Review

Charles Cohen

Brother I Prove You Wrong

Morphine • 2015

Bis vor gut einem Jahr war Charles Cohen einer breiteren Öffentlichkeit noch unbekannt. Der Musiker aus Philadelphia hatte in lokalen Free-Jazz-Kreisen, wo er seit den 1970er Jahren aktiv ist, zwar einen Namen, doch außerhalb seiner Stadt gab es ihn kaum zu hören. Bis zur Veröffentlichung seiner Musik auf Morphine Records Ende 2013 – wo einige seiner Archivaufnahmen zum ersten Mal überhaupt erschienen. Jetzt gibt es überraschend sogar neues Material vom großen Synthesizerimprovisationsvirtuosen, der seit jeher auf dem Buchla Music Easel von 1973 spielt. Charles Cohen bevorzugt kristallklare Klänge und stakkatoartig kurze Töne, baut mit ihnen Patterns auf, spinnt sie weiter, verschiebt nach und nach die Obertonstruktur. Kein Ton scheint überflüssig, kein Effekt wird zur bloßen Dekoration herangezogen. Und der Hall gibt seinen knappen Figuren den nötigen Raum, um elastisch zu bleiben. In der zweiten Hälfte erinnert Cohen daran, dass er auch dunklere Stimmungen beherrscht, mitunter walzen die Synthesizerbässe fast maschinenartig vor sich hin. Und in »Mankind and Mannequins« spricht er sogar einen erzählerischen Text über die »Leere« zwischen Menschen und Schaufensterpuppen, während die Musik dazu dezent dramatisch pulsiert. Cohens hochentwickeltes Gespür für Proportion lässt ihn nie im Stich. Er ist in dem, was er tut und wie er es tut, ziemlich einzigartig. Man muss für jedes weitere Album dieses spät entdeckten Meisters dankbar sein.