Retrogott & Hulk Hodn live – Alles geben, aber niemals alles hergeben

25.04.2016
Foto:Christopher Ratter
Schon als alles begann, gab es da nicht viel zu sehen: Ein Video in schwarz-weiß, darin ein Typ mit einem Mic, ein zweiter an den Plattentellern, ein paar Homies stehen drum herum. Viel hat sich nicht geändert. Zum Glück.

»Hurensohnologie/ Pornofilmkäse« traf mit seiner Schlichtheit einen Nerv. Es blieb das einzige Video zu Retrogotts und Hulk Hodns Debütalbum »Jetzt schämst du dich«.

Fast zehn Jahre und ein paar Langspieler später hat sich an der Herangehensweise der beiden Kölner nicht viel geändert. Selten geben sie Interviews, bespielen nur sparsam Twitter und co., ihre Musik sucht man vergeblich auf Spotify, bekommt sie erst recht nicht bei Amazon im Aluminiumschieber mit Stickern, Shirt und Kaffeetasse. Mehr noch: Ihr neues Album »Sezession!« verkaufen sie nun ausschließlich auf den Konzerten ihrer Tour.

Berlin an einem Mittwochabend: Bereits etliche Meter vor dem hellerleuchteten Eingang des SO36 zieht sich lange vor Konzertbeginn eine Warteschlange die Oranienstraße entlang. Die Resttickets sind nach wenigen Minuten weg. Ausverkauft. Wie fast alle Konzerte der beiden.

Als der Retrogott kurze Zeit später die Bühne betritt, hat er seine Cap nach hinten gedreht und schleift einen Plattenkoffer hinter sich her. Er wirkt zurückhaltend, fast schüchtern, macht zunächst ein paar ironische Anspielungen auf das Berliner Publikum und singt dann eine reichlich absurde Persiflage der Nationalhymne. »Sezession« bedeutet so viel wie »Abspaltung« oder »Abgrenzung« und genau so wirken auch die ersten Minuten der Show: Wie eine bewusste Antithese zu den farb-, licht- und kraftstrotzenden Rapshows heutiger Tage.

Für genau diese Attitüde sind die Leute gekommen und doch: Der Funke springt noch nicht über. Die Gesichter bleiben erwartungsvoll, die Euphorie bleibt noch aus. Das liegt zum einen an der Dramaturgie des Konzerts: Das Duo beginnt die Show mit Tracks vom neuen Album, die die wenigsten schon kennen. Woher auch? ###CITI:»Im Konzertsaal hört man die Gehirngänge mahlen.«:### Zudem hat sich der Retrogott im Vergleich zu älteren Releases noch einmal weiter entwickelt: Seine Parts sind immer noch voll von sprühenden Sprachwitz, aber bei weitem nicht mehr so auf Battlerap und Punchlines getrimmt, sondern politischer; durchwoben mit Verweisen auf kunstgeschichtliche Motive und gesellschaftliche Diskurse. Das ist live nicht immer so leicht bekömmlich. Im Konzertsaal hört man die Gehirngänge mahlen, angesichts von Lines wie:

»Wohin führt der Grenzgang, in dieser Blackbox von hellseherischen Bänkern?
Ich vergaß, warum ich wissen wollte weshalb
und klopfte mir mit Thors Hammer ein Schnitzel vom goldenen Kalb.
Alles wird verwertet, selbst die Entwertung von Werten
lässt sich umwerten und so werfen wir den Schein auf dunkle Gestalten,
die uns für so dumm verkaufen, für wie wir sie halten.«

Die alten Songs schließlich bringen neuen Schwung ins Publikum. Auch der Retrogott taut auf, gewinnt Track für Track an Spontanität und Improvisationswut und erweist sich bald als herausragender Entertainer, der in der Interaktion mit dem Publikum vollends aufblüht. Immer wieder streut er Freestylparts ein, variiert altbekannte Punchlines, was die Menge regelmäßig in ein kollektives Raunen versetzt.

So war es am Ende, wie es seit 2007 mit den Retrogott und Hulk Hodn ist: Sie haben genau das gegeben, was sie zu geben bereit waren. Nicht mehr. Und das ist in einer Zeit wie der heutigen eine ganze Menge wert.