, referenzreich, gefühlsduselig. Leider fehlt Jack Black der die Band aus ihrer verslackten Schluffigkeit erwecken könnte.

Nicht, dass To Rococo Rot unbedingt mehr Show bieten würden. Robert Lippok lässt sich zwischen den Stücken nonchalant bei der Brillenwahl (»die sehen beide gleich aus, eine sitzt aber schief!«) beraten. Geht noch mehr Understatement? Klar, immer doch. »Lösen wir uns jetzt auf oder spielen wir noch einen?«, rätselt er in Richtung seiner süffisant grinsenden Mitmusiker. Dann spielen To Rococo Rot ihre allerletzten Stücke, die sich wie die vorigen nicht allein aus dem neuen Album speisen, sondern bis zum Debüt von 1995 zurückreichen. Während die markanten Basslines von Stefan Schneider sich mit dem geschwungenen Drumming von Ronald Lippok und den elektronischen Noiseskapaden von Robert Lippok zu eigenartigen Anti-Hits zusammenfügen, rollen To Rococo Rot fetten, tanzbaren Grooves im Raum aus. Das wurde leider viel zu oft überhört: Die Körperlichkeit dieser großartigen Musik, die heute ein letztes Mal zu spüren ist.

Fast peinlich berührt von der ihnen entgegenschlagenden Begeisterung verlassen To Rococo Rot nach anderthalb Stunden die Bühne. Mit verlegenen Grinsen im Gesicht, als wollten sie abwinken: Alles halb so wild. Es gibt nun wirklich Schlimmeres als eine Bandauflösung.