Torky Tork & Doz9 – Der Kandinsky-Code

07.12.2017
Torky Tork und Doz9 waren zum dritten Mal gemeinsam im Urlaub, um ein Album aufzunehmen. Oder waren sie es nicht? Egal, die Formel ist die gleiche. Und frag nicht, warum du nur Vierecke siehst.

Wir treffen uns an einem Samstagnachmittag, davor war halt Freitag. Doz9 öffnet auf dem Gelände neben der ehemaligen Kindl-Brauerei einen Klappstuhl und macht es sich in der Urban-Gardening-Ecke, im Schatten der Tomatensträucher bequem. Er wird die Story vortragen und würde vermutlich mit Torky Tork verschwörerische Blicke austauschen, hätte der sich nicht hinter einer Sonnenbrille verschanzt.

Denn die Story um die Entstehung von »Plastik aus Gold« gehört mit zum Album. Ein Urlaub sei ihm vorausgegangen, wie eben bei den Alben zuvor auch. Zum dritten Mal seien Doz9 und Torky Tork nun als T9 gemeinsam im kreativen Exil gewesen. Nach der Uckermark und Teneriffa war man diesmal in… ja, wo war man eigentlich? Am Cover (typische japanische U-Bahn-Impression) sollte man sich jedenfalls nicht orientieren, die führten schon bei den Vorgängeralben in die Irre.

Doz9 beginnt die Geschichte. Über einen Kumpel habe man die Möglichkeit gehabt, in Haifa aufzunehmen. »Aber es ist nicht ganz so einfach da einzureisen. Du brauchst eine Einladung, vor der Einreise wird auch dein Social Media gecheckt«, führt er aus, »und teuer ist es auch. Letztendlich haben wir uns dann für Rügen entschieden. Sieht man ja auch beim Cover. Typisch rügerische Ubahnimpressionen«.

Na gut, vergessen wir erst mal euer Markenzeichen »nicht am Wohnort aufgenommen« und beginnen ganz am Anfang. Wie haben die zwei Hälften von T9 zueinander gefunden?
Doz9: Das war 2011 oder 2012, auf einer Hip-Hop-Party. »Lass mal was machen«, das sagt man dann zwar, aber ich bin da nicht so. Wir haben uns verstanden und ich war auch nicht abgeneigt, wollte aber erstmal abhängen und habe mich echt bitten lassen. Bis ich so ein schlechtes Gewissen hatte, dass ich meinte: Ich komme’ heute zu dir, wir machen einen Track und vorher gehe ich nicht nach Hause.

»Ich bin eben kein Ghettoradio oder eine Stimme für irgendwas. Ich bin Kunst. Man kann sich an mir reiben.«

Doz9
Torky Tork: Der Trip in die Uckermark, eigentlich ja eher eine Schnapsidee, war im Rückblick die Initialzündung. Das ging so krass von der Hand, da haben wir gemerkt, dass es funzt.
Doz9: Jetzt haben wir es zwar nur bis Neukölln in Torky Torks Studio geschafft, entstanden ist das Album aber genau auf dieselbe Art und Weise. Wir haben uns immer für einen Tag getroffen und dann von Null auf Hundert den Track produziert, geschrieben und aufgenommen.
Torky Tork: (lacht ungläubig) Was man auch wissen muss: Alex kommt immer nach der Arbeit, so um 15 Uhr, und um 20 Uhr geht er wieder. Nach fünf Stunden ist der Song fertig.

Geht ihr vorbereitet in die Session, damit am Ende auch kein Murks rauskommt?
Doz9: Nö. Ich habe selten konkrete Textideen. Aber sobald Jakob mir eine Skizze zeigt, die etwas auslöst, weiß ich, mit welcher Stimme ich rappe, in welchem Stil, welches Gefühl ich transportieren will und was für eine Dramaturgie da rein muss. Es passiert aber auch, dass wir zusammensitzen und nichts finden.
Torky Tork: Das ist ein ein-zi-ges Mal vorgekommen und das wurmt ihn jetzt.
Doz9: Das ist schon scheiße. Gerade wenn du die Zeit hast und denkst, heute ist Hip-Hop-Tag.

Wie kann es sein, dass ihr so effektiv zusammenarbeitet?
Doz9: Torky weiß, dass er mir jede Geschwindigkeit geben kann. Ich bin aber auch ein Meckerfritze, weil ich dem Beat immer noch etwas dazugeben, ihn beleben möchte oder die Rhythmik, die er schon in sich trägt, betonen möchte.
Torky Tork: Aber weil Alex alles angreifen kann, findet er relativ schnell etwas. Alex könnte wahrscheinlich auch über einen Kugelschreiber rappen, der einfach nur Klack-Klack-Klack macht. Mir reicht es vollkommen, wenn ein Rapper nur Bilder aneinanderreiht. Lieber das als eine »Story über die Mama«, das ist cringy. So gesehen bin ich immer wieder beeindruckt, wie viele Ideen Alex in so kurzer Zeit…
Doz9: …aber es ist fadenlos.
Torky Tork: Vielleicht hast du diesmal den Bogen überspannt. Und ja, es gibt keine durchgehende Geschichte, sondern viele wilde Fetzen hintereinander. Aber diese Fetzen sind so stark, da sitzen andere Stunden dran, bis die auf solche Zeilen kommen. Ob die Leute dabei mitkommen, bezweifle ich.
Doz9: Mein Erfolg spricht für sich. (lacht)

Liegt das auch daran, dass du die bewährten Themen abhandelst – der Untergrund ist immer noch das Wahre, der Hustle immer noch was wert, und du bist nach wie vor der »schönste Mann im Raum«?
Doz9: Ich habe kein Problem mit dem typischen Eierzeigen, weil ich mich halt auch krasser finde als den Rest. Das gehört ja zu einem gesunden Rapperselbstbewusstsein.

Trotzdem schimmert auf den Tracks schon durch, dass du ohne konkretes Anliegen in eure Sessions gehst.
Doz9: Das ist, als würde man einem Kandinsky sagen: »Ich sehe nur Vierecke.«

Dann anders gefragt, Herr Kandinsky: Wie verhalten sich für dich Form und Inhalt zueinander?
Doz9: Ich drücke Gedanken eben nicht so aus, wie sie mir in den Sinn kommen. Genau das ist meine Bürde. Ambitionierte Rapper, die damit Geld verdienen wollen, setzen auf eingängige Beats, Themen, die zugänglich sind, Hooks, die jeder mitgröhlen kann. Mir geht es um Stilmittel, Metaphoriken. Ich stelle Lyrics über Technik. Ich bin eben kein Ghettoradio oder eine Stimme für irgendwas. Ich bin Kunst. Man kann sich an mir reiben.

So wie am Track »ersties.de« mit Karate Andi, über junge Mädchen, die sich schämen sollen, weil sie zu heiß sind. Die Bildsprache ist so explizit, dass ich den beinahe nicht zu Ende gehört habe.
Doz9: Da hatte ich tatsächlich eine Art Leitfaden, wobei es nicht um Pädosachen geht, sondern darum, was es mit dir macht, wenn ein junges knackiges Mädchen einen kurzen Rock anhat und du denkst: Scheiße Alter.

Scheiße ich kann nicht weggucken oder Scheiße ich hab keine Chance bei ihr, weil ich zu alt bin?
Doz9: Nein, scheiße Alter, was macht die denn da! Die moralische Komponente spielt gar keine Rolle. Es geht eher darum, wie arm dran du als Mann bist, weil du selbst als vernünftiger Typ nicht weggucken kannst. Da kann mir auch niemand was anderes erzählen. Wir haben den Track unseren Freunden gezeigt und die haben sich auch richtig aufgeregt. Aber ich bin stur geblieben. Das ist ein issue!

T9 (Torky Tork & Doz9)
Plastik Aus Gold
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Die Hilflosigkeit bekommst du definitiv transportiert. Insofern lass uns noch einmal über deine kryptischeren Texten sprechen. Welches Potenzial steckt in ihrer Sperrigkeit?
Doz9: Es ist wie eine Aufgabe, nach dem Motto: »Er will mir etwas damit sagen.« Das hat mich bei schon bei Ghostface Killah angezeckt, oder bei Doom
Torky Tork: …auch bei Inspektah Deck oder Capone n Noreaga mit dieser komplett eigenen Sprache, da konnte man sich so reinfuchsen. Für mich muss es etwas sein, was ich so noch nicht gehört habe. Vielleicht ist das unsere Gemeinsamkeit. Nicht, dass wir uns anmaßen würden, jedes Mal das Rad neu zu erfinden. Aber dass man einen Beat nimmt, wo kein anderer darüber rappt. Oder dass man die Stimmen auf eine bestimmte Art hoch- und runterpitcht, dass wir Breaks setzen oder dass er die ganze Zeit die Patterns wechselt und eben nicht stringent alles durchzieht. Dass es eben nicht so leicht zugänglich ist und zunächst auch gar nicht alles verstehen kann.
Doz9: Bei Dende war das auch immer so, zu ihm habe ich krass aufgeschaut, als ich angefangen habe. Meine Musik soll ein Bild sein, in dem man mit jeder neuen Betrachtung etwas anderes sieht.