Review

Ai Aso

Lone

Ideologic Organ • 2014

In Japan gibt es einen entwickelten Sinn für den Zauber des Kunstlosen und Ungeschminkten. Es werden sich im Publikum bei dieser Live-Aufnahme genügend Leute befunden haben, die besser singen, die besser Gitarre oder Keyboard spielen können als Ai Aso. Womit sie hier das Daikanyama Unit in Tokyo in den Bann zieht, ist etwas, bei dem solides Handwerk oder musikalische Brillanz geradezu hinderlich wären, bei dem sie eine schöne Maske böten, hinter der der Künstler als Mensch auf Distanz bleibt. Ai Aso klingt so nackt, als sei sie der letzte Mensch auf der Erde, der irgendwo im Gerümpelmeer eine Klampfe und ein Örgelchen gefunden hat, und sich selbst nun unterm blinkenden Firmament in den Schlaf zu singen versucht, ohne Groll, Trauer, Verzweiflung anheim zu fallen. Die Texte, so knapp und repetitiv wie die Musik, pendeln zwischen japanischem Trost und europäischer Glossolalie; in Zeitlupe rufen Orgeltöne in die Nacht, schlagen Gitarrensaiten an wie Totenglocken, um schließlich das Morgenlicht im Gewand einer Spieldose zu empfangen. Die Magie ihrer kontrollierten Fragilität praktiziert Ai Aso schon seit der Jahrtausendwende, das Album »Lone« ist bereits ihr fünftes. Offenbar war auch Stephen O’Malley, der mit seiner Band Sunn O))) nicht nur die Bühne mit ihr teilte, sondern auch kollaborative Bekanntschaft mit den Sludge-Metallern von Boris, von ihr angerührt. Auf dem von ihm kuratierten Sublabel von Editions Mego, Ideologic Organ, treffen sich sonst strenge Kaliber zwischen elektronischer Avantgarde, Noise Improv und Doom Metal. Man traut sich kaum, dieses Album hier etwa neben das von Labelkollegin Okkyung Lee zu stellen. Das verspeist so eins wie dieses hier nämlich zum Frühstück.

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Ai Aso
Lone
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