Records Revisited: Aesop Rock – Float (2000)

05.09.2020
Statistisch gesehen ist Aesop Rock der eloquenteste unter allen Rappern. Stilistisch gesehen musste er zuerst behaupten, um im Feld der elaborierten Hip-Hopper zu etablieren. Dahingehend war »Float« von 2000 eine erstes Ausrufezeichen.

Jeder dürfte es gelesen haben, wir frischen das Wissen trotzdem auf: Aesop Rock hat den größten Wortschatz im Vergleich zu seinen rappenden Landsleuten. Herausgefunden hat das Matt Daniels, Daten-Analytiker und Hip-Hop-Nerd. Er hat sich die jeweils 35.000 ersten Worte verschiedener MCs angesehen, die diese auf ihren (Solo-)Alben rappten und sie nach so genannten »unique words« untersucht – nach Worten, Wortschöpfungen und Slang-Ausdrücken, die niemand sonst verwendete. Als Referenzgrößen hat er die Old-School-Legenden William Shakespeare und Herman Melville herangezogen. Word.

Dass Aesop Rock die 2014 erstellte Liste anführte, hat niemanden groß gewundert. Ebenso wenig, dass er seinen Spitzenplatz auch heute noch, nach dem letzten Update der Studie im Januar 2019, verteidigt. Es ist ein anderer Umstand, der dem geneigten Heads die Kinnlade herunterklappen lässt: Matt Daniels hat Aesop Rock zunächst nicht in seine Liste aufgenommen. Der 1976 als Ian Matthias Bavitz in New York City geborene Rapper erschien ihm zu obskur. Erst auf Drängen der Hip-Hop-Community des News-Aggregators Reddit wurden seine Lyrics zum Gegenstand der Untersuchung. Dabei waren Diskussionen darüber, was Rap darf und was nicht, schon seit Kool Keith oder Rammellzee müßig, weswegen 2014 Begriffe wie »Underground«, »Abstract Rap« oder »Left Field Hip-Hop« fast schon zu Anachronismen innerhalb einer sehr diversen Spielart verkommen waren – und Aesop Rock bis dahin u.a. sechs Soloalben, drei EPs und einen Mix für Nike realisierte.

Sein Debütalbum »Music for Earthworms« brannte Aesop Rock 1997 noch selbst auf CDs. Für den Nachfolger »Float« kam er 1999 bei Mush Records unter. Das in Los Angeles ansässige Label vereinte seinerzeit randständige Acts verschiedener Spielarten, die sich irgendwie über einen weitgefassten Hip-Hop-Kamm scheren ließen. Die ersten Releases waren instrumentaler Natur, Anticon-Mitgründer Dose One bescherte dem Label die ersten Vocals. Als Dose One von Ohio nach Kalifornien zog, kam er eine Weile bei Mush-Mitbegründer Robert Curcio unter. Dem gefielen die Rap Tracks, die Dose One damals hörte. »Und so setzten wir uns hin und zeichneten einmal auf, welche Künstler ich kannte, die ästhetisch fähig zu sein schienen, produktiv und gute Menschen waren. Alle Leute, die bisher auf Mush veröffentlicht haben, waren Teil von dieser ursprünglichen Rekrutierung«, erinnerte sich Dose One einst in einem Interview.

Aesop Rocks Texte speisen sich aus Alltagsbeobachtungen, Hirngespinsten, mehrdeutigen Vergleichen, popkulturellen Referenzen und wenig lebensbejahenden Gemütszuständen.

»Float« kam 2000 auf Mush heraus, kurz, nachdem Dose One und Boom Bip »Circle« veröffentlichten. Aesop Rocks Bachelor-Abschluss als Visual Artist war da noch ziemlich frisch. Er studierte an der Boston University, wo er den Musiker Blockhead kennenlernte, mit dem er seitdem eng zusammenarbeitet. Ursprünglich sah Blockhead seine Zukunft im Rap, doch als er seinen Langzeit-Kollaborateur beim Freestylen hörte, beschloss er, sich lieber auf´s Produzieren zu konzentrieren. Von Blockhead stammen elf der 20 Beats auf »Float«, Aesop Rock selbst produzierte acht Tracks. Der sich an einen Reggae-Grooves schmiegende Beat von »Skip Town« wurde von Omega One produziert. Er bildet eine Ausnahme innerhalb der vorwiegend düsteren, rhythmisch vertrackteren Soundscapes, die »Float« prägen – und die den collagenhaften, kaum durchschaubaren Lyrics eine fabelhafte Lo-Fi-Kulisse stellen.
Aesop Rocks Texte speisen sich aus Alltagsbeobachtungen, Hirngespinsten, mehrdeutigen Vergleichen, popkulturellen Referenzen und wenig lebensbejahenden Gemütszuständen. Aufblitzende Hoffnung gibt’s in den zynisch-pessimistischen Stimmungsbildern dennoch. So rappt er im Track »Commencement at the Obedience Academy«: »Must not sleep, must warn others / Trust blocks creep where the dust storm hovers.« Der erste Satz ziert inzwischen als Tattoo seine beiden Arme – und wurde dem Science-Fiction-Streifen»Invasion Of The Body Snatchers« entlehnt. »The Mayor And The Crook«, der letzte Song des 69-minütigen Albums, beginnt mit den Worten _»No more pencils, no more books / I built a city out one brick and had a mayor and a crook / I made the crook stab the mayor, then slay himself in the guilt / I saw the brick back migrating east, now let’s build«. Bestimmt kann man das jeweils auch als Nicht-Zyniker am Ende irgendwie erbaulich finden.

Aesop Rock
Float Yellow Vinyl Edition
Rhymesayers • 2020 • ab 32.99€
»Float« prädestinierte die Marschrichtung für Aesop Rocks weitere künstlerische Laufbahn, die seinen nasalen, vielsilbigen Reizüberflutungsrap immer wieder neue gedankliche Terrains erkunden lässt, während seine starken Beat-Produktionen sträflicherweise meist kaum thematisiert werden. Inklusive eines Nervenzusammenbruchs, den er kurz nach dem Release erlitt – wohl, weil ihn der Gedanke an eine erste Headliner-Tour zu sehr ängstigte. Auch die Auswahl der wenigen Feature-Gäste prägte seine Ausnahmekarriere als permanent hochfliegenden Unter-dem-Radar-Künstler maßgeblich. Neben Dose One, der dem kalifornischen Rap-Underground mit seinen Anticon-Kollegen ungeahnte Richtungen wies und gemeinsam mit Aesop Rock das wunderbar versponnene Rap-Duett »Drawbridge« anstimmt, mischen Vast Aire und Slug mit. Ersterer bereicherte als Teil der Gruppe Cannibal Ox den Albenkatalog von El-Ps Label Def Jux um ein Meisterwerk, bevor auch Aesop Rock von El-P gesignt wurde. Slug wiederum betreibt das Label Rhymesayers Entertainment, bei dem Aesop Rock seit 2012 unter Vertrag ist. Dort wird »Float« nun neu auf Vinyl aufgelegt, pünktlich zum 20-jährigen Jubiläum.


Die Musik von Aesop Rock findest du im [Webshop von HHV Records](https://www.hhv.de/shop/de/aesop-rock-us-hip-hop/i:A1772D2N13S6U9.)