New Record Labels – Holger, Out-ER, Proto Sites und Shelter Press

03.09.15
Jeden Monat stellen wir Euch Plattenlabels vor, die neu bei uns im hhv.de Shop vertreten sind und/oder deren Entdeckung sich unbedingt lohnt. Die Auserwählten in diesem Monat: Holger, Out-ER, Proto Sites und Shelter Press
Holger Records ist ein 2013 von den Brüdern Jan und Steffen Bennemann gegründetes Label aus Leipzig.Auch der Namensgeber selbst ist ein echter Bennemann: Benannt hat sich das Label nach dem Vater der Gründer. Zum erweiterten kreativen Familienkreis gehörten anfangs die Band Webermichelseon, der Produzent Timoka die Künstlerin Lianne van der Laar sowie Typograf Reymund Schröder. Eine Zusammensetzung, an der sich seitdem einiges geändert hat, im Zentrum steht aber nach wie die Brüder Bennemann und es gibt einen roter Faden, den die beiden wie folgt definieren würden: »Die Beschäftigung mit ganz individuellen Ausdrucksformen. Diesen einen Raum zur Entfaltung zu geben, darum geht es uns.« Dazu war es notwendig, den intermedialen Ansatz aufs Wesentliche zu reduzieren. »Inzwischen hat sich gezeigt dass es sinnvoller ist, etwas fokussierter zu arbeiten: So geht es jetzt vor allem darum, interessante Platten zu veröffentlichen«, heißt es. »Eigene Labelnächte mit aufwändigen Rauminstallationen gehören aber weiterhin zum Konzept, genauso wie Lianne van de Laars visuelle Kunst und das Artwork zu jeder Platte.«_

Da das familiär betriebene Label sich aus dem persönlichen Umfeld der Bennemanns rekrutiert, scheint es nur logisch, dass ein Teil des Rosters und der beteiligten Person ebenfalls in der sächsischen Stadt lebt. »Webermichelson, Vai, Lianne van de Laar und ihr Kooperationspartner Carsten Rüger sowie unser neuer Grafiker Lukas Mehling leben hier«, bestätigen die Bennemanns. Mit Lokalpatriotismus aber hat das nichts zu tun: »Es ist eine tolle Stadt und wir fühlen uns hier sehr wohl, aber für uns spielt es keine Rolle in welcher Gegend unsere Künstler leben: Timoka ist in Basel zuhause, Dream Weapons in Athen, Margot leben in Italien.« Vereint werden die diversen musikalischen Entwürfe gerade durch ihre Individualität: »Es geht uns vor allem um eine eigene künstlerische Sprache. Uns interessiert weniger der nächste große Clubhit, sondern vielmehr der persönliche Ausdruck.« So erklärt sich die recht bunte Mischung von House, Techno und abwegigen Musikentwürfen, die durch die stringente Graustufenästhetik der Artworks gekonnt vereint wird. ■ Kristoffer Cornils

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Out-ER (kurz für Out Electronic Recordings) ist ein 2011 in Puglia von Simone Gatto und Andrea Santoro gegründetes Label, das mittlerweile in Lecce ansässig ist. Wichtig für die Entwicklung des Labels war ein Abstecher der beiden Produzenten nach Berlin, wo sie sich für zwei Jahre in ein Studio einmieteten und im Nachtleben mit dem Netzwerkeln begannen. Die ersten acht Releases auf Out-ER bezogen sich aus dem direkten Umfeld der beiden Italiener, die auch selbst auf ihrem Label veröffentlichen. Mittlerweile hat sich der Roster aber erweitert: Die niederländische Techno-Legende Orlando Voorn veröffentlicht mittlerweile regelmäßig dort, Juan Atkins Legowelt Conforce und Efdemin steuerten Remixe bei. Aus der um kreativen Selbstausdruck bemühten Clique ist eine internationale Angelegenheit geworden. Kein Wunder, denn im Kern wird Out-ER von großen Ambitionen angetrieben. »Ich sehe die Dinge, wie sie sind, und frage mich: Wieso? Ich sehe die Dinge, wie sie nie waren, und frage mich: Wieso nicht?«_, fasst Simone Gatto das Motto seines Imprints zusammen.

So erklärt auch der Name des Label, der darauf hinweist, dass sich die Mischung aus Ambient-, House- und Techno-Releases zwar in der elektronischen Musik, jedoch außerhalb von Trends verortet. Wichtiger als den perfekten Clubhit abzuliefern ist Out-ER der Blick in die Tiefe der Materie: Zu jeder Veröffentlichung findet ein Workshop statt, der einen nahezu wissenschaftlichen Blick auf Musik und ihre psychologischen Auswirkungen legt. »Für mich ist dieses Label nicht bloß ein Label, sondern eine Plattform, auf der du deine musikalische und individuelle Identität ausdrücken kannst«, sagt Gatto über Out-ER, das eine Vielzahl von musikalischen Positionen vereint: Neben roh klingenden Jams von The Analog Cops und Colours Of Observation (Christopher Rau und Marieu von The Analog Cops) steuern Gatto und sein Partner Santoro (als Santorini) eher seichte Töne bei. Es ist eine bunte und dennoch durchdachte Mischung, die das ehrgeizige Label repräsentiert. ■ Kristoffer Cornils

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Proto Sites ist ein 2014 von Juraj Hoppan, Jonathan Fox und Matúš Hnát gegründetes Label aus Bratislava. Obwohl nur wenige die slowakische Hauptstadt als Schmelztiegel für elektronische Musik auf dem Plan haben dürften, berichtet Juraj Hoppan von einer blühenden Subkultur in seiner Heimatstadt: »Die Szene ist in Hinsicht auf Genres und Herangehensweisen sehr reichhaltig«. Gerade für noisigen Techno gebe es in der Industriestadt eine Tradition, die im ehemaligen Atombunker des Subclubs ihren perfekten Entfaltungsort gefunden hat. »Momentan gibt es auch viel gutes Zeug, das sich in experimentellen Mikrocommunities versteckt«, verrät er des Weiteren. Obwohl sein Label wie er sagt »zu 90% im All ansässig ist« und die Kommunikation mit den Acts weitestgehend über das Internet stattfindet, scheint Proto Sites doch aus einer ähnlichen Geisteshaltung heraus entstanden zu sein. »Es fing damit an, dass es in Zentral- und Osteuropa viel einzigartige Musik gibt, die sich gerade noch in der Reife befindet. Die verschiedenen Szenen weisen viele Parallelen auf und kennen einander, wir wollten für mehr Vernetzung sorgen.«_ Gesagt, getan.

Proto Sites legt gleichermaßen auf Abwechslung wie auch auf Konsistenz wert. Das spiegelt sich allein in der Wahl Matúš Hnáts als alleiniger Designer, der den Tapes und den Schallplatten des Labels eine besondere Note gibt, die das musikalische Angebot spiegeln sollen. Das bewegt sich zwischen Synthie-Experimenten und House-nahen Produktionen. »Es geht darum, einen fokussierten und konsistenten Sound zu genießen und gleichzeitig offen und für neue Möglichkeiten und Ideen zu bleiben«, fasst Hoppan die Label-Philosophie zusammen. »Authentizität ist sehr wichtig. Ich denke, es lässt sich sehr schnell erkennen, ob ein Künstler sein eigenes Ding macht oder irgendeinem Mikrotrend folgt. Besonders wenn du dich wie wir außerhalb von Genrekategorien bewegst.« Mit Blick auf den Backkatalog finden sich mit dem Budapester S Olbricht den gebürtigen Slowaken Imre Kiss und EGA sowie Fox (als Foundling) geistesverwandte Ästhetiken, die außerdem noch die Attitüde eint: Standards sind bei Proto Sites definitiv nicht zu finden. ■ Kristoffer Cornils

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Shelter Press ist 2011 von Bartolomé Sanson und Félicia Atkinson gegründetes Label aus Rennes. Entstanden ist es nach dem Ende von Kaugummi Books, einem von Sanson gegründeten Verlag für Zines. Am Anfang stand das Interesse dafür, was wohl alles aus dem kreativen Dialog eines Verlegers (Bartolomé Sanson) mit einer Künstlerin (Félicia Atkinson) entstehen könne. Anders als andere Labels beschränkt sich Shelter Press eben nicht auf Musik allein, sondern veröffentlicht auch Bücher, kuratiert Kunstprojekte und organisiert multimediale Events und Ausstellungen. Mit den involvierten KünstlerInnen aus allen Bereichen – viele aus dem Roster von Shelter Press widmen sich mehr als nur einer Kunstform – werden Projekte langfristig angegangen und erstrecken sich häufig über mehrere, einander ergänzende Releases. »Zum Beispiel veröffentlichen wir zwei Projekte mit Estelle Hanania: Einerseits eine Doppel-LP von Stephen O’Malley die ein Booklet mit ihren fotografischen Arbeiten enthält und andererseits eine neue Monografie von ihr.« Auch eine Trilogie wie Gabriel Salomans »Movement Building« findet auf dem französischen Imprint eine Heimat. »Es geht darum, den kuratorischen beziehungsweise forscherischen Schwerpunkt eines Werks als Hauptpriorität zu betrachten«, erklärt Sanson. »Anstatt es aus ephemeren Gründen wie Trends oder Verkäufen in eine bestimmte Richtung zu drängen.«_

Musik ist logischerweise bei Shelter Press (Klang-)Kunst. Seit der ersten Veröffentlichung – einer Split zwischen Pete Swanson und Rene Hell – folgten Beiträge vom Ensemble Economique, Terence Hannum von der Band Locrian Ben Vida, Chicaloyoh und mehrfach von Mitbegründerin Atkinson. Es ist eine kuriose Mischung, die Menschen aus aller Welt versammelt. »Wir sind nicht auf eine bestimmte geografische Szene beschränkt, aber die meisten unserer KünstlerInnen teilen unsere Interessen und Arbeitsbereiche«, erklärt Sanson. »Es gibt diese Theorie über die sechs Grade der Trennung aller Menschen auf dieser Welt. Felicita und mich ausgeschlossen gibt es wohl höchstens eine oder zwei Trennungen zwischen allen KünstlerInnen, die auf Shelter Press veröffentlichen.« Ungefähr also so wie mit den Künsten, die sich auf Shelter Press miteinander verwickeln dürfen. »Idealer Weise zöge ich es vor, wenn die Leute keine verschiedenen Seiten oder Verlagsprogramme in Shelter Press sehen würden, sondern eine geschlossene Einheit, die Kunstwerke in verschiedenen Formaten veröffentlicht.«Kristoffer Cornils

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