Bohren & The Club Of Gore – »Wenn die Töne viel Zeit und Raum haben«

11.01.2017
Foto:Kim von Coels
Für viele sind sie Meister. Für viele sind sie langweilig. Für manche beides. Eines aber steht fest: niemand sonst klingt wie Bohren & The Club Of Gore. Im Spätherbst ’16 und im Winter ’17 sind nun drei Alben der Band neu erschienen.

Draußen regnet es, der Himmel ist müde und schwer, kalt-nasses Schmuddelwetter. Drinnen, in dem Lokal, das sich Mort Gass, Robin Roddenberg und Christoph Clöser ausgesucht haben, ist es hingegen gemütlich. Während die beiden erstgenannten extra aus Mülheim an der Ruhr angefahren kamen, wohnt Clöser ganz um die Ecke – hier in Köln.
Abgesehen von einem skypenden Engländer und sehr vielen Büchern, sitzen wir alleine zu viert bei Kaffee und Tee (Keltische Mischung) am Tisch. Das Licht ist warm, die Heizung auch. Und trotzdem bleibt da dieses Frösteln. Weil man das Gefühl hat, der Winter könnte jederzeit durch die Scheiben brechen, über die Türschwelle kriechen.

Diese Situation und unser Empfinden passt sehr gut zum Sound von Bohren & The Club Of Gore. In ihrer Musik verdichten sich Jazz, Drone und Ambient zu etwas, das einen ganz und gar umhüllt: wie hier und jetzt der Raum und sein Licht, in dem wir sitzen. Gleichzeitig trägt die Langsamkeit ihrer Musik auch immer eine Spannung in sich. Die Spannung vielleicht, dass die Dunkelheit, die da in der Ecke schwelt, bald alles eingenommen haben könnte. Dass die Kälte, die da zwischen den Noten sitzt, bald auch den letzten Ton eingefroren haben könnte.

Es gibt kaum ein Vergleichsmaß für Bohrens Musik. In vielen Momenten ist sie Fahrstuhlmusik, »Langweilige Instrumentalmusik aus dem Revier« schrieb Gass selbst-ironisch einst auf seinen ersten Flyer. Aber es ist Musik für einen Fahrstuhl, der in die Tiefe fährt, viel tiefer als ins Untergeschoss, tiefer und tiefer, bis kein einziger Lichtstreifen mehr die Dunkelheit spaltet.

In den 2000er sind Bohren damit zum Geheimtipp des Bürgertums geworden. Nun, im endlich mal wieder so richtig kalten Winter 2017 erscheint die letzte von insgesamt drei Reissues. »Sunset Mission« »Black Earth« und »Geisterfaust« sind im Original entweder unbezahlbar – oder nicht auf Vinyl erschienen. Neben den Alben ist auch eine besondere Compilation erschienen.

Vor ein paar Monaten ist eine Compilation mit euren Stücken veröffentlicht worden. Aber es ist keine »Best-Of«, sondern eine »Bohren for Beginner« geworden. Wie kommt’s?
Christoph Clöser: Stefan Strüver von PIAS Germany hat für sich privat, soweit ich weiß, mal eine CD zusammengebastelt und die im Büro laufen lassen. Und die Resonanz war wohl sehr positiv. Wie abwechslungsreich das dann doch ist, was wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten gemacht haben. Dann ist das Label an uns herangetreten und wir fanden die Idee gut. Aber es ist unbedingt als Werkschau, als Einblick, zu betrachten, aber eben nicht als »Best-Of«.

Ich habe es als sehr positiv empfunden, dass die Platten zwar jetzt alle kommen, aber nicht so ein Aufriss gemacht wurde. Die »Bohren for Beginner« und dann die drei Reissues: »Sunset Mission« von 2000, die »Black Earth« von 2002 und die »Geisterfaust« von 2005. Man kann nach und nach seine Plattensammlung vervollständigen.

»Bei »Black City Skyline«, da denkt man schon immer noch: Boah.«

Christoph Clöser
Christoph Clöser: Was denn auch sonst? Sollen wir da einen Event machen?
Mort Gass: Also die »Sunset Mission« und »Geisterfaust« waren halt nie auf Vinyl erschienen, und »Black Earth« ist kaum erschwinglich. Das wollten wir ändern.
Christoph Clöser: Die Reissues lagen uns am Herzen. Das war für uns unbedingt wichtig. Das A und O sozusagen. Das Interesse schien auch auf der Seite des Publikums immer dagewesen zu sein.

Habt ihr euch im Zuge der Wiederveröffentlichung nochmal mit euren alten Werken auseinandergesetzt?
Robin Roddenberg: Christoph hat sich zumindest die Testpressungen ganz genau angehört.
Christoph Clöser: Also wenn man genau hinhört, fallen einem schon Dinge auf. Uns war zum Beispiel nicht annähernd klar, was für irre Nebengeräusche auf »Geisterfaust« sind. Und auf CD waren die auch gar nicht so intensiv zu hören. Und tatsächlich überlegt man ja auch wie man die Stücke logisch auf vier Plattenseiten verteilt.
Mort Gass: Ich kann zum Beispiel sagen, dass ich die immer noch überraschend gut finde.
Christoph Clöser: Das überraschte dich?
Mort Gass: Ja schon. Manchmal ändert man seine Meinung im Laufe der Zeit, aber …
Christoph Clöser: Also wenn überrascht, dann ja wohl total positiv. Bei »Black City Skyline« [auf »Sunset Mission«], da denkt man schon immer noch: Boah.

Auch für uns als Hörer ergibt sich die Chance euch nochmal auf Mark und Bein zu testen. Und sowohl die großen als auch die kleinen subtilen Veränderungen nachzuvollziehen.Und es wird einem auch ganz schnell klar, dass das alte, euch zugeschriebene Bonmot »Other bands …«
Christoph Clöser: »…play, Bohren bore«. Der ist so grauenhaft der Spruch. Und er wird immer wieder zitiert.

Ja, leider auch von mir für die Review der »Sunset Mission«. Sorry dafür.
Mort Gass: Ich soll den ja gesagt haben. Weiß ich gerade auch gar nicht wann.
Christoph Clöser: Da gibt’s noch das andere Zitat, dass wir zum Publikum gesagt haben sollen: »Dass ihr heute zum Konzert gekommen seid, und die Zeit dafür aufbringt…«

Das sind die großen Mythen wahrscheinlich, die irgendwann entstehen.
Mort Gass: Man kann fairerweise sagen, dass wir am Anfang davon ausgegangen waren, dass die meisten Leute unsere Musik als sehr langweilig empfinden könnten. Auf dem ersten Flyer, den ich gebastelt hatte stand »Langweilige Instrumentalmusik aus dem Revier«.
Robin Roddenberg: Die Veranstalter wollten das auch seltsamerweise so nicht stehen lassen.

Aber der Erfolg heutzutage…
Christoph Clöser: Genau. Es gibt da schon erstaunlich viele Leute, die damit was anfangen können. Es gibt natürlich bis heute viel mehr Leute, die damit gar nichts anfangen können. Da muss man die Kirche im Dorf lassen. Ich hätte aber ganz persönlich nie gedacht, dass es so viele Leute wertschätzen werden.

»Wenn die Töne viel Zeit und Raum haben. Immer ein sehr schöner Rahmen.«

Christoph Cläser
Mal was Anderes: Das Jahr 2016 war ja durch große politische Umwälzungen und Krisen weltweit gekennzeichnet. Ist das eigentlich ein Thema für eure Arbeit?
Mort Gass: Für mich eher nicht.
Christoph Clöser: Das sehe ich dann schon anders. Jeder Akt, auch jeder kulturelle Akt, ist ja ein politischer. Das kommt ja auch drauf an, was man unter Politik versteht. Aber wir werden nicht mit Fahnen auf der Bühne erscheinen oder sowas. Das wär auch albern. Ich sehe da erstmal als unsere Aufgabe, dass wir das, was wir machen, so gut wie möglich machen. Und dann entstehen dabei Platten. Und der Rest obliegt dann der Deutung anderer.

Ihr habt da aber keine – wenn auch versteckte Agenda – bei der Idee für eine neue Platte. Wenn dann da eine neue kommt.
Christoph Clöser: Unsere Herangehensweise ist eine andere, genau. Und ja, da kommt auch noch eine neue Platte. Also der Titel steht schon Mal. Den verraten wir aber nicht.
Mort Gass: Wir kommen da tatsächlich allein vom Titel. Der beschreibt aber eher eine Szene.
Robin Roddenberg: Eine Stimmung.
Christoph Clöser: Wie ein Licht. Und dann lassen wir den sacken. Denken nach.

Der Prozess für eine Platte kommt also komplett ohne Jam aus? Hoch konzentriert und konstruiert dann?
Christoph Clöser: Ja genau. Gottseidank. Das könnte man auch gar nicht jammen.

Ihr habt ja vor einiger Zeit für die PIAS-Nite in der Passionskirche gespielt…
Robin Roddenberg:…tatsächlich hat das sehr gut funktioniert. Bei größeren Massen hast du gerade bei so einem musikalischen Ansatz, wie dem unsrigen, häufiger mal so eine gewisse Unruhe. Aber da waren alle sehr diszipliniert – und gleichzeitig sehr enthusiastisch.
Christioh Clöser: Generell war das aber nicht unbedingt etwas Neues in einer Kirche. Das ist ein Ort, der uns schon nahe steht. Wenn die Töne viel Zeit und Raum haben. Immer ein sehr schöner Rahmen.

Schließt sich denn eine Tour an?
Christoph Clöser: Wir spielen standesgemäß nicht so oft. Wir werden aber schon noch Shows spielen, auf die wir uns dann auch freuen. Die laufen aber unverändert ab. Also auf die Frage davor zurückzukommen: Wir spielen ja eh ein Set, das gemischt ist. Das auf live ausgelegt ist und nicht auf einzelne Platten, sondern eher wie die »Bohren Für Beginner«. Sicher kann man irgendwann überlegen, ob man eine der Platten einmal speziell spielt. Wenn da mal jemand nachfragt zum Beispiel.