Patricia Kokett – Teil seiner eigenen Bewegung

02.04.2020
Foto:© Knekelhuis
Patricia Kokett vermischt Rave mit Mystizismus, futuristischen Industrial mit schamanistischem Rauschen. Der Litauer Gediminas Jakubka, der sich auf der Bühne in Patricia verwandelt, balanciert zwischen Grenzen. Ein Orientierungsversuch.

Patricia Kokett posiert mit einer Schlange um ihren Hals, schmeißt Partys im undergroundigsten Schuppen von Vilnius auf und schleppt afrikanische Statuen mit riesigen Genitalien zu Liveauftritten. Man merkt schnell: Gängige Konventionen werden Gediminas Jakubka nicht gerecht. Mit Patricia Kokett hat der in Litauen geborene Produzent ein Alter Ego geschaffen, das sich in den okkult-aufgeladenen Nischen bewegen darf – und die Party trotzdem in stabile Seitenlage wuchtet. Nach der 2018 bei Knekelhuis erschienen EP »Diabel« taucht Kokett mit ihrem ersten Soloalbum »Bizarr« weiter ein in die symbolischen Welten der Rituale. Und lässt sich von neun Kaisergöttern stimulieren.

»Die Hauptinspiration für die Platte kam lange vor der Reise«, sagt Jakubka. »Als ich das erste Mal ›From Grows Rampant‹ von The Threshold HouseBoys Choir (das Pseudonym von Coil-Mitglied Peter Christopherson, Ann.) hörte, zog mich der rituelle Aspekt der thailändischen Kultur an.« Jakubka hört vom Fest der neun Kaisergötter, das jährlich von Auslandschinesinnen in Teilen Südostasiens gefeiert wird. Die Fotos von Teilnehmern, die ihre Wangen durchstechen, über Feuer laufen oder Leitern aus Schwertern hochklettern, faszinieren Jakubka. Er beginnt sich damit auseinanderzusetzen, sieht sich Aufnahmen an, liest viel darüber. Auf »Diabel«, der EP die er 2018 als Patricia Kokett auf Knekelhuis veröffentlicht, sind diese Einflüsse bereits zu hören. Treibende Downbeats, mantrahaften Wiederholungen, Trance. »Ich wusste, dass ich ein starkes Konzept gefunden hatte. Der nächste Schritt war eine Reise nach Phuket, um das selbst zu erleben«. Er macht sich auf den Weg – alleine, um sich die Gefühle auf sich wirken zu lassen. »Denn ich wusste, dass ich in einer Art aufgerüttelt werde, die meine Erwartungen übertreffen wird.« Die Stimmung, die Gefühle, die Emotionen, die während des Festivals auf Jakubka einprasseln, bilden den Kontext für das Konzept von »Bizarr«. Sie seien der perfekte emotionale Hintergrund für diese Platte gewesen. »Ein Weg voller zerschlagener Emotionen.«_

»Es existiert ein sexuell verführerisches Element in meiner Musik, das unterschwellig rüberkommt«

Das Interesse für Rituale habe Gediminas Jakubka bereits in Kindertagen entdeckt. »Ich wuchs mit der Plattensammlung meiner Eltern auf. Ein großer Teil davon waren litauische Märchen, die sie für mich gekauft haben.« Diese Märchen leuchteten die grausam-antagonistischen Dimensionen zwischen Gut und Böse aus – mit vielen mythischen Figuren und Opferritualen, die für ihn erschreckend und amüsant gewesen seien. »Rückblickend sehe ich den Zusammenhang mit der chinesischen Mythologie. Die strafende, destruktive Brutalität der Kreaturen und die angespannten Handlungen haben sich als Erinnerungen eingebrannt, meine Vorstellungskraft erweitert und eine Neugier für unbekannte Welten entwickelt«, so Jakubka, der nicht ohne Grund als Patricia Kokett auftritt. »Als Jugendlicher war ich Goth, ich trug manchmal Kleider oder Strümpfe an den Händen und begann, unter diesem Pseudonym Musik zu machen – hauptsächlich Synth-Pop und New Wave-Sound.« Nach und nach habe sich eine musikalische Landkarte enthüllt, indem Jakubka Inspiration in verschiedenen Genres gefunden habe. Patricia sei später auch in Bandprojekten wie Flesh Flash und Cutthroats mitgeschwungen. Bei Flesh Flash habe sie Gitarre gespielt, esoterische Tendenzen untersucht und ein Electronica-Rock-Mischmasch-Genre eingeführt. »Cutthroats war ein ganz anderer Ansatz. Wir haben uns als Postindustrielle bezeichnet. Verzerrte Gitarren, harte Musik. Aber zutiefst melancholisch.«

Die Weiterentwicklung durchzieht das fiktive Leben der Patricia Kokett. »Sie hat sich andere Musiksprachen angeeignet«, so Jakubka. Deshalb sieht er in Kokett und ihrer musikalischen Vergangenheit starke Verbindungen. »Patricia ist für mich ein Name mit verschiedenen Blickwinkeln. Sie ist eine Art Geist, der in meine Natur eingraviert ist und von der ich nicht weiß, wie er in manchen Situationen reagieren wird.« Live können die verrücktesten Dinge passieren –, aber auch bei Fotoshootings, wenn Kokett subtile Elemente verwendet, um Gendergrenzen zu sprengen. »Es ist anspruchsvoll und unterhaltsam zugleich. Alles passiert auf natürliche Weise – ohne dem Anspruch, mehr Aufmerksamkeit zu generieren.« Dabei ist der Name eigentlich Programm. Jakubka kokettiert mit Patricia und Patrica kokettiert mit ihrem Publikum. »Es existiert ein sexuell verführerisches Element in meiner Musik, das unterschwellig rüberkommt«, so Jakubka. Das Auftreten auf der Bühne fühle sich für ihn wie ein erotischer Akt an. »Trotzdem habe ich mich bei der Wahl des Namens nicht auf die Semantik bezogen.« Patricia Kokett klinge einfach gut, lasse aber auch Vermutungen zu. »Ich lebe aus meiner eigenen Perspektive und verwende Lippenstift, wenn ich es für nötig erachte. Aber ich bin kein Teil einer Bewegung – außer meiner eigenen, in der ich meine Vision der Selbstverwirklichung lebe.«_