Schnipo Schranke – Weil es halt scheiße ist

31.01.2017
Foto:Simone Scardovelli
Authenthisch und gar nicht mal so optimistisch. Warum machen Schnipo Schranke eigentlich die Musik, die sie machen? Weil machens halt offensichtlich scheiße ist. Wir trafen Fritzi Ernst und Daniela Reis in St. Pauli.

Hamburg, St. Pauli, Sonntagabend: Gute-Nacht-Tee und Dr. Pepper im Liter stehen schon bereit. »Du machst jetzt aber nicht so eine dumme Homestory, bitte!«

Schade eigentlich. Ich kann die Band aber verstehen. Sie erzählen, dass dauernd Anfragen kommen, man wolle Fritzi Ernst und Daniela Reis exklusiv und ganz persönlich zeigen. Stars hautnah erleben. Oder der super-witzige Gag mit ihnen Schnitzel und Pommes essen zu gehen, da kommt bekanntlich der Bandname her.

Ganz unschuldig an dem ganzen Aufriss sind die beiden sicherlich nicht. Reis und Ernst stehen dafür, sich in ihrer Musik ultra-authentisch mit sich selbst auseinanderzusetzen. Man möchte sich nicht die Schimpferei verbieten lassen, schreibt drauf los, lässt sich politisch nicht vor einen Karren spannen. Ein gefundenes Fressen für den deutschen Feuilleton, der bis heute von diesen dreifach-gedrehten Pop-Kunstpersonen vom Typus Lady Gaga abgeschreckt ist.

Doch in die gleiche Kerbe wie zum Beispiel die Naturalisten von AnnenMayKantereit schlagen die Schnipos keineswegs. Ihre unverstellte Art hat nichts biedermeierisches, grün-konservatives an sich, weil sie kein Happy End erzwingt, sondern die gegenwärtige Beschissenheit der Dinge nicht beschönigt oder nostalgisch zu verklären versucht und damit nicht rückwärtsgewandt ist.

Seit ihrem ›Underground‹-Hit »Pisse«, inklusive Hype um das Video, das einen Herrenpenis – der zu Danielas heutigem Mann Ente Schulz gehört – so explizite zeigte, dass YouTube sich gezwungen sah, das Video zu sperren, ist einiges passiert.

»Man orientiert sich doch lieber an Leuten, die was machen, was übermenschlich erscheint.«

Fritzi Ernst
Ziemlich schnell sprangen auch konservativere Medien wie die öffentlich-rechtlichen Sender auf den Zug auf und schrieben und zeigten die Beiden möglichst häufig. Meistens versuchte man sie als normale, aber punkige Girls, die ein wenig verrückt sind, darzustellen. Immerhin hat man sich beim Cello bzw. Blockflöten-Studium kennen gelernt und als Abgrenzung gegenüber den anderen »Nerds« gründete man die Band. Zwischen zwei Zigarettenpausen unterhalten wir uns so lange bis die Münder vom Reden und vom Dr. Pepper. trocken wurden – über ihre Texte, falsche Referenzen, falsche Deutungen, und die Schwierigkeit, in St. Pauli Graß zu kaufen.

Wie kommt es eigentlich zu dem Album-Titel? Auch hinsichtlich der Kombination mit dem Cover?
Reis: Wir haben uns dafür entschieden, weil die Bedeutungen, die wir dazu gefunden haben, einfach gut gepasst haben. Man kann das ja nicht nur mit blutig (wie jetzt bei Fleisch) übersetzen. Der Inhalt des Albums ist in seiner Gänze irgendwie abgedeckt.
Ernst: Selten, Indifferent. Irrsinnig. Außergewöhnlich. Ich habe da mal ein Mind-Map gemacht. Deswegen auch das Plattencover. Also wegen der Fleischsache und unserem Namen.
Reis: Albentitel sind ja auch ne schwierige Sache. Da steht dann schon alles am Album und dann muss man sich da nen Namen überlegen.
Ernst: Alle beide Male ist uns was eingefallen!

Klingt nicht so, als sei es ein Konzeptalbum gewesen.
Ernst: Nee. Das hat nur glücklicherweise mit dem Namen gepasst. Andererseits ist das ja kein Zufall. Es gibt schon einen roten Faden; das ist ja ne runde Platte.

Ihr wisst ja, dass man auch immer nach Einflüssen fragt…
Ernst: Also für uns standen die Synthiesachen im Vordergrund. Und daran haben wir uns orientiert. Gorillaz hör ich gerade diesbezüglich.
Reis: Oder zum Beispiel The Cure. Oder sowas wie Muse. Das hör ich mir an, weil ich einfach krass finde, wie die so einen Sound erzeugen. Und ich das raffen möchte. Geht da ja auch um Horizonterweiterung.

Wenn man eure »Health Goth«-Promofotos sieht und die Platte hört, dann könnte man auch an Goth-Punk-Goddess Nina Hagen erinnert werden.
Ernst: Nichtmals ne Ahnung wie die Mucke so klingt. Ungefähr, aber echt nee.
Reis: Hab ich schonmal reingehört. Fand ich aber ganz persönlich uninteressant. Ich will die ja nicht dissen. Wär auch voll dumm. Aber da tickt man halt anders. Und das andere Leute mit Referenzen kommen, ist ja auch nichts Neues. Einige kommen immer Lassie Singers
Ernst: Daran orientieren wir uns einfach nicht.
Reis: Schockt halt nicht. Man orientiert sich doch lieber an Leuten, die was machen, was übermenschlich erscheint.

Ihr seid ja auch so Übermenschen mit dem Studium in klassischer Musik. Wirkt sich das eigentlich auf die Schreibe aus?
Ernst: Keine Ahnung. Ich weiß ja gar nicht wie es ist, wenn man da keinen Background hätte. Aber das Studium bringt einem in diese Richtung ja nichts bei.

Ich dachte da halt beim Intro, das als klassisches Klavierstück daherkommt, schon dran.
Reis: Ja klar. Das ist schon eine Erinnerung an die alte Zeit. Und wir können feststellen, dass wir sonst nicht in der Lage wären in dem Tempo zu arbeiten.

Euch werden ja so Attribute wie görenhaft, rotzig oder » die reden frei Schnauze«, die man so über euch in nahezu jedem Text lesen kann, zugeschrieben. Wie entsteht denn so ein Text von euch?
Reis: Wir schreiben, wie wir auch miteinander reden. Der Rest ist egal. Wir sagen irgendwas, irgendeinen Satz, und dann bastelt man daraus einen ganzen Text oder so.

Ihr habt die Texte aber nicht gemeinsam geschrieben, oder?
Ernst: Wir schreiben immer alleine. Vornehmlich auf der letzten Tour zum Beispiel. Auf dem Album sind aber auch zwei ältere Songs.
Reis: Wir kommen auch mit relativ klaren Vorstellungen an die Stücke zusammen. Da steckt auf jeden Fall meistens auch schon eine musikalische Idee dahinter. Etwas, was man gerne damit machen möchte.

Wie ist es eigentlich auf Tour zu schreiben? Ist es eigentlich ein wenig schizoid jeden Tag das Selbe zu singen und dann zurückgezogen etwas völlig Eigenes zu schreiben?
Ernst: Das ist eigentlich ziemlich gut. Weil man auch merkt, worauf man gerade Bock hat; was einem auch fehlt, thematisch und musikalisch.

»Wir sagen irgendwas und dann bastelt man daraus einen ganzen Text oder so.«

Daniela Reis

Reis: Aber wir sind da nicht berechnend. Eher unreflektiert, auch am Ende einer Tour. Da gibt es nicht die Analyse, was gut ging und was nicht. Wir haben sogar Songs auf der Platte, wo ich denke, dass die eben nicht live funktionieren.
Ernst:* Wenn wir es mit der Analyse versuchen würden, so ein Album nur mit Hits zu schreiben, dann klappt das doch auf gar keinen Fall. Viel wichtiger ist etwas zu schreiben, was halt gut ist.

Interessant ist ja, dass man sich ja bei aller Dichtung immer wieder fragt: Wo verschwimmen jetzt Realitätsbezug und Erfindung?
Ernst: Also wenn das jetzt die Frage ist, ob das autobiographisch ist, dann antworte ich: Es ist schon so, dass das etwas ist, was wir möchten. Dass man auch über Scheißsachen lachen kann. Häufig gibt es eine reale Begebenheit (man müsste sich das ja auch sonst immer alles ausdenken), aber ich will ja auch über Sachen lachen, die nicht zum Lachen sind.

Und die Resonanz bezüglich eurer Wortwahl…
Reis: …ich empfinde das meistens als Beleidigung, wenn die sagen, dass wir so krass sind. Oder noch schlimmer: asi. Dass da überhaupt noch Menschen Probleme mit sogenannten Kraftausdrücken haben, die keinen beleidigen: Ist doch gar nicht schlimm, ey! Ich scheiß dann eigentlich auf die!

Wird euch denn vorgeworfen ihr macht das nur wegen »der Quote«…
Reis: …wie soll ich denn anders damit umgehen als zu sagen: Dann fick dich doch? Es ist doch klar, dass das nur Leute sagen, die gar nicht über ihren Tellerrand schauen können. Und ich könnte mich stundenlang mit denen hinsetzen und mich mit denen unterhalten, aber Leute, die es nicht raffen, raffen es nicht. Da werde ich tierisch aggro, irgendwie. Sorry. Es gibt auch so ein paar Typen, die haben Artikel über uns geschrieben, denen würde ich gerne ne Muskatreibe in den Arsch schieben.
Ernst: Aber wir schauen lieber auf die Leute, die coolerweise zu unserem Konzert kommen. Das Publikum ist total bunt gemischt. Und die Liebe ist da viel stärker als die paar Hater.

Eine typische Disziplin mit den Medien ist ja Stück auf ihre jeweilige Bedeutung hin zu besprechen. Könnten wir auch jetzt machen.

»Es gibt auch so ein paar Typen, die haben Artikel über uns geschrieben, denen würde ich gerne ne Muskatreibe in den Arsch schieben.«

Fritzi Reis

Ernst: Das brauchen wir nicht. Da ist ja schon alles in den Stücken drin. Die sagen ja schon sehr direkt um was es da geht.
Reis: Wir geben uns ja schon vorher genügend Mühe, damit man nichts erklären müsste, um die Platte zu hören. Der Idealfall ist, dass der Hörer am Ende keine offenen Fragen hat.
Ernst: Ich finde das auch tierisch peinlich, wenn Bands sich genötigt fühlen so zu monologisieren über ihre Kunst. Grauenhaft.

Also steht ihr gar nicht auf das Promo-Ding?
Ernst: Darum geht’s nicht. Es ist nur manchmal so, dass wir die Dinge gerne anders lösen. Wir haben zum Beispiel so ein Track-by-Track gemacht …
Reis: …da haben wir meine Schwiegermutter Texte über unsere Lieder schreiben lassen; die hat das sehr charmant gemacht. Die ist schon über 70 und interpretiert eh gerne, was wir machen. Die hat ein Lexikon im Kopf über Gedichte und hat dann krasse Referenzen gezogen. Und dann haben wir eine Höhle gebaut unter ner Bettdecke und haben das vorgelesen.

Also ich finde das klingt ziemlich gut.
Reis: Das war die sauberste Lösung, sag ich mal, um da nicht selbst über sich so labern zu müssen.

Ich finde erstaunlich, dass ihr eigentlich so schüchtern seid. Und gleichzeitig auf dem Album raushaut, dass ihr die »Erste Band bei Buback« seid. Was sagt euer Label dazu?
Ernst: Man kann da ja verschiedene Sachen rauslesen. Beschwert hat sich keiner.
Reis: Ich glaube, die finden cool, dass wir das Label nennen. Machen doch Hip-Hopper auch immer. Deswegen nochmal: Buback!
Ernst: B-U-B-A-C-K!

Ich würde ja gerne nochmal auf das Thema Homestory zurückkommen.
Reis: Das ist der Grund, warum wir hier im Wohnzimmer sitzen. Das ist ja gar nicht Fritzis Zimmer hier. Also kannst du gar nichts schreiben.

Das habe ich schon kapiert. Aber zumindest irgendwas über St. Pauli könnte man ja erzählen.
Reis: Ey, wirklich. Pass mal auf. Ich mache ja keinen Hehl daraus, dass ich gerne mal barze.

Darauf hätte man ja schon von Titeln wie »Haschproleten« und »Dope« kommen können.
Reis: Hier auf St. Pauli ist halt super scheiße. Man muss halt manchmal sein Dope auch irgendwie kaufen. Und das geht gar nicht mehr. Die laufen hier immer Streife und jagen hier so die Dealer wie die Tiere. Das macht einen super wütend. Wie so auf die schwächsten Glieder unserer Gesellschaft so eingeprügelt wird. Es gibt doch wahrlich größere Probleme als irgendwelche kleinen Grasdealer. Die machen das doch auch nicht zum Spaß.

Zum Ende hin werden wir nochmal politisch.
Reis: Ich finde das ja eigentlich schwierig. Ich möchte mich bei solchen Themen gar nicht so weit aus dem Fenster lehnen. Man hat ja meistens das Gefühl, solche Sachen gar nicht bis auf den Grund beleuchten zu können. Aber wenn man das beobachtet, wird man einfach nur sauer. Das ist ja so offensichtlich scheiße.