Vinyl-Sprechstunde – Aphex Twin’s »Syro«

26.09.2014
In unserer Kolumne diskutieren zwei Personen eine aktuelle Schallplatte. Florian Aigner hofft, dass Philipp Kunze mal was schlechtes über Aphex Twin sagt, weil sich der (Kunze) bislang kaum mit dem (Aphex Twin) beschäftigt hat.

Aigner: Ich frage mal so: welches ist dein Lieblings-Aphex-Twin-Track? Also überhaupt jetzt.
Kunze: »Windowlicker«, hihihihähähhi.
Aigner: Das finde ich in dem Kontext unglaublich erfrischend. Ich meine, ich habe ja auch das gemacht, was alle machen, gestern in der Inventur Weil es nicht anders geht, wenn man Aphex Twin halt mitgekriegt hat. Aber so ganz jungfräulich an »Syro« ran, das ist toll. Also: Warum ist dir »Syro« egal? Nochmal: Das finde ich toll.
Kunze: Ich weiß ja noch gar nicht, ob es mir egal ist. Okay, mir war es jedenfalls schnuppe, dass es erschienen ist. Ich weiß aber vor allem nicht, warum Musikkenner immer so besessen sind, von allem wissen zu müssen, wo es herkommt. Mir ist es auch schnurzpiepegal, wer das Rad erfunden hat, wenn ich ein neues Fahrrad kaufen gehe.
Aigner: Die Rezeptions-Heiligenschreinerei geht mir ja auch tierisch gegen den Strich. Ich finde dieser akademische Zugang macht da soviel kaputt. Allein schon wie da Gearporn-mäßig wieder am Rad gedreht wurde, weil Aphex Twin das mit dem Cover natürlich dermaßen provoziert hat. Und alle fallen darauf rein und sind auf einmal Synth-Gurus.
Kunze: Vor allem finden die meisten ja nicht den heilig, sondern sich selbst, weil sie erkannt haben, dass er heilig ist.

Aigner: Ja, das sind halt die Warp-Ultras. Und Juniorprofessoren. Mach mal Track 1. Da ist nichts gleich, aber trotzdem hängt alles zusammen.
Kunze: Tja, ich bin mitten in »Minipops« drin und völlig geflasht, wie gut das ›groovt‹, obwohl da vom Kinderkeyboard bis zum komplett verstotterten Drum-Gerüst alles dabei ist.
Aigner: Also mich kriegt er ja für gewöhnlich auch nur wirklich mit diesen groovenden House-Tracks. Der Rest ist halt Arbeit. Aber im Gegensatz zu Autechre, für die ja das gleiche gilt, ist da viel mehr Sexyness im Groove. Für mich sind die wichtigen Tracks die, die ich in irgendwelchen DJ Sets häufig rekontextualisiert bekommen habe, also da wo mir der Groove erklärt wurde.
Kunze: Aber eigentlich geht es Aphex Twin nicht um Groove, oder?
Aigner: Ich glaube eigentlich geht es ihm voll darum. Ich glaube, der hat für einen kaukasischen Trickster unglaublich viel Detroit-Groove im Arsch. Und dann pusht er halt so lange bis der Groove fast weg ist. So ein Reizen des Limits, das auf jeden Fall.

Kunze: Ich muss auch direkt zugeben: Das alles macht mich munter. Das klingt so wenig verkopft, obwohl es zellmembranmäßig richtig dampfen muss, wenn man solche Tracks baut.
Aigner: Ja! »Produk 29« zum Beispiel: 1A Boogie-Synths, aber die kippen dann so geil um, wie man das in diesem Kontext halt nicht kennt. Toll.
Kunze: Hitchcockboogie, ey.
Aigner: Wundervoll. Und gar nicht soweit von Spezi Max D und Co. entfernt.
Kunze: Klingt für mich wie ne Detektivstory mit tausend wahnsinnigen Indizien, und die Lösung ist direkt da, auf der Tanzfläche.
Aigner:Ich finde da merkt man auch schön wie weitreichend das alles auf jemanden wie Floating Points abgefärbt hat, einfach nur von den Synths her.
Kunze: Gefällt mir eh gut, wie viel Gewicht die Songs haben. Da hat man richtig etwas zum anfassen.

CITI:»Das ist auch wieder so eine komplette Audienzverarschung. Das ist Hooligan-Techno, aber weil es Aphex Twin ist, behandeln wir das wie ein Kammerkonzert.«:

Aigner: Ja voll! Aber man merkt schon: wir nehmen das hier auch direkt wieder viel zu Ernst. Du hast noch gar nicht dein Frühstück in die Kolumne integriert. Deswegen: wie würde es dir gehen, wenn du um 8 Uhr morgens »180db« und Schimmelbrot essen müsstest?
Kunze: Ich glaube, dank »180db
« wäre ich dabei. Da würde ich mich so Space-Trooper-in-Not-mäßig fühlen und einen harten Actionheld-Flash kriegen. Einfach nur Schimmelbrot macht Bäuchlein tot.

Aigner: »180db_« ist glaube ich auch wieder so eine komplette Audienzverarschung. Das ist Hooligan-Techno, aber weil es Aphex ist, behandeln wir das wie ein Kammerkonzert. Danach, bei »CIRCLONT6A«, musst du stark sein, ich warne dich schon mal vor.
Kunze: Okay, ich bin jetzt da. Hat mich nach zehn Sekunden angekotzt, jetzt bin ich aber krass fasziniert davon, wie man so 8bit, CD-Rom-Laufwerk-Mucke in solch einen funky, funky Groove packen kann.
Aigner: Das Licht, du siehst es. Ich bin fast etwas enttäuscht. Ich will eigentlich, dass ihm endlich mal einer aufs Maul haut, aber ich kann’s halt nicht.
Kunze: Klar, die Musik macht aus meinem Ohrenschmalz ein scharfes Blatt Papier und ich mag mein Ohrenschmalz wie meine Marmelade: lauwarm und weich. Aber der Track ist halt ein kraaaahaasser Geniestreich. Fucking Vollgalopp durch die Datenwüste, Tempowechsel und trotzdem hat das Melodie. »Sick« will ich an dieser Stelle gerne mal in mein Vokabular aufnehmen. Sorry, jetzt finde ich das halt auch gut…
Aigner: Immerhin wurde das sicherlich das erste Mal mit einer Ohrenschmalz-Analogie unterfüttert.
Kunze: Ohrenschmalz spielt in meinem Leben gerade auch wieder eine verstärkte Rolle.
Aigner:Jetzt sag mal was negatives.
Kunze: Ich kann nicht mehr sagen, als dass mich das Album oft nervt, vor allem die Drums. Wenn er mit denen komplett ausrastet, klingt es halt doch so, als wolle er noch etwas beweisen. Aber weil das Zusammenspiel mit allen anderen Elementen so komplett unlogisch logisch und somit genial ist, finde ich sie doch wieder geil – ich habe keine Ahnung wie in Gottes Namen man das in grünen und blauen Soundbalken aneinandersetzen, wie man so etwas arrangieren kann…
Aigner: …und da ist halt immer noch Restgroove…
Kunze: …und auf diese Drums eine asiatische Opiumhymne zu setzen [»CIRCLONT14«] ist wieder geil, einfach geil, was soll man machen.
Aigner: Haha.

Kunze: Das Album ist eine eigene Welt.
Aigner: Beschreib die mal, ich kenne die schon irgendwie zu lange für frische Eindrücke.
Kunze: Ich habe halt das Gefühl, mich durch die Kabel des Google-Hauptquartiers zu wühlen, irgendwie zusammenzuschrumpfen, jeden Sound zu hören, den jede einzelne Verbindung macht und da so durch zu irren. Unter jedem scheiß Kabel liegt noch eines. In allen verschiedenen Farben und Durchmessern. Überall scheiß Kabel, ohne Ende, Alter, und im Endeffekt kommt doch so etwas geiles wie das Internet dabei raus! FLASH ALLLA FLASH!
Aigner: #historyinthemaking. Ich wusste es.
Kunze: Könnte das Schönste gewesen sein, was ich je über ein Musikstück gesagt habe. Was nicht heißt, dass ich den Song jetzt öfter als »I Don’t Like« hören werde.
Aigner: Hahahahaaha.

CITI:»Überall scheiß Kabel, ohne Ende, Alter, und im Endeffekt kommt doch so etwas geiles wie das Internet dabei raus!«:

Kunze: Sorry, sorry, sorry, ich lese ja nicht viel und wider mich jetzt schon selber an, aber, das muss jetzt halt sein: Dass dieser Track, »Aisatsana«, am Ende des Albums steht, erinnert mich an »Infinite Jest«: die Ganze Zeit die volle Dröhnung von alles abdeckendem Wahnsinn, voll aus der Mitte der Moderne und dann, ganz am Ende, die einzige liebevolle Naturdarstellung und Ruhe.
Aigner: Wobei ich das von der Pointe fast schon zu billig finde. Ein paar schöne Klavierakkorde, thanks und goodnight, folks. Eigentlich erwartet man doch noch, dass einem zum Ende der Show ins Gesicht gepisst wird.
Kunze: Ich finde, dass es einem ins Gesicht pisst. Weil diese Harmonie einfach zu trügerisch ist nach so einem Werk. Und so eine trügerische Harmonie ist viel brutaler als Pipi direkt in die Augen.
Aigner: Ja, aber es überrascht nicht, vor allem weil die BPM-Zahlen in Klammern schon diese Brave New World-Pointe verraten.
Kunze: Der Effekt, den es hat, der hat mich schon überrascht.
Aigner: Es ist auf jeden Fall ein schlüssiges Plädoyer dafür auch 2014 Alben noch so zu hören, wie sie der Künstler sequenziert hat. Das ist ja fast schon nostalgisch, zwischen all diesen Googlethreadexplosionen.
Kunze: Pfuah, ich bin jetzt erschlagen.
Aigner: Jetzt sind wir total begeistert, aber wie oft wirst du dieses Album noch hören?

Kunze: Vielleicht ein, zwei Mal.
Aigner: Und ich glaube über diese Zahl würde er sich freuen, ich glaube das ist eigentlich das Ziel. So eine singuläre Erfahrung.
Kunze: Ja, und die ist es.
Aigner: Das ist jetzt medizinisch völliger Blödsinn, aber ich finde man kommt nirgends so nah an diese Asperger-Erfahrung ran wie auf Aphex Twin-Alben.
Kunze: Kann ich dazu jetzt noch irgendwas mit Ohrenschmalz sagen? Ich glaube nein.