Warum Future Islands sich bitte niemals verändern sollen

11.04.2017
Foto:Henry Gorse / © 4AD
Bier und Beständigkeit, das brauchen die Menschen. Deshalb gehen sie auf Future-Islands-Konzerte. Die beste Liveband der Welt war gefühlt schon immer da, tatsächlich aber nie mehr als jetzt. Das muss Gründe haben.

Es gibt Menschen, die nach »Thriller« ihre Hüfte entdeckten. Und es gibt Samuel Thomson Herrings Hüfte. Seit der Kunsthochschulabsolvent und Michael-Jackson-Jünger von Töpferkurs auf menschlicher Brummkreisel umgeschult hat, wurde viel gesagt über seine Same-vibe-forever-Band Future Islands, vor allem von ihm selbst. Und spätestens jetzt, wo mit »The Far Field« das fünfte Album der drei auskunftsfreudigen best buddies aus Baltimore beworben werden möchte, wird endgültig alles über sie irgendwo zu lesen sein. Schreiben wir also über Tiere.

»Sam is a beast« ist ein zwölf Monate alter Youtube-Kommentar. Es ist aber auch eine Zustandsbeschreibung, der seitdem nichts hinzuzufügen ist. Sie könnte unter einem Future-Islands-Video stehen, tatsächlich hat User Justin Thomas einen Clip der Gruppe The Snails angeschaut, in dem Samuel T. Herring nicht einmal zu sehen ist. Aber der Wolf im Schneckenhaus heult. Angestachelt von einer Horde aufgekratzter Fiep- und Schnalzinstrumentalisten – und Islands-Bassist William Cashion aka Snailliam –, die von Tuten und Blasen keine Ahnung zu haben scheinen, hyperventiliert Herrings Stimme wie sie es immer tut, sobald Publikum im Raum ist. Und sei es nur der Chatroom. Für Herring ist die Band in erster Linie eine willkommene Gelegenheit, sich im beknackten Schleimtierkostüm gepflegt gehen zu lassen, wenn er von seiner Rolle als schlageresker Phrasendrescher bei Future Islands die Nase voll hat. Obwohl das in den vergangenen elf oder – je nach Zählweise – 14 Jahren seit Gründung eigentlich nur zweimal vorkam.

Scheitern für den Triumph

Einmal, kurz nachdem die Uni-Kumpel Gerrit »der Schatzmeister« Welmers, William »all-purpose« Cashion und Sam »der winkende Bürgermeister« Herring (Selbstzuschreibungen) fünf volle Jahre auf Tour gewesen waren, und kurz bevor ihr viertes Album nach einem Labelwechsel von Thrill Jockey zu 4AD erscheinen sollte. »Singles« kam und war, was draufstand: die Erwartungserfüllerplatte einer Band, die eigentlich keine Erwartungen erfüllen musste. Nach einem Jahrzehnt im Livemodus hatten sich Future Islands dafür zum ersten Mal selbst aus ihrer natürlichen Umgebung in ein professionelles Studio verfrachtet, um persönlich zu scheitern und öffentlich zu triumphieren.

Zum ersten Mal waren Future Islands nicht vollkommen pleite. Und zum ersten Mal waren sie nicht vollkommen zufrieden.

»Singles« wurde das sogenannte Durchbruchsalbum, flankiert von launigen Auftritten in Radiostationen. Und einem Tweet dieser anderen Stadionband (»Guy found this video of Future Islands on Letterman. We all love it!«), der nach sich zog, was die Kombination aus Coldplay-Tweet und David Letterman eben nach sich zieht: Buzz. Zum ersten Mal waren Future Islands nicht vollkommen pleite. Und zum ersten Mal waren sie nicht vollkommen zufrieden. »Die alten Alben hatten diesen geisterhaften Spirit, weil sie mit vier Mikros in abgefuckten Häusern oder Skateparks aufgenommen wurden. ›Singles‹ arbeitete dagegen«, lässt sich Herring in diesen Tagen zitieren. »Highfidelity-Platte, aber das Gefühl fehlte.«

Plötzlich wollten nicht nur ein paar Drinnis, sondern auch die echte Welt sehen, wie Herring seine Wohlstandsmurmel auf dem immer ein Loch zu eng geschnallten Gürtel balanciert. Darauf folgte der zweite ernsthafte Kostümwechsel im Leben dieses wandelnden Rollenklischees. Einen Knick in der Karriere des Stoffhosengigolos hatte Herrings Debütalbumintermezzo als Sammy Snail allerdings nicht zur Folge. Im Gegenteil: Future Islands waren gefühlt schon immer da, tatsächlich aber nie mehr als jetzt. Das hat Gründe. Man kann diese Band als das gute Gewissen des zeitgenössischen Schlagers bezeichnen und das folgendermaßen meinen: Erstens: Mehr live geht nicht.

Zweitens: Man hört Future Islands im gleichen Moment an, dass sie mindestens genauso Bock auf das haben, was sie tun und schon immer taten, wie auf das, was noch zu tun ist. Drittens: Sie machen diese Hallen voll, von denen man denkt, dass niemals irgendwer sie füllen könnte – mit Menschen, vor allem aber mit der Sorte Wärme, die man nur spürt, wenn man nachhause kommt. Das hat viel mit dem süßen Geruch von Schweiß und Bier in Plastikbechern zu tun, noch mehr jedoch mit Beständigkeit.

Es gibt also wieder Liebe auf dieser Platte und das, was sie verhindert.

Es gibt zwei Themen auf »The Far Field«. Keins der beiden ist neu, wie nie etwas Neues passieren muss auf Future-Islands-Alben. Das macht sie ja so gut. Es gibt also wieder Liebe auf dieser Platte und das, was sie verhindert. »Mein Liebesleben ist eine Totalbaustelle«, sagt Sam Herring und will damit sagen, dass jede Beziehung von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, weil er sich längst für diese andere entschieden hat: mit seinem Van und seinen Jungs. Deswegen ist »The Far Field« wie jedes Future-Islands-Album auch ein Heimatalbum. Vor allem, weil es konsequent mit der My-home-is-where-meine-Einbauküche-ist-Vorstellung von Heimat bricht.

Reviews zum Künstler

Steilvorlagen für seine Geschichten – die von vielem handeln, nur nicht vom Bleiben – findet Sam Herring zum einen wortwörtlich auf der Straße. Zum anderen in Büchern über die Straße, also denen von Theodore Roethke, einem amerikanischen Autor, dessen Gedichte eigentlich nur von einer Sache handeln: dem Gehen. »I dream of journeys repeatedly: Of flying like a bat deep into a narrowing tunnel / Of driving alone, without luggage, out a long peninsula / The road lined with snow-laden second growth«, lautet eine Passage aus dem Text, der »The Far Field« seinen Titel gab und bei allen Flucht-nach-vorn-Impulsen auch eine Rückkehr markiert. Es war nämlich ebenfalls Roethke, der Future Islands zum 2010 erschienenen zweiten Album »In Evening Air« inspirierte.

Sieben Jahre und einen verflixten Versuch, alles anders zu machen später kehren Future Islands nun dorthin zurück, wo die Zufriedenheit wohnt. »You don’t have to run / You don’t have to change / No never change«, besingt Herring jenen nicht ortsgebundenen Sehnsuchtsort, welcher der Band ihren Namen gab. Das mag gestrig klingen, tatsächlich ist ihre Progressionsverweigerung Ausdruck einer sehr heutigen Entscheidung. Man könnte diese Band als das gute Gewissen des Schlagers bezeichnen und damit viertens meinen, dass sie all das in vollem Bewusstsein tut. Und fünftens verdammt nochmal Future Islands heißt.