Review

Cogitatio.Factum & Jo Preußler (Hrsg.)

The Death Of Graffiti

Possible Books • 2017

Der Tod von Graffiti wurde schon oft prophezeit, oft auch diagnostiziert. Im Stadtmuseum von New York z.B. blickt er von einem Bild entgegen, als Teil der Sammlung Martin Wong, Acryl auf Holzfaser, gemalt 1982 von Writer-Pionierin Lady Pink. Auch Bücher verhandeln das Thema. Ein eben bei Possible Books erschienenes trägt es plakativ im Titel. Analog zu Lady Pinks Werk heißt es »The Death of Graffiti«. Der Ansatz des Buchprojekts ist ein offener, experimentierfreudiger, im Sinne einer fruchtbaren Auseinandersetzung vielleicht Streit Suchender. Eine Abrechnung mit Graffiti, formuliert in 18 Thesen, mit vom Berg gepredigtem Tonfall an die Kirchentür einer (schein?)-heiligen Kunstform und Subkultur genagelt: Oliver Kuhnert, offenbar (ehemaliger?) Sprüher, versteht sie als Fundamentalkritik und breitet sie auf elf Seiten aus, »von innen« kommend, wie er schreibt. Natürlich richten sich die Thesen gerade an das Innere des Graffiti-Phänomens. An die sogenannte Graffiti-Szene, ob und wie es sie nun gibt oder nicht. Kuhnert unterstellt ihnen Geltungssucht und Eitelkeit, Einfallslosigkeit und Beliebigkeit, Intoleranz und Inkonsequenz, fühlt ihren Pulsschlag, führt sie vor Gericht und vor den Richtbock. Und hat 33 Graffiti-Interne sowie »fachkundige Außenstehende« zur Stellungnahme aufgefordert.

Kuhnert begegnet Graffiti mit dem Hammer – und wählt dafür Papier als Medium. Das aber gibt dann doch nicht so leicht nach. Weil die Entgegnungen mitunter selbst als Abrechnung daherkommen. Indem sie Kuhnerts Haltung in Frag stellen, sein Anspruchsdenken als Egozentrismus enttarnen, ihm akademische Konter verpassen, den Mittelfinger zeigen, drauf scheißen, ab und an auch zustimmen, nie aber nach dem Mund reden. SADE, CLINT 176, BROM, Jule Köhler, Georg Zolchow, Paul Luis Fechter und all die anderen liefern differenzierte, geistreiche, weitgedachte, scharfzüngige, selbstgerechte, angepisste Beiträge, jeweils und/oder. Formal ist dabei alles drin, die Texte sind essayistisch, analytisch, retrospektivisch, sogar lyrisch und fantastisch. Daher stellt sich auch kaum Redundanz ein. Die einzelnen Schriften gehen in viele Richtungen und weit auseinander, indem sie ihre Styles und Skills bezeugen, buchstäblich an der Writer-Front. Denn genau darum geht ́s ja, auf irgendeiner Metaebene: Um Texte über Texte. Um Beiträge über gesprühte Buchstaben auf Wänden und Zügen in Form von gedruckten Lettern in Büchern, um keineswegs beliebig gewählte Schriftarten im Kontext zu individuellen Styles, um All City Fame und Auflagenstärke… interessant!

Die Autoren kommen Kuhnert mit Spieltheorie und mit Kampfsport bei, mit Camus und Bud Spencer, mit Verve und mit Fäusten. Das ist nicht in jeder der versammelten Entgegnungen besonders originell oder gar der Weisheit letzter Schluss. Aber wenn’s um ein unterhaltsames, gehaltvolles, zum Denken anregendes und zu Denken gebendes Graffiti-Buch geht, für das weder Black Books konsultiert noch Fotos geschossen wurden: »The Death of Graffiti« ist eines.