Review

John Coltrane

Both Directions At Once: The Lost Album

Impulse! • 2018

Wie konnte eine Platte von John Coltrane verschütt gehen? Anscheinend, so heißt es, kamen die Leute vom Plattenlabel damals bei seinem Output einfach nicht mehr mit, sein Produzent Bob Thiele machte die Aufnahmen mit John Coltrane irgendwann nachts, um in Ruhe mit ihm arbeiten zu können. Diese Aufnahme vom 6.3.1963 entstand allerdings nachmittags, weil das John Coltrane Quartet abends noch einen Auftritt hinlegen musste. Danach blieben die Original-Stereobänder im Keller liegen, wurden später beim Aufräumen vernichtet, schließlich tauchten Coltranes Mono-Kopien wieder auf und fanden zum Label zurück. Die Odyssee hat sich gelohnt: »Both Directions At Once: The Lost Album«, so der Titel des Funds, hält durchaus, was der Hype versprach. Die vier Musiker – neben Coltrane seine Vertrauensmänner McCoy Tyner, Jimmy Garrison und Elvin Jones – spielen mit einer konzentrierten Spontaneität, die man sich genauso gut auf der Bühne vorstellen könnte. In manchen Nummern ist Tyner nicht dabei, was für zusätzliche Beweglichkeit der Improvisationen sorgt. Als ein Höhepunkt zu nennen wäre das andächtige »Untitled Original 11386« mit seiner zirkulär wiederkehrenden Melodie, ein wenig im Geist von Coltranes Hit »My Favorite Things«. Auch die anderen Titel, darunter »Vilia« und Coltranes Klassiker »Impressions«, können sich hören lassen, wozu die Tagesform der Beteiligten ebenso beiträgt wie die Klangqualität. Die Luxusausgabe mit weiteren Takes der einzelnen Nummern enthält noch mehr Schönes, etwa die Sopransaxofon-Version von »Vilia«. Zwar steht kaum zu erwarten, dass man Coltranes Schaffen jetzt komplett neu einsortieren muss. Aber es ist um ein großes Album reicher geworden.