Dirty Beaches – This Is Not My City

04.11.2013
Foto:Richmond Lam
Dirty Beaches geht es um Echtheit. Wir trafen Alex Zhang Hungtai, den Mann hinter Dirty Beaches, mehrmals zum Interview und ließen ihn durch den Fotografen Richmond Lam in Montréal begleiten. Einblicke in das Leben eines Musikers.
In der Musik von Alex Zhang Hungtai, die er seit 2007 als Dirty Beaches veröffentlicht, geht es um Echtheit. Die Frage nach dem Inneren, nach dem Inhalt, treibt den aus Taiwan stammenden Kanadier an, weil er zeitlebens ein Vagabundierender gewesen ist. Die Rückkehr zur Musik geriet dabei zur Suche nach einer verlorenen Naivität, zum Ausdruck der Sehnsucht nach Schwerkraft in der Bewegung. Sein kürzlich erschienenes fünftes Studioalbum mit dem treffenden Titel »Drifters/Love Is The Devil« ist als Doppelalbum angelegt. Mit der Hilfe von Gitarrist Shub Roy und dem elektronischen Musiker Bernardino Femminielli (und Einspielungen von Saxophonist Francesci De Gallo und Drummer Jesse Locke) schichtet Alex Zhang Hungtai akustische Instrumente, Beats und Sounds zu zerbrechlichen Songs, deren Fluchtpunkt niemals Nostalgie, sondern immer Introspektion ist. Die Songs behalten trotz ihrer Anleihen vom Wu Tang Clan bis hin zu Suicide stets eine tröstende persönliche Dringlichkeit. So wird das Album zu einem ungehemmten Ritt durch Rock, Rockabilly, Drone, zerrüttete Popsongs und Ambient-Nummern, die sich wie ein flauer Magen anfühlen.

Deine Musik ist sehr Lo-fi produziert, sehr dicht, geschichtet. Was kann man alles weglassen, so dass ein guter Song immer noch ein guter Song bleibt?
Das ist eine wirklich gute Frage, weil genau darum ging es mir bei Dirty Beaches. Früher, als Teenager, habe ich immer in Bands gespielt, Gitarre, im Hintergrund. Mir hat es Spaß gemacht mit anderen zu spielen, mit meinen Freunden. Sehr naiv, so wie jedes nordamerikanische Kind. Und dann mit 25 Jahren bin ich, nachdem ich Immobilienmakler in China war, wieder nach Kanada zurückgekehrt, habe einen gut bezahlten Job aufgegeben und wieder Jobs gemacht, die man mit 18 macht, einfach um Musik machen zu können. Ich war sehr fokussiert, das war 2005. Doch es war sehr schwer Leute zu finden – die Zeiten in denen man eine Band mit Freunden gründet, waren für die meisten vorbei. Also spielte man mit Fremden und das bedeutete oft: »Spiel diesen Part so, das ist mein Song, also bitte spiel ihn genau so.« Und ich dachte mir: ›Fuck you, ich werde das nicht spielen.‹

Und wie kamen dann deine Vorstellungen ins Spiel?
Die Idee hinter Dirty Beaches ist, alles wegzulassen, was man nicht braucht. Die Songs sind sehr einfach: Verse, Chorus, Bridge, Verse, Chorus, Outro, Schluss. Es gibt wenig Veränderungen innerhalb von Popsongs. Mit Dirty Beaches wollte ich auch all die Spielereien, die Details weglassen und mich nur auf die großen Veränderungen konzentrieren. Was bleibt übrig, wenn man alles weglässt? Der Inhalt. Und dann musst du sicher stellen, dass du sehr direkt mit deiner Geschichte, deiner Ästhetik und der Botschaft was das ganze Projekt soll, bist. Und bei Dirty Beaches geht es um das Reisen, darum, nicht zu Hause zu sein. Kurz: Ein guter Song ist gut wegen seines Inhalts.

Siehst Du dich als Kind einer rastlosen Generation?
Nein, ich denke in meiner Generation sind die Menschen glücklich darüber ein Auto zu bekommen, den Führerschein zu machen, zu erkunden. Aber heutzutage haben jüngere Menschen meiner Erfahrung nach keinen Führerschein. Vor allem in Nordamerika. Ich denke durch das Internet sind die Menschen zufriedener. Während es für eine Menge Leute in früheren Generation immer darum ging umzuziehen, einen besser Job in einer größeren Stadt zu finden. Heutzutage erlebst du das in Amerika kaum noch.

Ist eine Ästhetik, die über die Musik hinausgeht wichtig für Dich?
Ich denke, Ästhetik ist entbehrlich. Wie zum Beispiel ›Fashion‹. Ich denke, es ist nur mächtig, wenn es gepaart ist mit dem, was du im Inneren bist. Zum Beispiel: Warum reizt uns dieselbe Lederjacke mehr, wenn wir sie an einem älteren Herren sehen als wenn sie ein Teenager trägt? Alt ist sie in beiden Fällen. Aber wir sind besessen von der Idee von Staub, der Echtheit, den Geschichten, den Lebenserfahrungen. Und das ist es, was ich verfolge: Die Ästhetik oder das Genre eines Sounds. Das alles ist austauschbar. Es kümmert mich nicht. Denn ich bin nicht in einer Band wie die Rolling Stones. Ich habe keinen Sound. Und das verbindet sich mit »Ich habe kein Zuhause«. Aber ich weiß, wer ich bin. Das bin ich. Ich bin die Person, die umherwandert, absorbiert und versucht das Leben ehrlich und echt zu leben und nett zu den Menschen zu sein.

Dirty Beaches ist also music from the road?
Ich glaube, dass die Musik den Menschen Gesellschaft leistet. Ich mag diese Idee. Ich mag nicht die Idee des Connaisseurs, der sagt »Ich mochte wirklich diese kleinen Anspielungen und Verweise an…« Es ist einfach Musik, die ich mag und sie ist ein Teil von mir. Menschen sagen, dass es keine Einzigartigkeit mehr gibt und ich bin da anderer Meinung. Unsere einzigartige Kombination von Dingen, die wir mögen, ist, was wir sind. All die Menschen mit denen ich aufgewachsen sind, ihre Gedanken, die Art sich anzuziehen, die Musik die sie mochten, sind in dem, was ich sage.

»Warum reizt uns dieselbe Lederjacke mehr, wenn wir sie an einem älteren Herren sehen als wenn sie ein Teenager trägt? Alt ist sie in beiden Fällen. Aber wir sind besessen von der Idee von Staub, der Echtheit, den Geschichten, den Lebenserfahrungen.:«

Dirty Beaches
Ist dieser Unterschied zwischen den Generationen auch ein Grund dafür, dass du in deiner Musik viele Elemente aus der Vergangenheit benutzt – weil Dir die Musik und die Lebensart damals eher zugesagte?
Ich denke nicht. Eher glaube ich, dass ich für »Badlands« und alles, was ich davor gemacht habe, aus der Vergangenheit geschöpft habe. Leute reden immer über Nostalgie und das Referenzieren der Vergangenheit. Aber wenn du an alles denkst, das wir machen und leben… Alles ist aus der Vergangenheit. Das Konzept eines Stuhls ist nicht neu. Die Idee von einem Stuhl wurde einfach nur über die Jahrhunderte perfektioniert. Es ist ein ständiger Erneuerungsprozess. Und wenn es um Musik geht, wo die Leute immer über Referenzen und Blablabla reden… Kurz gesagt: Alles worüber wir reden ist aus der Vergangenheit. Es ist eine Akkumulation der menschlichen Existenz und Erneuerung und der Versuch Dinge zu re-adaptieren und in einen anderen Kontext zu setzen.

Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit scheint dir so wichtig zu sein, auch um Echtheit und Reinheit zu finden. Du hast zum Beispiel deinen Stil dahingehend zurückverändert, wie er zu deinen College-Zeiten war…
…nun, es geht nicht allein um die Vergangenheit. Es geht vielmehr darum, jung zu sein, reiner in seinen Sinneswahrnehmungen zu sein, sich nicht von anderen Leuten beeinflussen zu lassen. Du magst etwas, weil du es magst und nicht weil andere Leute denken, dass es cool ist. Ich war sehr naiv als ich jung war. Ich spielte einfach nur Basketball und scherte mich nicht um Kunst und Mode. Es fühlt sich einfach nur gut an, nicht zu analysieren und zu bewerten.

Und das hat sich verändert?
Ja, natürlich. Es verändert sich für jeden. Insbesondere wenn man vom Zuhörer zu einem Musiker wird. Und ich will irgendwie zurück zu der Zeit, in der ich einfach nur zugehört und nicht kalkuliert habe.

Was interessiert dich an Hip Hop?
Es hat damit zu tun, was für mich Musik ist. Ich bin kein Musikgenießer, ich sammele keine Platten. Ich sammele gar nichts. Und ich analysiere auch nicht. Hip Hop heißt für mich dahin zurück zu gehen als ich in der Highschool war. Damals habe ich Musik am meisten geliebt, weil ich noch keine Vorurteile darüber hatte, wie die Sachen gemacht sind. Heutzutage muss ich mein Gehirn zwingen sich auszuschalten.

Was magst du am meisten?
Ich liebe Wu-Tang, ich liebe die Produktionen von RZA. Ich finde seine Loops und Samples weird, unkonventionell. Diese Faszination aus meiner Highschool-Zeit ist immer noch in mir. Das heißt nicht, dass ich wüsste, wie man eine Hip Hop-Platte macht.

Wo findest Du Echtheit?
Bei Echtheit geht es nur darum, mit deiner Familie und Freunden verbunden zu sein. Und es geht nicht um finanzielle Gewinne, weil die können auch wieder verschwinden.

Wie schwer ist es, ein Künstler zu sein, der nicht an finanzielle Aspekte denken will, aber gleichzeitig versuchen muss, zu überleben. Ich meine, Du hast an verschiedenen Orten gelebt und die verschiedensten Jobs gemacht.
Ich denke, der Unterschied zwischen früher und jetzt ist, dass ich jetzt mehr zu verlieren habe. Früher habe ich in einer Küche gearbeitet. In der Zeit konnte ich ein wirklich verrücktes Drone-Album machen und am nächsten Tag wusste ich, dass es nie jemand anhören würde. Und dann bin ich einfach zurück zur Arbeit gegangen und danach habe ich ein anderes Album gemacht. Aber wenn ich es heute so machen würde, würden mich die Fans kritisieren: Das kannst du doch nicht machen! Es gibt Dinge, die du verlieren wirst. Und mit diesem Album haben wir die Richtung verändert, aber ich finde, der Inhalt ist derselbe geblieben.

Wenn du von Inhalt sprichst, meinst du lyrischen Inhalt?
Nein, die ganze Präsentation, ich bin kein großer Dichter. Und ich bin kein Fan von versteckten Botschaften.

OK, aber du sagst doch auch Sätze wie: »Love Is The Devil«. Was meinst du dann damit?
Nun, Liebe ist das, was Leute durchdrehen lässt. Es gibt nicht viele Dinge im Leben, die dich durchdrehen lassen können.

Was verstehst du unter einem Zuhause?
Ein Bett. Nein, ich meine es ist einfach nur eine Collage aus Erinnerungen, vor allem wenn du in verschiedenen Orten gelebt hast.

Suchst Du in deiner Musik nach Heimat?
Es ist nicht so, dass ich wirklich in meiner Musik nach einem Zuhause suche. Die Musik verkörpert einfach die Einflüsse, aus all den Orten, an denen ich war.