Review

Hailu Mergia

Yene Mircha

Awesome Tapes From Africa • 2020

So unverkennbar die Musik dieses Albums in äthiopischen Traditionen verwurzelt ist, so wenig bemüht sie sich, den Sound von »Swinging Addis« zu reproduzieren, den Hailu Mergia in den 1970er Jahren mit geprägt hat, bevor er in die USA migrierte, wo er Jahrzehnte lang Taxi fuhr. Traditionelle Instrumente treffen hier auf Jazz-Formen, amharische Skalen auf schnurrende Orgeln, ein karibischer Offbeat auf einen Vibe, wie ihn Hailu Mergia mit der Dahlak Band verbreitete. Während Hailu Mergia sich auf seinem Comeback-Album »Lala Belu« vor zwei Jahren, ebenfalls bei Awesome Tapes From Africa erschienen, von Schlagzeuger Tony Buck und dem Bassisten Mike Majkowski begleiten ließ, ist auf »Yene Mircha« (zu Deutsch: Meine Entscheidung) nun seine aktuelle Band zu hören: Alemseged Kebede (Bass) und Ken Joseph (Schlagzeug) begleiten Mergia schon seit einer Weile auf seinen Tourneen. Dazu kommen unter anderem noch der Saxophonist Moges Habte, mit dem Mergia einst in Addis in der Walias Band spielte, der Sänger Tsehay Kassa und andere, was die klangliche Palette um traditionelle äthiopische Instrumente wie die Masinko, eine einsaitige Laute erweitert, auf der sich die Azmari, die traditionellen Balladensänger Äthiopiens, begleiten. Zugleich schlägt Mergia die Brücke ins Heute, indem er mit »Shemendefer« einen Song von Teddy Afro aufgenommen hat, dem wohl größten Popstar Äthiopiens. Mergia klingt hier so frisch und experimentierfreudig, dass der zweite Frühling, den der Musiker derzeit erlebt, noch eine ganze Weile dauern kann.