Review

Wilco

The Whole Love

dBpm/ Anti- • 2011

Wilco sind wieder da! Was zunächst, bei einer Band, die in schöner Regelmäßigkeit ein neues, »aufregendes« Album veröffentlicht, wie ein ironischer Kommentar zur Veröffentlichungspolitik der Sechs aus Chicago klingt, darf bei The Whole Love durchaus als berechtigter Ausruf gelten. Die Rezeption der Alben von Wilco durchzieht ja prinzipiell so ein wohlwollender Überschwang, was allein ja schon eine Band irgendwie in die Beliebigkeitsfalle tappen lässt. Hinzu kommt noch, dass die letzten Wilco-Werke eigentlich auch »nur« noch gut waren, der Überschwang aber blieb, Grammy-Nominierung inbegriffen. Dabei war das beste was man in den letzten Jahren von Gitarrist Jeff Tweedy und Schlagzeuger Glenn Kotche hören konnte, ihr gemeinsam mit dem Multiinstrumentalisten Jim O’Rourke initiiertes Projekt Loose Fur. Es waren die Brüche, das Ungerade auch, die dem auf dem Papier schnödem Rockentwurf eine bedeutende Kraft zukommen ließen. Die unbezweifelbar grandiosen, wenngleich nicht ganz leicht konsumierbaren Liedtexte von Jeff Tweedy verstärkten hier diesen Effekt noch. Dieses Unkonventionelle hat Wilco in den letzten Jahre halt einfach gefehlt. Es gibt Stimmen, die behaupten, die Jahre unter den Fittichen eines Majorlabels hätte ihnen genau diese Momente der Zerrissenheit, nörgelnde Gitarre oder fiependes Geräusch, unter der Begründung »nicht radiotauglich« genommen. The Whole Love, das erste Album auf ihrem eigenen Label dBpm, hat genau diese Momente, einen davon bildet bereits der grandiose Beginn. Aus dem Geräusch eine defekten Lautsprechermembran schält sich ein lässiger elektronischer Beat, der in ein Streicherarrangement fällt, dann die Stimme von Jeff Tweedy: »No!/ I froze/ I canʼt be so / Far away from my wasteland/ I never know when I might/ Ambulance / Hoist the horns with my own hands.« Nach dreieinhalb Minuten wird der elektronische Beat mit dem Schlagzeugspiel von Glenn Kotche ersetzt. Zurück zu alten Tugenden, könnte man denken, aber da ist es schon zu spät: Wilco haben Neuland betreten und stellen das öffentlich aus. Auf ihrem 8. Studioalbum betonen Wilco die Kontraste wie selten zuvor, präsentieren ein euphorisches und breites musikalisches Spektrum, und konterkarieren dieses mit Zweifeln, mit Gedanken darüber wie das Leben so seine Bahnen zieht und das menschliche Wesen halt mitzieht und wie man sich dann so fühlt, wenn man mitgezogen wird von den Jahreszeiten, von Ebbe und Flut, von der Zweisamkeit, der Einsamkeit, vom großen mächtigen Sound. Mich erinnert hier vieles (Attitüde, Arrangements) an John Lennon so um 1970, viel »Plastic Ono Band«, ein bisschen noch »Abbey Road«, als Künstler gereift, altes nach und nach abstreifend, das Neue schon im Blick, die Konzentration schlicht auf den Song gerichtet. Genau das gelingt Wilco hier auch. Alles ist im Gleichgewicht, kein Pathos, kein moralischer Fingerzeig, kein Firlefanz. Einfach und klar, doch zugleich ungläubig und zerrissen, reflektieren Jeff Tweedy und seine Mannen die Welt. Ich kann hier kaum was doof finden. Die Zusammenfassung schreibt der Songwriter dann selbst: »I found a fix for the fits/ Come listen to this/ Itʼs buried under the hiss/ It glows/ Like a powerful smile/ A car radio dial/ As intimate as a kiss/ Over a phone/ And it goes…«

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