Cutmaster Swift – Turntable Diaries #2

18.10.2013
In diesem Jahr feierte die DMC World DJ Championships ihren 30. Geburtstag. Aus diesem Anlass stellen wir euch in den nächsten Wochen einige Turntablists vor. Diesmal: Cutmaster Swift.

In diesem Jahr feierte die DMC World DJ Championships ihren 30. Geburtstag. Aus diesem Anlass sprachen wir mit ausgewählten Gewinnern der letzten drei Jahrzehnte über die Geschichte des DJing und ihren Blick darauf. In den nächsten Wochen stellen wir Euch nun einige Turntablists vor. Den Anfang macht: DJ Cutmaster Swift – World Champion 1989, Erfinder des Copycat und damit Initiator des Beat Jugglings.

Wann hast du mit Turntablism angefangen?
Cutmaster Swift: Zuerst möchte ich kurz erläutern, weshalb ich überhaupt DJ wurde. Das begann nämlich bereits im Alter von 5 Jahren. Mein Vater war in einem Soundsystem-Unternehmen namens M&B HIFI. Von dort kommt meine Leidenschaft für die Musik. Mein Vater ließ mich ab und zu auf unserem Hifi-System spielen. Und als er seine Anlage erneuerte, bekam ich natürlich das alte System. Meine Plattensammlung waren ebenfalls Erbstücke von Reggae über Soul bis Disco. Ansonsten habe ich vor dem Hip Hop eine Menge New Wave und Pop gekauft. 
Zum Hip Hop-DJing kam ich Ende 1979 – wie viele andere – über die Berichterstattung zu einem damals neuen schwarzen Ghetto-Phänomen, das später dann Hip Hop getauft wurde. Sie fokussierten damals auf die vier Elemente: DJing, MCing, Graffiti, Body Popping/Break Dancing. Ich sah sofort die Ähnlichkeit zwischen dem Hip Hop-DJ und dem jamaikanischen Soundsystem »Selector«. Das packte meine Neugierde. Gerade auch wegen der Interaktion, die von ihnen ausging. Ein Menge war Scratch-Mixing, weshalb die DJs damals auch als »Scratch« bekannt waren. 
Wenn wir also in die Gegenwart vorspulen und den Begriff »Turntablism« betrachten, ist es für mich wichtig, eine Trennung dazu vorzunehmen. Turntablism wird heutzutage vor allem durch Wettbewerbe wie das DMC definiert und hat nur noch eine geringe Verbindung zu früher, insbesondere da die DJs heute Solo-Musiker sind, deren Kompositionen sehr häufig nicht einmal mehr auf Hip Hop zurückgreifen. 
Last but not least sollte man auch beachten, dass Hip Hop bereits über 30 Jahre alt ist, während der Begriff »Turntablism« erst Mitte der 1990er Jahre durch DJ Babu geprägt wurde. Er benannte damals sein Mixtape so und die wachsende, offene Hip Hop Gemeinschaft hat den Begriff adaptiert.

Bist du immer noch aktiv? Und verdienst du damit deine Brötchen?
Cutmaster Swift: Natürlich bin ich noch aktiv, auch wenn ich nicht mehr an Battles teilnehme. Aber meine Gegenwart ist sehr aktiv, ob als Techniker, Produzent, Lehrer und auch als Moderator. Und wenn möglich auch als Mitglied der Jury [bei DMC]. Da ich das Glück hatte, die DMC Championships zu gewinnen, bin ich in der Welt ganz schön rumgekommen – selbst heute noch, wo ich als Botschafter für die Kunstform unterwegs bin. Oft finde ich mich also als jemand wieder, der in Geschichtsstunden darüber doziert, wie wir so weit kommen konnten.

Was hat dich all die Jahre dran bleiben lassen?
Cutmaster Swift: Die Hip Hop-Community ist durch einen Wettbewerb in allen Dingen und gegen jeden getrieben – egal ob Gegner oder Verbündeter. Das treibt den Elitarismus der Kunstform voran.

Wie schaut deine Lieblingsroutine aus?
Cutmaster Swift: Ich habe nicht wirklich einen Favoriten. Und ich muss zugeben, dass ich wahrscheinlich kein innovative Routine mehr kreieren könnte. All meine Sets und Performances müssen Innovation – egal wie klein – zeigen. Meine Techniken haben die Kunstform bis heute beeinflusst und zeigen sich alltäglich, wenn z. B. ein DJ juggled oder mit dem Copycat, den ich 1988 einführte, die Platten manipuliert. Ich kann mich nur wie ein stolzer Vater fühlen, der weiß, dass die endlosen Stunden der Übung es wert waren.

»Du musst erst einmal die Techniken draufhaben oder es wird eine große Sauerei. Daran hängt meist der Aufstieg und Fall eines DJs!»

Cutmaster Swift
Wie entwickelst du eine Routine?
Cutmaster Swift: Du musst erst einmal die Techniken draufhaben oder es wird eine große Sauerei. Daran hängt meist der Aufstieg und Fall eines DJ. Ich gehe wie an eine Geschichte heran und unterteile meine Routines in einzelne Abschnitte, die ich dann einzeln bearbeite. Der richtige Einstieg ist absolut entscheidend für jeden DJ. Falls du falsch anfängst, verlierst du schnell die Aufmerksamkeit deines Publikums. Ich versuche immer, aufgedreht zu starten. Egal ob ein populäres Platten-Intro, ein Refrain oder ein Soundeffekt von mir – es muss dynamisch sein. Der Rest – die Scratches, Juggles und Lyrics-Cuts – geht aus dieser Dynamik hervor. Du kannst die Dinge auch etwas verlangsamen, aber es darf nicht vorhersehbar sein, wenn es bekannte Dinge sind. Wie gesagt, jede Routine muss etwas Innovatives besitzen. So entwickelt sich die Kunstform. Wir sind alle Individuen und es ist wichtig, dass wir genau das sind, wenn wir performen. Immer das gleiche und etwas von anderen zu machen, ist es also nicht. Und nur weil du andere Musik verwendest, brauchst du nicht denken, du bist innovativ. Wundere dich daher nicht, wenn das Publikum und vor allem die Jury das anders sehen als du!

Wie würdest du deine grundsätzliche Philosophie des Turntablism beschreiben?
Cutmaster Swift: Aus einer Wettbewerbsperspektive würde ich sagen: Wenn du gewinnen willst, stelle dich darauf ein zu verlieren. Ansonsten sei du selbst, mache Musik und habe Spaß!

Wie bereitest du dich auf Battles vor? Und wie fühlst du dich bei Battles?
Cutmaster Swift: Bei eins-zu-eins Battles (Supremacy) solltest du die Stärken und Schwächen deines Gegners kennen. Ich sehe zu oft einen Turntablisten, der irgendwelche Routines anbringt, die in keinster Weise auf den Gegner reagieren. Ich gehe so ran: Es gibt weder Freunde noch Verbündete, also sei bereit, in den Krieg zu ziehen. Nach dem Battle – falls es nicht zu brutal und persönlich war – kann man immer noch freundlich zueinander sein. (lacht)

Wie war dein erster Battle?
Cutmaster Swift: Meine ersten Battles haben ich ganz »street level« in Underground Park Jams und Clubs gehabt. Und da ich gewann, wurde ich auch bekannt.

Wie hat sich dann der DMC World Champion Titel angefühlt?
Cutmaster Swift: Selbst nach 24 Jahren weiß ich das noch, als wäre es erst gestern gewesen. Ich war sehr stolz darauf, meiner Familie meine gewählte Profession bewusst zu machen, es auf ein unglaubliches Weltniveau zu hieven, in der Royal Albert Hall (in London) zu kämpfen, zu gewinnen und natürlich die ersten goldenen Turntables als Trophäe zu erhalten.

Was war damals deine Sieger-Routine?
Cutmaster Swift: Meine Routine bestand aus einer R&B-Platte, die ich mit einem bekannten Hip Hop-Track mixte. Dazu gab es einen Siegestanz als ultimativen Einstieg. Es hat geklappt. Und dann folgten in sechs Minuten all die innovativen Techniken wie die Copycat und Body Tricks.

Digital oder Vinyl?
Cutmaster Swift: Während meiner Wettkampfzeiten gab es nur eine Wahl und das war Vinyl. Heute ist heute und DJs wie Technologie haben sich entwickelt. Ich habe kein Problem mit digital. Meine einzige Kritik besteht im Live-Element, da einige DJs ihre Musik vormanipulieren und -editieren. Das beeinflusst aber nicht meine Bewertung der Kunstform, da ich solche unnatürlichen Unterschiede schnell heraushöre. Was die anderen Juroren davon halten, sollen sie selbst erklären. Ein Vorteil von digital ist natürlich, dass es viel sauberer ist und einen umfassenderen Zugriff auf eine viel größere Bibliothek erlaubt. Nachteil ist ganz klar, dass die DJs nur noch auf den Bildschirm schauen und es immer mal zu Latenzzeit-Verschiebungen kommen kann, die ein guter DJ natürlich zu minimieren versteht.

Deine Top 3 Turntablism Platten?
Cutmaster Swift: Ich komme um Fab Five Freddys »Change The Beat« nicht herum, wenn auch nur wegen der berühmten »Ahh«- und »Fresh«-Samples. Jeder Turntablist sollte diese Scheibe als Original im Schrank haben. Auf Platz 2 wäre eine Hip Hop Platte. Da es aber so viele gute gibt, sage ich nur: Wenn es in meiner Sammlung ist, mag ich es offensichtlich und ich würde mich nie davon trennen. Dasselbe gilt für Break Records. Das ist die echte Hip Hop-Musik – Segmente energetischer Drum Beats und Instrumentals aller Musikgenres, die heute ab und zu gesampelt werden. Ich würde an dieser Stelle auch noch auf The Incredible Bongo Band’s »Apache« verweisen, ein echter B-Boy Klassiker. Aber frag mich ein anderes Mal und ich nenne dir eine andere Platte. Es gibt einfach zu viele. Und es gibt nach wie vor ausreichend Unbekanntes, aber die goldene Regel des Hip Hop war schon immer: DJs geben ihre Plattenliste nicht aus der Hand. Es ist das am besten gehütete Geheimnis.