Anna Calvi – Songs aus dem Speicher

04.03.2011
Foto:Emma Nathan Domino Records Ltd.
Brian Eno ging vor ihr auf die Knie und auch Nick Cave wurde schwach, nachdem sie Anna Calvi hörten. Die britische Sängerin und Gitarristin überzeugt mit einem einzigartigen, verführerischen Debütalbum nicht nur die Großen.

Brian Eno ging vor ihr auf die Knie, nachdem er ihre ersten Aufnahmen gehört hatte, und empfahl sich umgehend als ihr Beschützer und Mentor. Und auch Nick Cave wurde schwach und lud Anna Calvi ein, ihn auf seiner jüngsten Tour mit Grinderman zu begleiten. In erstaunlich kurzer Zeit gelang es der 28-jährigen Sängerin und Gitarristin aus London, gestandene Künstler und zahllose Kritiker für sich einzunehmen. Und das liegt gewiss nicht allein an ihren Vamp-artigen Auftritten mit Gitarre, knallrotem Lippenstift und hochhackigen Schuhen, sondern auch an den einzigartigen, verführerischen Sounds ihres Debütalbums Anna Calvi. Falls einem die Künstlerin nicht schon selbst den Kopf verdreht, dann wird einem spätestens dann schwindelig, wenn man die scheinbar endlose Liste von Referenzen betrachtet, die sich alle auf die eine oder andere Weise in ihrer Musik wiederfinden. Als Sängerin beruft sie sich auf Elvis, Scott Walker, Nina Simone und Maria Callas. Als Songwriterin auf Roy Orbison und Leonard Cohen. Und als Gitarristin auf Django Reinhard, Robert Johnson und Jimi Hendrix. Außerdem liebt sie klassische Komponisten wie Ravel und Debussy sowie die Arbeit von Filmregisseuren wie David Lynch und Gus van Sant. All diese Elemente lässt sie in die Songs ihres Debüts einfließen, bei denen es um Liebe, Lust und Leidenschaft, Einsamkeit, Tod und Teufel geht. Romantik bis zum Umfallen. Was eben so herauskommt, wenn sich ein verträumtes Mädchen jahrelang auf den Speicher ihres Elternhauses zurückzieht, um sich dort eine eigene Welt und einige wunderbare Songs zurechtzuzimmern.

»Mein Kopf funktioniert einfach nicht auf diese theoretische, analytische Art und Weise. Ich vertraue auf meine Ohren, höre zu, improvisiere, verlasse mich auf mein Bauchgefühl.«

Anna Calvi
Der elterliche Rückzugsort
»Ich muss mich zurückziehen, wenn ich kreativ sein möchte. Und auf diesem Speicher kann ich wirklich sehr gut arbeiten. Da bin ich ganz allein, lasse mich durch nichts ablenken und gehe ganz und gar in meiner Arbeit auf«, erläutert sie. Noch heute besuche sie den elterlichen Speicher zum Songschreiben. Zwar habe sie längst ihre eigene Wohnung in London, aber dort gäbe es keinen Raum, in dem sie in Ruhe arbeiten könne. »Außerdem finde ich es gut, den Lebensraum und den Arbeitsraum getrennt zu halten. Insbesondere, wenn es um kreative Arbeit geht. Du fast den Beschluss: Jetzt gehe ich los! Und schon allein durch die Reisezeit von deinem Zuhause zu deinem Arbeitsplatz, verwandelst du dich in eine andere Person.« Ihre Eltern beklagen sich offenbar nicht, auch wenn sie dort bevorzugt ihre E-Gitarre spielt. »Sie behaupten, dass sie mich nicht hören können. Aber vielleicht wollen sie einfach nur freundlich sein«, räumt sie ein und lacht. Schon immer haben die Eltern, die selbst sehr musikalisch sind, Annas Leidenschaft für die Musik unterstützt.

Der Bauch sagt Rock’n’Roll
Mit sechs Jahren beginnt Anna Calvi Violine zu spielen, mit neun kommt die Gitarre dazu, und natürlich geht sie in der umfassenden Plattensammlung ihres italienischen Vaters auf Entdeckungsreise. Später studiert sie Musik an der Universität von Southampton, lernt die Musik vieler klassischer Komponisten kennen und zu schätzen, konzentriert sich jedoch bei ihrer eigene Musik lieber auf den Rock’n’Roll. »Mein Kopf funktioniert einfach nicht auf diese theoretische, analytische Art und Weise. Ich vertraue auf meine Ohren, höre zu, improvisiere, verlasse mich auf mein Bauchgefühl. Das ist gewiss einer der Gründe, warum ich keine gute klassische Musikerin bin und warum ich es nicht hinbekommen habe, eine gute Violinistin zu werden. Denn da kommt es sehr auf diese analytische Seite an. Aber das interessiert mich weniger. Und daher liebe ich den Rock’n’Roll. Beim Rock’n’Roll kannst du dich auf deinen Bauch verlassen, was ich viel spannender finde.«
Aber sie lässt gekonnt ihre vielseitigen musikalischen Erfahrungen in ihren Rock’n’Roll einfließen, was die Besonderheit ihrer Kompositionen ausmacht.
»Beim Songschreiben achte ich darauf, dass die Musik ebenso wie der Text die Geschichte vorantreibt. Ich lege Wert auf die Details, damit die Atmosphäre stimmt. Der Hörer soll das Gefühl haben, in eine andere Welt gesogen zu werden, während der Song spielt.« Kein Wunder, dass die Großen vor ihr auf die Knie gehen.