Records Revisited: The Pharcyde – Labcabincalifornia (1995)

14.11.2020
Pioniere im Andersdenken. Vor 25 Jahren wurden die überdrehten Klassenclowns von The Pharcyde auf ihrem zweiten Album »Labcabincalifornia« zu zynischen Antihelden. Daran trug auch ein damals unbekannter producer namens J Dilla Schuld.

»Some east village hipster shit«. Dass das Demo von The Pharcyde im Jahr 1991 mit diesen Worten abgelehnt wird, ist schon eine Story für sich. Ein gewisser Russell Simmons auf den dieses Zitat zurückgehen soll, dürfte sich ein bisschen geärgert haben, als das Quartett aus Los Angeles ein Jahr später auf seinem avantgardistischen Album »Bizarre Ride II The Pharcyde« kalifornische Jungsträume staatenübergreifend ins Radio bringen. Auch dank der hoffnungslosen Rap-Rom-Com »Passing Me By« erhält »Bizarre Ride« eine Gold-Auszeichnung, Pharcyde gehen mit De La Soul und A Tribe Called Quest auf Tour und rotieren auf MTV.

Ihre ausgelassene Pennäler-Storyteller und die leichtfüßigen Bohème-Beats machen das überdrehte Kollektiv um Fatlip, Imani, Slimkid3 und Bootie Brown Mitte der 1990er Jahre zur fleischgewordenen Gegenbewegung. Von Kanye West bis Fettes Brot The Pharcyde gelten heute als Pioniere im Andersdenken. Denn inmitten der sich aufbäumenden Gangsta-Rap-Ära des Jahres 1992 war der amtliche Erfolg ihres jazzigen Nerdtums mit vorbildlichem Native-Tounge-Bezug so etwas wie ein Gänseblümchen im Kugelhagel.

Beim zweiten Album »Labcabincalifornia« soll aus dem california dreaming nun aber der amerikanischen Traum werden. Dafür zieht die Band aus der gemeinsamen Bude, der Pharcyde Manor, in die etwas kostspieligere und aufgeräumtere Labcabin um. Dank den Achtungserfolgen zuvor lassen sich mit dem Vorschuss von Delicious Vinyl aber auch ein paar andere Gedanken weiterspinnen. Der Band-eigene Producer J.Swift hatte die Crew schon vor Release von »Bizarre Ride« verlassen – sein Verbleib wurde 2007 in der Doku »1 More Hit« begleitet. Spoiler: crack is wack.

So zitieren sich die verbliebenen Vier neben NYC-Heroen wie Buckwild oder Diamond D auch Q-Tip ans Mischpult, der damals der Go-To-Producer schlechthin ist. Q-Tip hat zwar keine Zeit, spielt dem Quartett aber ein Tape von einem noch unbekannten Beatmaker namens Jay Dee aus Detroit in seinem Wohnzimmer vor. Da Q-Tip bürgerlich Jonathan Davis und also J.D. heißt, halten die Spaßvögel Pharcyde die Nummer für einen prank, lassen sich aber drauf ein. Später werden sie feststellen: Sie haben sich mächtig geirrt.

Es ist die subtile Tragödie zwischen all dem Geflachse, die »Labcabincalifornia« so gut hat altern lassen. Hier rappen keine Spielkinder mehr, sondern Rap-Künstler.

Denn die verspulten Melodien, die eigenwilligen Drums und das andersartige Sampling hat tatsächlich nicht Q-Tip, sondern ein Typ namens James Yacney zu Beats zusammengetragen, der als J Dilla später eine Weltkarriere hinlegt. Jay Dee setzt den wirren Funk-Rumpelkisten vom Debüt heruntergefahrene Cool-Jazz-Patterns und locker getappte Breaks entgegen. Es sind die Prototypen für den kommenden Indie-Rap der frühen Nullerjahre. Questlove beschreibt diese neuartige Lässigkeit einmal, »als hätte man einem betrunkenen, hochbegabten Vierjährigen erlaubt, die Kicks« zu triggern.

Pharcyde nehmen gleich sechs dieser Beats. Damit steuert J Dilla die meisten Produktionen auf »Labcabincalifornia« bei, was die LP rückblickend betrachtet zu einem ungewollten kleinen Manifest für Leftfield-Hip-Hop macht. Verspielt, aber nicht albern – dunkel, aber nicht dark. »Labcabincalifornia« bleibt vor allem deswegen bis heute im Gedächtnis, weil es der Startschuss für die Karriere von J Dilla ist und irgendwie auch das, was heutzutage als Neo-Soul bekannt ist.

Auf das Songwriting hat dieser Laid-Back-Sound starken Einfluss. Die Sprücheklopfer von einst schreiben zwar immer noch humorvolle, aber auch desillusionierte Tales über Drogen, Beziehungskrisen und enttäuschte Erwartungen. War ihr Signature einst Klassenclown-Musik, entwickeln Pharcyde über das Album hinweg einen tragikomischen Antihelden-Rap. Nur etwa auf der Single »She Said« blitzt die alte Ausgelassenheit manchmal noch auf – übrigens die Vorlage für einen der langlebigsten Deutschrap-Songs ever.

Vom Label fühlt sich die Band über den Tisch gezogen, auch ihr damaliger Labelmate Masta Ace berichtet später Ähnliches von sich. Zum Anderen entladen sich intern immer öfter kreative Spannungen zwischen Dogmatismus und Experimentierfreude, sodass kurz nach Release Gründungsmitglied Fatlip andere Wege geht. »The record companies are quick to end the fantasy«, deutet sich der Verdruss im Track »Somethin’ That Means Somethin’« an. Auf »Devil Music« gibt sich die Crew sogar noch fatalistischer: »Everytime I step to the microphone / I put my soul on 2 inch reels that I don’t even own«_. Es ist die subtile Tragödie zwischen all dem Geflachse, die das Album so gut hat altern lassen. Hier rappen keine Spielkinder mehr, sondern Rap-Künstler. »Labcabincalifornia« ist damit auch eine Warnung, dass Beruf und Berufung, Freundschaften und Finanzielles, Suchen und Finden manchmal besser zu trennen sind.

Wenn sein Vorgänger für eine unbeschwerte Kindheit steht, dann ist »Labcabincalifornia« ein Coming-of-Age-Album sowohl für die Band als auch für Mittelstands-Rap an sich und irgendwie auch Jay Dee. Das Jahrhundertvideo von Spike Jonze zur hypnotischen Single »Drop« kann fast als Symbol dafür herhalten, wenn aus der albernen Idee, alles rückwärts abzuspielen, ein professionelles Filmset mit Synchronklappe und Drehpausen wird. Wir alle müssen das Kinderzimmer einmal verlassen. Was von »Labcabincalifornia« 25 Jahre nach Erscheinen übrig bleibt, ist die Lehre, dass ein mehrstimmiger One-Liner-Chorus und ein Bossa-Nova-Sample einen Rap-Evergreen ergeben, dass The Pharcyde nicht das One-Album-Wonder sind, für das sie immer gehalten werden, und dass Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Und J Dilla. Geht schlechter.


Die Musik von The Pharcyde findest du im [Webshop von HHV Records](https://www.hhv.de/shop/en/search/i:S11?term=The+Pharcyde.)