Review

Chromatics

Kill For Love

Italians Do It Better • 2012

Eigentlich war Johnny Jewel für die musikalische Architektur zu Jedermanns Lieblingsfilm »Drive« angeheuert worden und hätte ihn die Produktionsfirma nicht gegen Cliff Martinez eingetauscht, Ryan Gosling wäre zu synthetischem Fantasten-Fanfaren durchs nächtliche L.A. geheizt. Mit »Kill For Love« verabschieden sich Chromatics endgültig vom Postpunk. Stattdessen widmet man sich astreinem Synth-Pop mit ausproduzierten Melodiebögen und cineastischem Italo-Disco. Aus Liebe zu töten, scheint in Zeiten postmoderner Einöde als eine Art Ultima Ratio, welches es auch einer Band aus der Hipster-Hochburg Portland im Bundesstaate Oregon erlaubt, die großen Gefühle auszupacken. Mit Sonnenbrille, versteht sich. »Kill For Love« huldigt die Romantik der Langeweile. Im dunkelbunten Zeitraffer haucht Ruth Radelet bittersüßen Gleichmut in die Synthesizer-Wolken. Es mischen sich Flanger-Riffs à la The Cure mit der zelebrierten Apathie von The xx. Wie im Paradestück »Back From The Grave« schießen Chromatics schwärmerische Retro-Rhythmen direkt ins Herz. Doch entwickelt sich die 77-minütige Raumfahrt leider nicht ganz zu jenem Meisterwerk, das sich zu Beginn noch in Form des schwermütigen Neil Young-Covers »Into The Black« ankündigt. Zwischen dem sphärischem Delirium-Dancefloor strapazieren immer wieder langzeitbeleuchtete Instrumentals die Aufmerksamkeit. Während dieser Soundtrack-Schnipsel hat man aber kaum Zeit für die Frage, ob weniger tatsächlich mehr ist, zumal die gehauchte Sensibilität Ruth Radelets die eigenen Ohrmuscheln alsbald wieder einlullt. Melancholie war selten so sexy. »Kill For Love« ist der perfekte Ausklang einer großartigen Party im großstädtischen Morgengrauen. Mit Sonnenbrille, versteht sich.