Review

Kanye West

Jesus Is King

Def Jam • 2020

Als Kanyes neuntes Soloalbum im vergangenen Jahr erschien, habe ich es kurz pflichtbewusst rund ums Duschen angehört und es dann vergessen. So ging’s vielen. Es gab 7.2-Reviews. Sowas macht man eigentlich nicht mit Alben von Kanye West. Man hört sie dauernd, findet immer mehr Unerhörtheiten, Damn Croissants, Hampton Spouses und If Young Metro Don’t Trust Yous. Man gibt Kanye keine 7er-Review! Man preist ihn entweder als eine der prägendsten musikalischen Erfindern »unserer« Zeit oder speist ihn als megalomanischen Hampelmann ab. Aber Kanye einfach unaufgeregt und unkommentiert links liegen lassen? Vor »ye« undenkbar, danach möglich, jetzt wahr geworden. Und das alles liegt nicht mal an Kanyes MAGA-Caps und anderen Verwirrungen, sondern einfach an einer Ausgelaugtheit, die seine Musik ausstrahlt. »Jesus Is King« klingt wie ein merkwürdiger Ruheraum, das Bällchenbad für einen Typen, den ein jahrelanger, erratischer run ins Krankenhaus befördert hat, und der jetzt immer noch leicht balla balla ist, geschwächt jedenfalls, beinahe infantil das Weiche wiederzufinden sucht. Auf »Jesus Is King« ist Kanyes Ego so unterpräsent wie selten zuvor. Jesus hat diese Stelle eingenommen. Hier passiert nichts Neues, keine Überraschung, keine Abart, keine neue Bewegung. Die Statements haben keine Kraft mehr. Verebben auf halber Strecke. Es ist das Album eines Typens, dem zum Weihwasser gefunden hat, weil ihm der Saft ausgegangen ist. Wäre »Jesus Is King« allerdings ein Debütalbum, alle würden dem Interpreten völlig zurecht eine große Zukunft attestieren. »Jesus Is King« wie schlecht gemastertes, schwachbrüstiges Best Of von Kanyes früheren Werken: »On God« könnte easy von den »TLOP«-Sessions stammen, »Everything We Need« erinnert an »Fantasy«, »Follow God« versprüht mal kurz Unbeschwertheit im Sinne von »Watch The Throne«. Ich bin froh über dieses Album. Ich verschnaufe mit Kanye. I don’t miss the old Kanye. So hat’s ja nicht weitergehen können. Vielleicht gibt es sie gerade durch das Erscheinen von »Jesus Is King«: Die Chance auf einen New Kanye. Hier ist die pädagogisch wertvollste 7.0er Review aller Zeiten.