Ausklang | New Music Friday – Neue Musik von Morgan Geist, Savages et al.

23.10.15
Woche für Woche picken wir Tracks, die uns in den vorausgegangenen sieben Tagen nicht aus dem Kopf gehen wollten, deren Release auf den heutigen Tag fällt oder einem anderen Pseudogrund unterliegen.
»The Impression That I Get« by Mikal Cronin
Fragt mich jemand Unbelecktes, was für Musik ich denn so höre, sage ich: »Naja, alles…« und schiebe »Außer Ska!« hinterher. Das erste, weil es stimmt und das zweite, weil es ebenfalls stimmt und witzig ist und ergo die unangenehme Situation auflöst. Allerdings: Wer wie ich vor einem Dutzend Jahren in einer Kleinstadt wie Buxtehude (auch das stimmt und ist witzig) aufwuchs, der wird irgendwann mal nach fünf Bier mit Brause drin zu »diesem Knock On Wood-Song« durchs Strobo der einzigen Disco vor Ort geskankt sein. Mikal Cronins Coverversion des Songs drückt sehr gut aus, wie sich das rückblickend anfühlt. File under: Dinge, die so scheiße sind, dass sie Scheiße als Scheiße enttarnen. Was wiederum geil ist. KC
»You Never Knew« by Negative Gemini
taken from Negative Gemini’s forthcoming album »Body Work«, out next year on 100% Electronica

Kommen wir von Eigen- zu Fremdscham: Alles an »You Never Knew« ist 100% daneben. Die Stimme zieht knapp am richtigen Ton vorbei und selbst der schlappe Breakbeat mit seinen jämmerlich exotisierenden Tribal-Fills scheint sich selbst hinterherzuhinken. Wieso also läuft das jetzt schon seit heute morgen konstant auf Dauerschleife? Vielleicht weil dieses überkäsige Neunziger-Pathos mit einem Unter-der-Woche-Hangover genauso rettend daherkommt wie ein fettiges Frühstück das sonst täte. Fremdschamtränen gegen die Dehydration vergiessen, quasi. KC
»Darkside« by Morgan Geist
taken from Morgan Geist’s new EP »Megaprojects Vol.I«, out now on Environ

Und weil Kollege Cornils das letzte Mal 2007 gegessen hat, darf er gerne noch in das Karamellhörnchen »Darkside« beißen. Ich hatte beinahe vergessen wie sehr ich diese eleganten Solo-Maxis von Morgan Geist auf Environ vermisst hatte, Storm Queen hin oder her. Bis ohne große Fanfaren diese Woche eine augenzwinkenrd Megaprojects betitelte EP erschien, auf der Geist endlich mal wieder etwas trackier arbeitet und vor allem auf »Darkside« die perfekte Brücke zwischen käsiger Synth-Disco und schwülem House schlägt. Wäre auf der ersten Metro Area durchaus nicht untergegangen, was selbstredend ein Kompliment bleibt. FA

LISTEN

»The Answer« by Savages
taken from Savages’s new album »Adore Life«, out January 22nd on Matador

Ich hätte nicht den keuschesten Licht-aus-Fick auf den Savages-Hype von anno dazumal gegeben, wären da nicht diese Drums gewesen. Jeder Snareschlag ein Karabinerhaken beim Gipfelrun. Jetzt aber hier eher flirrender Schneebesen, der australische Garagen-Noise-Rock-‘tude und mit Om-Zitaten zusammenquirrlt, als wäre das irgendwie ein Ding der Möglichkeit. Die Deadpan-Vocals sind da nur die in extra viel Schnappes und Bitterkeit getunkte Cocktailkirsche. »Love is the answer«, puh. Darauf erstmal Pogo und verschmierten Mascara, es lebe die Verzweiflung. KC

LISTEN

»Meditation« by Babyfather (Dean Blunt) feat. Arca
Und ich gebe den versautesten tschechischen Public-Fick auf Arca- und Dean Blunt-Hypes. Jetzt haben die beiden einen gemeinsamen Song veröffentlicht. Meine innere Hype-Maschine läuft also auf Hochtouren wie Snares, wenn Cornils ausdrücken will, dass diese heftig gut sind. PK
»The Last H.O.P.E.« by Vaghe Stelle
Ende Oktober ist ja schon Rückblickszeit, weshalb ich an dieser Stelle mal attestiere: 2015 war das Entkörperungsjahr. Von Kelela über Holly Herndon bis zu dieser Alan Sondheim-dirigierten Perle mit Neunziger-informierter Post-Glitch-Ästhetik versuchen gerade alle im Browserfenster des Mobilgeräts die eigene Dinglichkeit wiederzufinden. Musikalisch gespiegelt wird das von Stretch- und Pitch-Vocals, die Vaghe Stelle natürlich ebenfalls über seine Zitter-Synths jagt, während drunter Frickelbeats die Body-Fragmentierung anpeitschen. Ist böse und weitsichtig, vor allem aber on point wie kaum etwas seit… Naja, Kelela oder Holly Herndon zum Beispiel. KC
»Victim« by Dinamo Azari
taken from his new album »Estranged«, out November 16th on The Vinyl Factory

Ist ja nicht so, dass Azari als Teil von Azari & III den reinen Wohlfühl-Schubidua-House gemacht hätte. Solo soll’s jetzt aber noch ein bisschen mehr in dunkle Gefilde gehen. Die Vorab-Single schafft das mal gar nicht. Bleibt genau in dieser Zwischenwelt zwischen weißen Linien in Glamour-Outfits im Disco-Licht und paranoiden Zuständen auf einer spiegellosen Toilette mit flackernden Halogenleuchten hängen. Nicht anders also, aber immer noch geil. Also geil irgendwo zwischen dem Sexdrive eines Stiers am Anfang und dem Erbsenpimmelchen nach der Disco-Nacht. PK
»Deep Inside You« by Patrick Cowley
taken from the OST »Muscle Up«, out October 30th on Dark Entries

In der Welt von Patrick Cowley gab es bekanntermaßen keine Erbsenpimmelchen und auch das von Dark Entries nun ausgegrabene »Deep Inside You« aus dem obskuren Schwulenporno »Muscle Up« aus dem Jahr 1980 gönnt sich nach Brust, Bein und Bizeps noch eine Tantramassage im Dampfbad. Keine Sorge, keiner erwartet von euch die Trillerpfeife zu 135 bpmigen Hi-NRG-Beats auszupacken, das hier ist der seltsame Cowley, der mit Psychgitarre im Carpenter-Tempo durch die dunklen Ecken von San Francisco streift, nicht wissend wo die Nacht endet. FA
»FWYH« by Lil Nissan Jessica
Im schlimmsten Fall in der Psychose, dort wo Lil Nissan Jessica noch während seines Clubbesuchs ankommt. »FWYH« beginnt hierbei als, ich zitiere den Kunze, “richtig beschissener”, musikalisch schablonierter Rap-Track, wie er einem via Audiomack jeden Tag vierzigfach angeboten wird, aber spätestens wenn dieser Nissan mit Schaum vor dem Mund nur noch gurgelt um zu illustrieren was er so im Club anstellt, bevor er zum Multigender-Tourettepatienten wird, der Lil Bs »I’m Gay« in ein ODB-Cover umdeutet und gen Ende entweder seinen Krok-Trip oder aber sein Leben beendet hat, dann darf man sich zurecht fragen, ob diese Typen bei Awful Records eigentlich völlig coco loco gegangen sind. FA