Planet µ (Planet Mu) folgte nie einem Plan. Aber erreichte Revolutionäres

26.02.2015
Eigentlich wollte Mike Paradinas nur einen guten Freund veröffentlichen. Daraus wurde in den Nullerjahren die Heimat für Grime, Dubstep, Breakcore, Acid, glitchy Shoegaze und Footwork. Dieses Jahr wird Planet Mu 20 Jahre.

Wenige Label waren in den letzten zwei Jahrzehnten so wegweisend, wandlungsfähig und zugleich authentisch wie Planet Mu (eigentlich: Planet µ.) Wer Grime und die etwas eigenwilligeren Schattierungen von Dubstep entdecken wollte oder sich danach zu Footwork die Beine zu verrenken gedachte, der kam nicht an Planet Mu vorbei. DJ, Moderatorin und John Peels legitime Nachfolgerin Mary Anne Hobbs präsentierte hier 2006 bis 2009 in drei Teilen die Wandelungen der Bass Music vom rauen Minimalismus zum melodiösen Wonky. Selbst Breakcore sowie die Revival von Acid und zuckersüßem 80s Electronic Pop wurden unter dem µ-Symbol mitgedacht und zelebriert.

Labelgründer Mike Paradinas, der unter seinem Künstlernamen µ-Ziq auch als Musiker zu einigen Ehren gekommen ist, hat es stets geschafft, sein Label ehrlich und konsistent wirken zu lassen – ganz anders als seine Wegbegleiter von Warp oder Ninja Tune, die phasenweise echte Identitätskrisen bewältig(t)en. Bei Mike Paradinas und Planet Mu ging es nie darum, den nächsten Hype oder die neueste Revolution anzustoßen – selbst wenn er einige Hypes und Revolutionen in der Musik mit in die weite Welt getragen hat.

Der Erfolg des Wohlwollens


Vielleicht liegt es daran, dass Mike Paradinas es immer ruhig angehen ließ, weniger aufsehenerregend und vorlaut als die anderen. Entscheidungen fielen eher aus Musikverliebtheit, als aus Hipnessgelüsten und Marketingstrategien. »Als ich Planet Mu 1995 [als Sublabel von Virgin Records] startete, war ich sehr idealistisch und voller Ideen«, erinnert sich Mike Paradinas.

Virgin war da etwas verhaltener, gab Planet Mu eine schlechte Distribution und ließ Mike Paradinas drei Jahre quasi in Hausarrest nur seine eigene Musik veröffentlichen. Das passte nicht gerade zu der Vision des damals Mittzwanzigers, einen musikalisch vielfältigen Hub für spannende Sounds aufzubauen. Wahrscheinlich hatte man aber auch eine sehr unterschiedliche Definition von Erfolg. »Ich kann mich nicht wirklich erinnern, was ich 1995 erreichen wollte. Ich hatte keinen festen Plan, außer großartige Musik zu veröffentlichen. Ich denke, ich wollte, dass wir ein erfolgreiches und langlebiges Label werden. Unser Erfolg ist aber eher einer des Wohlwollens – und damit kann ich sehr gut leben«.

»»Ich kann mich nicht wirklich erinnern, was ich 1995 erreichen wollte. Ich hatte keinen festen Plan, außer großartige Musik zu veröffentlichen. «

Mike Paradinas von Planet Mu

Dieses Wohlwollen bedeutet für Mike Paradinas vor allem, Musik zu veröffentlichen, die er einfach für so gut befindet, dass sie dringend eine Heimat und die Ohren der Menschen finden muss. So war es denn auch der fantastische IDM-geschwängerte Drum & Bass eines befreundeten Mancunians, der Mike Paradinas dazu anstachelte, das Schattendasein als Virgin-Sublabel zu beenden und Planet Mu endlich mit Leben zu besiedeln. Nach dreijähriger Inkubation im Konzerngeflecht markierte die Juni 1998 veröffentlichte »Type Xero EP« von Jega die eigentliche offizielle Geburt des Independent Labels Planet Mu.

Brutale Beats und Pop


Die Vorliebe für brutale, zerbrochene Beats hat sich Planet Mu bis heute behalten. Anfang der Nuller Jahre prägten nach sehr zurückhaltenden Anfangsjahren die brachialen Rhythmuskonstruktionen von Venetian Snares, Remarc, dem wiederentdeckten Bizzy B. und Shitmat das Klangbild. 2004 tauchte mit Mark One der erste Wink Richtung Grime auf. Ein Jahr später läuteten Vex’d die Ära des Dubstep ein, die auf Planet Mu über mehrere Jahre eine Stilvielfalt sondergleichen entwickelte. Footwork setzte schlussendlich 2010 mit DJ Nash das erste Mal einen Fuß auf europäisches Land – lange bevor all die anderen etablierten Labels auch nur Wind davon bekommen hatten. Zwischendrin mischten Luke Vibert und The Gasman das Acid Revival auf. Oriol machte den 80s Pop erträglich. Rudi Zygadlo, Tropics und Julian Fane gaben Shoegaze etwas mehr Glitch, und The Kilimanjaro Darkjazz Ensemble verbanden Breakcore mit Drone und Jazz.

Reviews zum Künstler

Cutting Edge aus dem Bauch heraus


Damit hat Planet Mu es immer geschafft, das zu sein, was die meisten nur gerne von sich behaupten: cutting edge. Wo alle anderen groß posaunen, bleibt Planet µ immer demütig, als wäre die ständige Suche nach Entwicklung das natürlichste auf der Welt. Der entscheidende Unterschied? Bauchgefühl statt Kalkül! »Ganz ehrlich? Wir sind da einfach immer drüber gestolpert«, gesteht Mike Paradinas. »Wenn du rund um die Uhr Musik hörst, geht es dir einfach in Fleisch und Blut über zu wissen, was wichtig ist und Wert hat und was nicht. Wenn ich mir also etwas anhöre, muss es etwas in mir bewegen – egal, ob es das tut, weil es musikalisch gut ist, für unsere heutige Zeit relevant ist oder weil es in einem bestimmten Verhältnis zu vergangener Musik steht«.

Mike Paradinas hat sich dabei immer auf die Kreativität und Vision der Künstler verlassen. Die kreative Kontrolle hat er nie übernommen. In Summe kann man das Leben auf Planet Mu wohl als Symbiose zwischen Musiker und Label verstehen. Das Label soll »ein nützliches Zuhause sein, das die Künstler unterstützt, ihre musikalischen Ambitionen zu erfüllen«. Und die Künstler müssen ganz einfach »die Meister des Mu zufrieden stellen«. Aufnahmeanträge in dieses Paradies nimmt Mike Paradinas noch immer wohlwollend an.