New Record Labels – Corvo, Early Sounds, Kikimora und ShowUp

Jeden Monat stellen wir euch Labels vor, die neu bei uns im Shop vertreten sind und/oder deren Entdeckung sich lohnt. Die Auserwählten diesmal: Corvo, Early Sounds, Kikimora und ShowUp Records
Corvo ist ein 2010 von Wendelin Büchler gegründetes, deutsches Plattenlabel aus Berlin. Corvo untergeordnet ist das von Holger Lund kuratierte Sublabel Global Pop First Wave, auf dem überwiegend Compilations von türkischer, arabischer und indischer Musik erscheinen. Büchler sieht in seiner Arbeit als Labelgründung eine logische Konsequenz aus seiner bisherigen Beschäftigung als Veranstalter von Konzertserien im experimentellen Bereich und als Mitglied der Stuttgarter Plattform für aktuelle Musik e.V. »Mein eigener musikalischer Austausch mit MusikerInnen aus dem Bereich Free Jazz, Improvisation, Noise und zeitgenössischer Elektronik ließ die Idee entstehen, ihre Werke auf Tonträgern festzuhalten«, beschreibt Büchler den schleichenden Prozess, bei dem ihm mittlerweile die selbst auf dem Label veröffentlichende Künstlerin Alessandra Eramo zur Hand geht. Der Name – Lateinisch für »Krähe« – fasst bei Corvo implizit das Selbstverständnis wie auch den musikalischen Anspruch des Labels zusammen. »Wie Krähen sind auch die MusikerInnen damit beschäftigt, durch riskante Zweckentfremdung von Instrumenten, Medien oder Stimmen spielerische, künstlerische Grenzüberschreitungen und Neues entstehen zu lassen.« Das Resultat sind aufwändig gestaltete Platten, die auf Corvos Background in den bildenden Künsten schließen lassen. »Gatefold-Kartonagen, Siebdruck, Stanzungen, farbiges Vinyl, Picture Discs, eingelegte Originalzeichnungen«, zählt Büchler die Formenvielfalt des Labels auf, die das implizite Motto des Labels visuell komplimentieren: »Riskier Kopf und Kragen, dann kommt Kunst und Leben raus!«_

Während Corvo sich auf zeitgenössische Musikexperimente zwischen mikrotonalen Tubadrones, Turntablism oder nordafrikanischer Berbermusik konzentriert, taucht Global Pop First Wave tief in die Vergangenheit ein, um eine »Re-Kartografierung der Pop-Geschichte, die immer noch viel zu sehr von einer westlichen Hegemonie geprägt ist«, vorzunehmen, wie Büchler über die Arbeit seines Kollegen Lunds sagt. »Anders gesagt: Verpassen wir nicht inhaltlich zentrale Teile der Popgeschichte, nur weil sie räumlich in der „Peripherie“ liegen oder dem, was wir dafür halten?« Am Anfang stand die Compilation »Saz Beat«, welche die Ankunft von Pop-Musik in der Türkei der sechziger Jahre sorgsam dokumentiert. Mit der »The Trip«-Tetralogie wurde sogar eine Art geografische Wanderung von Mitteleuropa bis ins ferne Asien vorgenommen. »Bei GPFW kommt das Konzept zuerst, das sich allerdings oft erst über Jahre herauskristallisiert«, erklärt Büchler. Bis zum fertigen Archiv dauert es folglich umso länger. »Die Compilations sind dann in der Folge regelrecht kuratiert, die Auswahl und Abfolge der Musikstücke betreffend, um eine bestimmte historische Linie aufzuzeigen.« Ein Unternehmen, das nicht nur Fans von Funk- oder Psych-Musik gefällt, sondern durchaus wissenschaftlichen Anspruch hat und dementsprechend von Lund auch schriftlich aufgearbeitet wird Wie das wiederum mit der Musik von Corvo zusammenpasst? »Beide Labels beschäftigen sich mit Musik, die fragt, was Musik sein kann«, sagt Büchler. »Wenn sie Hybride aus globalen und lokalen Strängen bildet oder fragt, was Musik heute überhaupt sein kann.« KC

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Early Sounds ist ein 2012 von den Produzenten Dario di Pace, Pellegrino S. Snichelotto und Massimo di Lena gegründetes, italienisches Plattenlabel aus Neapel. Am Anfang des Labels stand das lose Produktionskollektiv Early Sounds Recordings, für deren erstes Release sogleich das passende Label aus der Erde gestampft wurde, auf welchem sukzessive mit Solo- und Kollaborationsarbeiten erschienen. »Die Notwendigkeit für eine Nische, in der wir uns mit unseren Projekten austoben können, war für unsere Entwicklung enorm wichtig«, erzählt Snichelotto mit sichtbarem Stolz. Early Sounds schreibt Teamwork groß und hält das Angebot dabei möglichst breit. »Ob elektronisch oder akustisch, House, Disco, obskurer Boogie, Afro-beeinflusster Kram oder Jazz-Funk, wir haben sehr unterschiedliche Wurzeln und gehen doch in eine gemeinsame Richtung«_, heißt es weiter. Mit ein bisschen Augenzwinkern spricht Snichelotto, der selbst als Leskin und aktuell unter dem Namen Pellegrino veröffentlicht, auch von »Mediterrean Disco«: perkussiv, frisch, sexy und der musikalischen Tradition der Heimatstadt Neapel verschrieben.

Eine etwas andere Tonart prägt das Sublabel Periodica, welches von di Pace gestartet wurde und das Snichelotto als den »verstrubbelten Bruder der gut frisierten Early Sounds« beschreibt. Hier geht es dank Produzenten wie MCMXC, Mystic Jungle, Nu Guinea oder Manny etwas zackiger zu, wobei trotzdem ein Ohrenmerk auf Funkiness und Energie gelegt wird. Periodica ist nicht das einzige Projekt, das Early Sounds angegliedert ist: Halfway Ritmo heißt das Blog, welches von di Lena und Kollaborateurin Flavia als eine Art Rechercheplattform gegründet wurde. Artists aus der Jazz- und Funk-Traditionen stehen im Fokus von Halfway Ritmo, die Interviews rücken Künstler wie Michael Rother oder Yasuaki Shimizu ins Zentrum, welche wiederum in musikalischen Austausch mit dem Early Sounds-Kosmos stehen. Darauf legt die Crew trotz ihrer regional beschränkten Anfänge wert: Weltweite, kreative Vernetzung ist zu einem der erklärten Hauptziele von Early Sounds geworden. Muss es also nicht viel eher »Worldwide Disco« heißen? KC

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Kikimora ist ein 2015 vom Produzenten Tony Boggs gegründetes, kanadisches Kassettenlabel aus Toronto. »Kikimora ist eine Geisterstadt, die von mir und meinen FreundInnen bewohnt wird«, sagt Boggs über sein Projekt, dessen Roster sich über die gesamte Welt verteilt. Boggs selbst spielt in seiner eigenen Musik gerne ironisch mit den medialen Verwirrungen der Welt: Den Beginn von Kikimora markierte sein Debüt unter dem Namen Unfollow, das erste Tape hieß »Zero Likes«. Ein kleiner Rekurs, der den von Soundcloud-Suchen und auf Festplatten archivierten Projekten informierten Backkatalog seines Labels zugleich auf die Schippe nimmt und doch auf den Punkt bringt. »Ich denke, dass es eine Art Outsider-Musik ist, da gibt es schließlich diesen… verschwommenen, zarten Vibe. Vielleicht kann aber auch nur ich den hören«, erklärt Boggs nachdenklich und fügt hinzu, dass er sich selbst trotz der Vielzahl seiner eigenen Projekte – Désormais, Joshua Treble und Letters Letters etwa – nie irgendeiner Szene zugehörig gefühlt habe. »Ich stelle mir den Katalog als eine Art großes Mixtape vor.«_ Sehr persönlich und per Definition doch offen also.

Der rote Faden dieses Mixtapes wird eher von der persönlichen Beziehung Boggs’ zu seinen Artists eingefärbt als er von stilistischen Überlegungen geprägt wäre. Zwischen den muffigen quasi-Techno-Sounds, die er selbst als Unfollow oder Désormais über Kikimora veröffentlicht, über die klirrenden Synthie-Sounds der hyperproduktiven Hardware-Band German Army hin zu den knirschenden Klängen eines Beau Wanzers eint die Musik von Boggs’ FreundInnen vor allem ein alles durchziehendes, analoges Grundrauschen. Das gibt es einerseits als Download zu haben, andererseits aber auch auf Kassette. Eine ideelle Entscheidung? Nicht wirklich. »Letztlich geht es da ums Geld und Umlaufzeiten«, gibt Boggs zu. Tapes sind für ihn preisgünstige Artefakte, gleichzeitig aber auch kleine Kunstobjekte: Neben dem Artwork legt er besonderen Wert auf die Trackreihenfolge eines jeden Releases und mastert diese nicht nur abweichend von der digitalen Version, sondern bringt zum Teil auch zusätzliche Tracks oder verlängerte Mixe von Stücken unter, um aus jedem Tape ein kohärentes Ganzes zu machen. Das Artwork zeichnet sich dabei nicht wie bei ähnlich gelagerten Tape-Labels durch wiedererkennbare Elemente aus, sondern wird individuell von Boggs’ Frau Dessa angefertigt. In der Geisterstadt von Kikimora ziehen eben alle an einem Strang. KC

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ShowUp Records ist ein 2007 von Michael Schütz gegründetes Hamburger Plattenlabel. Es fungiert als Sublabel des hauptsächlich auf Indie und Pop spezialisierten Popup Records und legt obskure europäische Grooves hauptsächlich über Compilations wieder auf. Schütz füttert selbst seit 25 Jahren sein Faible für siebziger Funk und Rare Groove und trug die Idee, eine Sammlung der über Jahre des diggens angesammelte Goldstücke zusammenzuschustern, schon länger mit sich: »Das Konzept, bekannte und unbekannte Künstler aus den unterschiedlichsten Bereichen wie Krautrock, Jazz, Pop, Schlager und Library Musik zu vermischen und unter den gemeinsamen Nenner FUNK zu packen, erschien uns spannend und vielversprechend!«_.

So entstand »German Funk Fieber Vol. 1«, das als erfolgreicher Einstand bis heute die Blaupause für die meisten ShowUp-Releases liefert (einzige Ausnahme ist der bis 2014 nie komplett erhältliche Soundtrack »Die Kette« – von Discohengst Dieter Reith und seiner Tender Aggression). Die mehrteiligen, ungefähr jährlich erscheinenden Compilations widmen sich neben deutschem Funk vor allem Library-Musik – entweder mit Fokus auf elektronische Experimente (»Cosmic Future Grooves«) oder auf gefeierte britische Labels wie Bruton, DeWolfe, KPM oder Themes International (»Dramatic Funk Themes.) »Ich bin Perfektionist und wirklich unheimlich lange damit beschäftigt, die passenden Titel für die jeweiligen Compilations zu diggen und auszuwählen. Die Zeit und Arbeit, die da rein gesteckt wird, steht in keinerlei Verhältnis, was man dann als Taschengeld raus bekommt!« Dass Compilations aufwändiger und weniger profitabel sind als simple Album-Reissues macht Sinn: Schließlich multiplizieren sich durch die verschiedenen Quellen, von denen die Tracks lizensiert werden müssen, sowohl die Lizenzgebühren als auch die Detektivarbeit. »Teilweise ist das Clearing der Rechte wahnsinnig aufwändig, da bei alten Titeln, die Rechteinhaber häufig wechseln und man von “A” nach “B” geschickt wird. Bei German Funk Fieber 1 hat das Clearing fast ein ganzes Jahr gedauert«.

Diese Hingabe unterstreicht allerdings nur, dass es sich bei ShowUp um ein Liebhaberprojekt handelt. Aber Schütz möchte aber nicht nur Ungehörtes ausgraben, sondern auch ein vollständiges Album abliefern: »Bei Compilations finde ich es spannend, einen Bogen zwischen den einzelnen Tracks zu spannen, so das ein homogenes aufregendes Album entsteht – ohne Lückenfüller«. Da funktionieren auch schon mal Rare-Groove-Geheimtips wie Heinz Kiessling, Gus Brendel oder dem Rainbow-Orchestra neben den funky Eskapaden von Howard Carpendale, Hugo Strasser, Udo Lindenberg und Klaus Wunderlich. NF

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