Review

Rafael Anton Irisarri

A Fragile Geography

room40 • 2015

Es muss eine schön-brutale Überraschung für Lawrence English gewesen sein, als das neue Album Rafael Anton Irisarris auf seinem Schreibtisch landete. Der wurde zuletzt im Jahr 2010 und 2013 auf Englishs Label room40 mit den impressionistischen LPs »The North Bend« und »The Unintentional Sea« in seiner unnachahmlich unauffälligen Art auffällig. Eine Art, wie sie im Drone-affinen Ambient viel Konkurrenz findet. »The Unintentional Sea« etwa widmete sich anhand des Beispiels des Saltonsees der Transformation des Raumes. So weit, so abstrakt. »A Fragile Geography« trägt den bedrohlichen Ton der Platte fort. Doch nicht nur die Fragilität des im Grunde sehr abstrakten Gedankens von einer Geografie spielt in die sechs Stücke hinein, sondern auch konkrete und überaus materialistische Verlusterfahrungen: Irisarris komplettes Studio-Set-Up wurde ihm während seines Umzugs von Seattle nach New York gestohlen. Dem größeren klimatischen Drama fügt sich ein menschliches hinzu. Die Musik verarbeitet das dementsprechend: Irisarri schichtet Flächen zu schwindelerregenden Höhen auf, entzündet ein massives Pathos mit minimalistischen Mitteln. Hier ein verschwommen schimmernder Loop, dort eine kurze Streicherfigur oder ein pluckernder Rhythmus, darunter meist rostiges Grundrauschen. Es ist aber nicht allein die Weite und das Volumen seiner röhrend anschwellenden Stücke, sondern ihre Dichte, die packt. Die die Kehle zusammenschnürt, vor Ehrfurcht und Klamm. »Empire Systems« beispielsweise steht so stellvertretend für dieses Album wie es ein jeder andere Track in diesem homogen verwobenem Ganzen tut, drückt aber im Einzelnen noch umso deutlicher aus, worum es musikalisch auf diesem Album geht: Um Intensität, die sowohl euphorisch wie auch elegisch gelesen werden kann. Das macht es zu einer schön-brutalen Überraschung für alle, die sich darauf einlassen werden – und steht nebenbei völlig außer Konkurrenz.

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