Review

Stars Of The Lid

Gravitational Pull Vs. The Desire For An Aquatic Life

Kranky • 2018

Es ist 2018. Neoklassik allerorten. Die Feuilletons schreiben, die Kultursendungen im Fernsehen berichten, Deutschlandradio Kultur schaltet sich dazu. Hausbesuche bei Gonzales, Studioführungen von Nils Frahm, im Taxi mit Hauschka. Konzerte werden in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin gegeben, in der Elbphilharmonie in Hamburg, in den Festspielhäusern an Rhein und Elbe. Filmmusik ist plötzlich interessanter als der Film (mitunter völlig zurecht). Seitenlange Abhandlungen über die Akustik von in der ehemaligen DDR gebauten Funkhäusern werden verfasst. Und die Deutsche Grammophon ist wieder wer. So weit, so Riesling, würde mein Kollege Florian Aigner hier wohl schreiben. Eine gewisse Verantwortung für diese Entwicklung tragen mit Sicherheit [Stars Of The Lid](https://www.hhv-mag.com/de/glossareintrag/4264/stars-of-the-lid.) Adam Wiltzie und Brian McBride haben bereits 1990 begonnen, der elektronischen Musik ein orchestrales Moment zu geben. Dass sie damit eigentlich beginnen würden, die Klassik zu entstauben, war den beiden Musikern aus Austin, Texas eher nicht bewusst. »Gravitational Pull Vs. The Desire For An Aquatic Life«, ihr zweites Album aus dem Jahre 1996, was jetzt bei Kranky wiederveröffentlicht wird, hat die 20 Jahre locker überstanden. Es ist mit 52 Minuten eines ihrer kürzeren Werke und in dieser Verdichtung toll: Stars Of The Lid in a nutshell , sozusagen. Dieser »Listener’s Digest« führt dich im typischen Tempo von Stars Of The Lid (sehr, sehr langsam) zu den vier Elementen: Feuer, Wasser, Luft und Erde. Da können auch die über 40-jährigen noch gut mithalten. Überhaupt ist das ja ein wenig das Wesen dieser Neoklassik, dass sie Innovation und Wertegebundenheit so zwanghaft versucht in Einklang zu bringen. Du darfst heute unrasiert und mit Turnschuhen in die Philharmonie gehen, aber die Mäntel sind an der Garderobe abzugeben. Mein ungutes Gefühl dem Phänomen der Neoklassik gegenüber, besteht ja darin, dass die Wagschale zuungunsten der Kunst zu kippen beginnt. Das war 1996 noch nicht der Fall. Damals musste »Gravitational Pull Vs. The Desire For An Aquatic Life« noch ihr Publikum suchen. Spätestens 2018, sollte es das gefunden haben.