Zwölf Zehner – August 2012

12.09.2012
Willkommen im September. Doch vorher lassen unsere Kolumnisten vom Dienst den Monat August musikalisch Revue passieren und destillieren in ihrer Kolumne Zwölf Zehner die wichtigsten zehn Tracks des Monats.
Paranoid London
Paris Dub 1
Paranoid London • 2012 • ab 9.99€
»808, 303, 707 & Paris Brightledge on vox. Uncompromising acidic bass music for DJs & dancers«. Und für unser Kolumnistenduo. Denn mehr bedarf es gar eigentlich nicht, um uns in Verzückung zu versetzen. Was der Pressetext hier knackig umschreibt, ist dann wahrlich kompromisslose House Music ihrer originären Art, wie sie mit beschriebenem Hilfsmittel auch schon zu ihrer Geburtsstunde komponiert wurde. Zugegeben, gerade 2012, dem Jahr in dem der Retrowahn allerorts auf die Spitze getrieben wird, ist das sicherlich nichts Neues. Aber diese Bassline. Diese Bassline! Nach exakt 3:03 Minuten Drummachinegestolper windet sich diese heimtückisch um die brachialen Kicks und Claps und nimmt unbarmherzig ihren Lauf. Ob das alleine reicht für die Spitzenposition? Man sollte anmerken, dass es den ominösen Engländern abermals gelingt, die Chicago-Legende Paris Brightledge auf ihrem Track zu platzieren. Das mal löblich erwähnt und dankbar angenommen. Das ist es aber nicht. An Paranoid London besticht vor allem diese ignorante Attitüde, alle zwei Jahre mit einer rotzigen 12inch aufzukreuzen, sich mit einer künstlich knapp gehaltenen Auflage den Verkaufswegen komplett zu verweigern und mit der Rohheit ihrer Tracks das ganze System dieser ganzen 707-Opportunisten, die wie Pilze aus dem Boden spriessen, komplett zu zerbersten. Habe ich es schon erwähnt: Diese Bassline!

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Es tut mittlerweile schon wirklich gut, wenn sich die großen R&B-Diven nicht hinter diesen turmhohen Skrillex-Drops und grausamen Guetta-ismen verstecken. Rihanna ist diesbezüglich leider auch kein unbeschriebenes Blatt, was aber passiert, wenn Bangladesh ihr einen solch reduzierten 808 Banger vor die viel diskutierte Stirn wirft, zeigt »Cockiness«. Latente Dancehallanklänge, dazu ein ad infinitum wiederholtes Vokal-Sample (A Milli, anyone?) und eine Rihanna, die ganz schön unkodiert und vehement Oralsex einfordert. Das wiederum inspiriert sogar A$AP Rocky dazu wesentlich aufgekratzter zu klingen als sonst. Hat auch was zu hören wie sehr sich Pretty Flacko freut auf Riris Remix re-retarded zu gehen und im echten Leben damit sogar noch mit einer extended Popograbsch-Einladung belohnt zu werden.

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Holy Other
Held
Tri Angle • 2012 • ab 19.99€
Nach so viel Gebalze ist »U Now« besonders wohltuend. Holy Other macht dort wieder, was er am besten kann. Ein, es muss halt wieder gesagt werden, Burial’eskes Vocalsample geistert durch die getragenen vier Minuten, die nervöse alte Drummachine torkelt zunächst zurückhaltend durch die morbide Kulisse, scheint kurzzeitig zur Ruhe zu kommen, bevor sie sich in einem verzweifelten Staccato schließlich doch ergibt. Kaum einer transportiert momentan Melancholie so uneitel wie Holy Other und allein dafür muss man ihn so – Vorsicht Zwölf Zehner Lieblingsphrase – gern haben.

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Egal in welcher Coverversion, »All Night Long« aus der Hitschmiede des einzigartigen Funkmaestros Rick James, der den Song Anfang der 80er seiner Girlgroup Mary Jane Girls auf den Leib schrieb, bleibt irgendwie unkaputtbar. Nun also Matthewdavid. Der Labelvater von Leaving Records, der neuerdings auch für Brainfeeder tätig ist, entschleunigt das wonnende Original signifikant im Tempo und kreiert um den eingängigen Groove einen basslastiges Stilhybriden irgendwo zwischen Dub, Trap und obskurer Disco-Electronica, der triefend von Samples und Effekten allerart einen appetitlichen Charme versprüht.

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Trackman Lafonte & Bonquiqui (Legowelt & Xosar)
Pacific House EP
L.I.E.S. • 2012 • ab 10.99€
Als große Legowelt-Fanboys sind wir neuerdings verblüfft ob der Verspieltheit und des Ideenreichtum, der sich auf den Veröffentlichungen der neuen Marke Trackman Lafonte & Bonquiqui wiederfindet. Wo kommt sie her, diese Sexiness? Feministen und Genderforscher weggehört, aber da wird doch eine Frau im Spiel sein? Mit dem Verdacht liegen schließlich wir gar nicht so falsch, demnach handelt es sich bei T&L um eine Kooperation mit der Produzentin Sheela Rahman die kürzlich schon mit ihrem Projekt Xosar aufhorchen ließ. Und man mag es mir nachsehen, aber diese Dame wird es sein, die hier die obig erwähnten Charekteristika einfliessen lässt. Chauvi hin oder her. »Pacific House« strotzt vor Ideen, vor Melodien, Synthesizerwendungen und verzerrten Stimmsamples und entzieht sich mit seiner Farbenpracht einem stringenten, halt gebenden Trackgerüst. Pacific House strotzt auch vor Manchester, vor Acid und Happy House, vor dem Summer of Love und ist damit die ravigste aller Spätsommerhymen, die es uns Ende August noch einmal angetan hat.

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Wer »Hydroplane« hört, dürfte erahnen, was unter der Vokabel wonky ursprünglich gemeint war. Eine mächtige Synthfläche durchzieht diese acht Minuten, in denen man nie weiß, wann The Twilite Tone uns den Boden unter den Füßen entreißt und den Track kippen lässt, doch jedes manische Crescendo ebbt wieder kurzeitig ab, nur um Sekunden später mit noch mehr Nachdruck zu explodieren, ob nun unterstützt von einer pointiert eingesetzten Jazz-Vocal-Spur, dem Lachen und Stöhnen des Produzenten selbst oder nur getragen von dieser so vulgären, wie wunderschönen Synth-Line. Das ist Dorian Concepts Trilingual Dance Sexperience mit ganz anderen Mitteln.

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Theo Parrish
Any Other Styles
Sound Signature • 2012 • ab 13.99€
Und wo wir gerade bei eklektischen Tönen sind: von vielen als bloße Kakophonie abgetan, haben wir uns derweil an Theo Parrishs »Any Other Styles« gewöhnt. Das rhythmische vielleicht größte WTF des Sommers beginnt mit Wu-Tang-Samples und einem ganzen Arsenal an unlinear gesetzten Kickdrums, die tatsächlich manchmal so klingen wie eine handicapped cow headbutting an mpc Theo wäre aber nicht Theo, wenn er nicht nach und nach ordnende Elemente in das Chaos einstreuen würde, die er uns – Theo bleibt Theo – dann aber gerade wenn man sich im Groove sicher fühlt, wieder wegnimmt. Any Other Styles mag für viele nicht mehr sein als eine hochgradig frustrierende Angelegenheit, wir bilden uns aber ein, die Method to this madness gefunden zu haben, um uns ins bester Woody Harrelson Manier zu versichern: wir können Theo hören.

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Eko Fresh
EK To The Roots
Seven Days • 2012 • ab 10.82€
Also folgendermaßen: wir haben keine Lust mehr, dass Eko immer noch als Savas’ Prügelknabe wahrgenommen wird und alle auf dem kleinen Ekrem rumhacken, nur weil er als erster in Deutschland schon vor mehr als einer Dekade keine Angst vor der Amerikanisierung der deutschen Raplandschaft hatte. Wer außerdem immer noch Zweifel daran hat, dass Onkel Ek das Herz am richtigen Fleck hat, setze sich doch bitte mal ernsthaft mit seinem »Raplexikon« auseinander, wo er mit Starter-Jersey auf einen Boom Bap Dinosaurier kompatiblen Large Pro anno 93 Beat so viel Plosiv-Akrobatik betreibt, dass man doch zumindest einmal gönnerhaft nicken darf. Ist das denn wirklich zuviel verlangt?

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Seitdem Dominic Lord nicht mehr dem ASAP Mob zugehörig ist, lässt er sich seine Beats nicht mehr von Clams Casino oder ASAP Ty Beats sondern eben von Hudson Mohawke schneidern. Ansage. Dieser sorgt auf der wütenden, wenn auch äußerst schwer zu dechffrierenden Trennungshymne »Pierce«, für das passende Fundament und schneidert dem Fashionista Lord ein druckvolles Beatkorsett. Schwere Drums bohren sich über das schwebende Klassiksample und werden von einer für HudMo-typischen Casiomelodie mustergültig enthemmt. Damit die Disharmonie nicht aus dem Ruder läuft, legt Mohawke ordentlich Effekt über Lords Stimme und verleiht dessen geladenen Anklagen zusätzliche Finsternis. Nachzusehen vor allem im passenden Videoclip den Lord, weitere Verwirrung stiftend, zum Fashion-Projekt deklariert. Achja: Pusha T is killing it on the remix

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Wir wollen jetzt keine blasphemischen Vergleiche zu den beiden Großmeistern MK und Todd Edwards anstellen, aber die Art und Weise, wie spielerisch leicht es Greymatter fällt, Vocalsamples sein Eigen zu machen, erinnert teilweise tatsächlich an diese beiden Säulenheiligen. Auf »Sweat« bedient sich Greymatter ausgiebig bei Beyonces »Get Me Bodied«, legt einen einen Flächenbrand von einer Bassline über Mrs. Knowles Aufforderungen zum kollektiven Schwitzen und samplet dazu noch Boogie-Stabs, die nach Prince klingen, aber vielleicht sind wir zu diesem Zeitpunkt auch schon so euphorisiert, dass das bloße Fantasie ist.

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