Review

Hilde Marie Holsen

Ask

Hubro Music • 2015

Von uns wird ja niemand dereinst von Engeln fortgetragen werden. Aber so in etwa hätte man sich das wohl vorzustellen. Vielleicht hat uns hier eine Lawine erwischt oder einfach nur der blanke Hunger. Jedenfalls kocht uns jetzt das Blut in den Ohren, reißender Wind nimmt uns den Grund unter den Füßen weg, der Blick dreht nach oben. Bald stehlen sich von irgendwoher säuselnde Melodien ins driftende Bewusstsein. Verdammt nah ist das Flugzeug schon, das nach uns sucht, genau mittendrin im Schädel. Diese kusswarmen Töne, die unsre Reste aufsammeln, die kennen wir doch, was war denn das für ein Instrument? Ganz bekannt, es spielt Jazz, klingt hier ein bisschen nach Jan Garbarek, freie Klage in melancholischer Weite, aber mit so monströsem Bass? Dann singen wirklich die Engel, geisterhaft choral, so richtig glücklich sind sie mit uns nicht. Schade. Jetzt müssen wir doch auf dem Beiblatt nachschlagen. Ach Mensch, Trompete natürlich! Und dazu elektronische Klanghexerei, ganz offenbar eine mit allen Weihwassern gewaschene. Fünf Stücke, alle live improvisiert von einer jungen Dame namens Hilde Marie Holsen im Studio an der Akademie in Oslo. Was heute nicht alles geht! Lediglich die kleinen Kohlebröckchen, die das finale Titelstück »Ask« zwischen den Ohren hin- und herschaufelt, die müssen Hilde Marie Holsen im dortigen Medienfriedhof auf einer alten Minidisc untergekommen sein. Aber das ist ja kleinlich, angesichts des himmlisch schwerelosen Irrgartens aus samtweichem Metall, den sie darüber ausbreitet. Wie aus großer Höhe, von jenseits der Wolken, blicken wir hinab auf wegbröselnde Landschaft, in der menschliches Treiben und ursprüngliche Ödnis ununterscheidbar werden. Und wer weiß, vielleicht steckt in »Ask« (norwegisch für: Asche) tatsächlich auch ein Gruß an Charles Ives’ endzeitlichen Trompetenklassiker »The Unanswered Question«

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