Casper – »Crossover ist der Feind«

01.07.2011
Foto:Andreas Janetschko
Auf seinem neuen Album befreit sich der in den USA aufgewachsene Bielefelder von alten Rap-Konventionen und überkommenen Genregrenzen. Wir sprachen mit Cas über die Arbeit am neuen Album, Crunk-Platten und falsche Dogmen.

Freunde sauber gezimmerter Genreschubladen blicken bei Casper ratlos zwischen den Regalen Indie und Hip Hop hin und her. Das Stichwort Emosprechgesang mag bei seiner Erscheinung noch greifen, aber wenn Cas zu rappen anfängt, reicht eine Kategorie nicht mehr aus. Der Bielefelder mit der rauhen Stimme muss nach dem Album Hin Zur Sonne und Kollabos mit Favorite, Kollegah und Prinz Pi niemandem mehr seine Rapfertigkeiten beweisen. Auf seinem neuen Album geht er daher einen Schritt weiter und verarbeitet verschiedene Einflüsse in einem Generalabriss der Gegenwart. XOXO lässt sich nicht mit dem Stempel »Crossover«, einem seiner Lieblingswörter, abfertigen. Wenn auf einem Rapalbum Marteria gemeinsam mit Indie-Koryphäe Thees Uhlmann auf der Featureliste steht, bleiben dennoch einige Fragen offen. Zeit, um Cas zu Wort kommen zu lassen über die Arbeit am neuen Album, Crunk-Platten und falsche Dogmen.

Der Titel deiner Tour lautet Der Druck steigt. Hast du dich selber bereits einer größeren Erwartung ausgesetzt, als du ins Studio gegangen bist?
Casper: Der Hype um das Album wurde eigentlich ziemlich gut an mir vorbeigeschleust. Im Studio haben wir uns zwischendurch gefragt, wer sich das eigentlich anhören soll. Ich wollte die Platte schon seit einem Jahr machen, mit all den Querverweisen und musikalischen Anleihen. Aber es gab die Angst, dass die HipHop-Presse das Album hasst und die Indie-Presse es nicht versteht, dass XOXO für Indie zu Rap und für Rap zu Indie ist. Im Studio hing ein Zettel mit der Aufschrift »Crossover ist der Feind«. Ich bin jetzt von der Offenheit des Publikums extrem erstaunt und hätte nicht gedacht, dass die Reaktionen so positiv sind.

»Es gab die Angst, dass XOXO für Indie zu Rap und für Rap zu Indie ist.«

Casper
Die Arbeit am Album hast du als eine Art Hausbau bezeichnet, bei dem du viele verschiedene Einflüsse verarbeitet hast. War das beabsichtigt?
Casper: Es gab eine Ansammlung von Sachen, die ich als Fundament nehmen wollte. Da war alles dabei, von Instrumental Sachen, Black Metal bis hin zu meinen Jugendplatten. Daran sind viele Produzenten gescheitert und von einigen Beats haben wir im Endeffekt nur die Melodie genommen. Mein Werkzeug war die Basis, dazu kam ein Berg an Zitaten und Anleihen. Die Einflüsse wurden vermischt und musikalisch in sich gedreht, daraus ist dann mein eigener Sound entstanden.

Du hast nur zwei Features auf dem Album. Die Zusammenarbeit mit Thees Uhlmann von Tomte ist ja eher zufällig zustande gekommen. Hattest du vor, neben Marteria noch jemanden auf das Album zu nehmen?
Casper: Ich hatte mehrere Anfragen wegen Features gestellt, die alle nicht geklappt haben. Thees und Marten waren vielleicht eine schicksalhafte Fügung, weil es die Sachen waren, die am persönlichsten lagen und abgelaufen sind. Ich bin mit der Hamburger Schule sozialisiert und wofür Thees innerhalb der Indie-Szene steht, ist respektabel. Für mich ist es eine Verbeugung, die ich meiner Meinung nach noch nicht verdient habe, ihn auf dem Album zu haben. Bei Marten war es so, dass wir den Beat fertig produziert hatten, und ich mir seine Stimme perfekt darauf vorstellen konnte.

Du bist in Augusta, Georgia, aufgewachsen. Bist du bereits in den USA zum Rap gekommen?
Casper: In Atlanta gab es in meiner Jugend die ersten DJ Paul-Mixtapes, und Three 6 Mafia-Demos, die ersten Crunk-Sachen. Den Rawkus-Hype habe ich damals nicht verstanden, weil ich No Limit und Cash Money gehört habe. Heute feiere ich immer noch Rick Ross und Pusha T. und kann daher mit Stones Throw oder Duck Down nichts anfangen. Bei uns zu Hause liefen aber auch die ersten LL Cool J- und Big Daddy Kane-Alben.

»Wenn man in Deutschland nach eigenen Einflüssen geht, müsste man Nena samplen.«

Casper
War es für dich wichtig auf Deutsch zu schreiben, als du hierher gekommen bist?
Casper: Ich konnte kein Wort Deutsch, als wir hierher gekommen sind, weil es nicht geplant war. Erst am Flughafen in Frankfurt wurde klar, dass wir hier bleiben und von da an war alles für mich deutsch. Ich halte die Fahne für deutsche Musik hoch, ich finde es furchtbar wenn alles an Amerika oder England gemessen wird. Ich verstehe zum Beispiel die Buchungspolitik vieler Festivals nicht. Für ein enormes Honorar wird ein US-Act gebucht, der fünf Minuten vor dem Auftritt auf die Bühne kommt und danach abhaut. Die anderen machen die Basisarbeit und müssen den Rest unter sich ausmachen.

Was hat es mit dem Titel des Albums auf sich?
Casper: Das Überthema war der heutige Zeitgeist, die Ziel- und Willenlosigkeit der neuen Generation, die kleinstädtische Tristesse. Um diesen Status quo sind die Geschichten gestrickt. Die Platte ist ein Abschied an viele Werte, an die kindliche Unschuld. Auf der anderen Seite habe ich mich das erste Mal von alten Fesseln frei gelaufen, genauer gesagt von Rapdogmen, wie beispielsweise der Samplekultur. In Amerika funktioniert das, weil die Leute mit Soul und Funk aufgewachsen sind und es eine Erinnerungskultur gibt. Deutschrap ist in der Hinsicht verlogen. Wenn man in Deutschland nach eigenen Einflüssen geht, müsste man Nena samplen. Auf dem Album habe ich nur das zitiert, was ich in meiner Jugend gehört habe.