17 Fidelity Guards – Im Gespräch mit Sven Kacirek

22.03.2011
Für sein neues Album __The Kenya Sessions__ reiste der Hamburger Schlagzeuger Sven Kacirek in das ostafrikanische Land und musizierte vor Ort mit einheimischen Musikern und Sängern.

Sven Kacirek ist einer der eigenwilligsten Schlagzeuger Deutschlands. Er beschäftigte sich mit der akustischen Umsetzung programmierter Drum’n’Bass-Grooves, erfand neuartige Besenkonzepte oder integrierte Effekt- und Loopgeräte in das konventionelle Schlagzeugspiel. Eine Zeit lang hat er sich auch mit der »Triple Hi-Hat« auseinandergesetzt, doch das entpuppte sich als verlorene Zeit. Ganz im Gegensatz zu seinen neuesten Missionen. Denn in den letzten Jahren machte sich der Hamburger Schlagzeuger mehr und mehr mit Musik außerhalb unseres Kulturkreises vertraut. Das führte ihn vor zwei Jahren auch nach Kenia, wo er gemeinsam mit einheimischen Musiker an den Kenya Sessions arbeitete, in dem er die Klänge kenianischer Instrumente und traditionelle Stimmen aufnahm und daheim neu arrangierte. Wir haben 17 Fragen und Sven Kacirek weiß 17 Antworten.

Kannst du zu Beginn die Grundidee der »Kenya Sessions« erklären?
Sven Kacirek: Also ich reiste im Jahre 2008, zusammen mit der Choreographin Angela Guerreiro, nach Äthiopien und Kenia, um dort die Musik für ihr neues zeitgenössisches Tanzstück zu entwickeln, das sie mit Tänzern dieser beiden Länder erarbeitete. Wir probten in den jeweiligen Hauptstädten Addis Abeba und Nairobi. Vor allem in Nairobi war ich überrascht, dass es sich als äußerst schwierig erwies, mit der Musik des Landes in Kontakt zu treten. In nahezu allen Bars und Cafés wurde ausschließlich amerikanischer Hip Hop und R&B gespielt. Gemeinsam mit dem Direktor des Goethe-Instituts Nairobi, Johannes Hossfeld, entwickelte ich daraufhin die Grundidee der »Kenya Sessions«, die sich mit der traditionellen Musik Kenias fernab der Metropolen Nairobis und Mombasas auseinandersetzen sollte. Mit der Multimedia-Designerin und Kuratorin Agnieszka Krzeminska reiste ich schließlich im März 2009 in die entlegensten Regionen des Landes, um dort Musiker zu treffen und mit ihnen gemeinsam Aufnahmen zu machen.

Wie hast du diese Idee dann im Studio umgesetzt?
Sven Kacirek: Zunächst habe ich das gesamte Material mehrfach durchgehört. Insgesamt habe ich in Kenia ca. zehn Stunden Audio-Material gesammelt. Anschließend fing ich an, einzelne Gesangs- oder Instrumentallinien zu transkribieren, um sie harmonisieren oder doppeln zu können. Nach und nach habe ich dann immer mehr Spuren aufgenommen und versucht ein Klanggerüst zu schaffen, das die Feldaufnahmen möglichst homogen und natürlich einbettet.

Im Dezember wurde das Projekt in New York auch erstmals live umgesetzt: Was war die Herausforderung dabei?
Sven Kacirek: Die Herausforderung begann und endete mit dem Versuch, die US-Visa für die Musiker Ogoya Nengo und Olith Ratego bei der US-Botschaft in Nairobi zu beantragen. Über zwei Monate lang versuchten wir mit vereinten Kräften die Visa-Anträge voranzutreiben. Nachdem wir sechs Wochen auf die wiederholten Dokumentanfragen der US-Botschaft eingegangen waren, und letztendlich alle geforderten Dokumente einreichen konnten, lehnten sie den Antrag zwei Tage vor dem Flug von Ogoya und Olith nach New York ohne Begründung ab. Die ca. 70-jährige Ogoya Nengo war zu diesem Zeitpunkt bereits drei Mal aus ihrem Dorf in der Nähe des Viktoriasees nach Nairobi gefahren, um dort der US-Botschaft Rede und Antwort zu stehen. Einen Tag vor dem Flug der beiden Musiker aus Kenia rief ich ein letztes Mal bei der Botschaft in Nairobi an. Nach einem ca. zehnminütigen Gespräch, indem man mir leider nicht sagte, was der Grund für die plötzliche Ablehnung sei, legte mein Gesprächspartner bei der Botschaft einfach den Hörer auf.

Was ist Barabara.fm?
Sven Kacirek: Das ist der Name des Blogs, den Agnieszka Krzeminska während der Reise durch Kenia und auch während des anschließenden Produktionsprozesses geführt hat. Er umfasst zahlreiche Videos der Aufnahme Sessions, die Agnieszka in Kenia aufnahm, Fotos und natürlich etliche Reiseberichte. »Barabara« ist Kisuaheli und bedeutet »Straße« oder »Weg«.

Wie erklärst du dir das zunehmende Interesse an afrikanischer Musik in den letzten Jahren?
Sven Kacirek: Ich denke, das liegt daran, dass sich in den letzten Jahren die Berichterstattung in Bezug auf Afrika verändert hat. In den 1980er und 1990er Jahren wurde Afrika über die Medien nahezu ausschließlich im Zusammenhang mit Hungerkatastrophen, barbarischen Diktatoren und blutigen Bürgerkriegen erwähnt. Diese Berichterstattung hat sich zum Glück verändert. Mittlerweile haben die Leute bemerkt, dass es in Afrika neben Elefanten, wilden Löwen und brennenden Autoreifen auch eine sehr mondäne und kulturell extrem bereichernde Seite gibt. Und das macht natürlich sehr neugierig. Neben dem Interesse für Musik aus Afrika hat sich in den letzten Jahren ja auch das Interesse an afrikanischer Kunst im Allgemeinen sehr stark verändert. Ich finde es wichtig, dass über das Elend, das nach wie vor in vielen afrikanischen Staaten herrscht, berichtet wird. Gerade weil die EU und auch die Vereinigten Staaten dieses Elend in Afrika z.B. über die Agrarsubventionen der EU sehr bewusst fördert und strukturell verschärft und eine große Verantwortung für dieses Elend trägt. Doch ebenso ist es wichtig und für alle Seiten bereichernd mit der Kultur und den vielen kreativen Köpfen des Kontinents – sofern das erwünscht ist – in Kontakt zu treten und sich auszutauschen.

Welche spezifischen Instrumente werden in Kenia gespielt?
Sven Kacirek: Es gibt in Kenia keine einheitliche Musiktradition. Wir sind 2009 in erster Linie in der Nyanza-Region in der Nähe des Viktoriasees und in der Coast-Region im Osten des Landes gereist. Die Swahili-Kultur der Küstenregion wurde über Jahrhunderte sehr stark durch den regen Handel mit China, Indien und Indonesien beeinflusst. Im Gegensatz zu der christlich geprägten Nyanza-Region ist hier der Islam die vorherrschende Religion. Dieser kulturelle Kontrast wird auch sehr stark in der Musik deutlich. An der Küste werden Rahmentrommeln, Tambourine, Kayambas und unterschiedliche Flöten eingesetzt. Auch die Skalen unterscheiden sich stark von den Tonskalen der Nyanza-Kultur.
In der Nähe des Viktoriasees spielt wiederum der Dodo-Gesang eine zentrale Rolle. In der jahrhunderte alten Kultur des Dodo-Gesangs übernimmt der Gesang die Funktion des Verkündens zentraler Botschaften und des Kommentierens sozialer Spannungen und Missstände. Ogoya Nengo wurde in den Stand der Dodo-Sängerinnen hineingeboren. Bereits in jungen Jahren wurde ihr eigentlicher Name Anastasia Akumu Olouch durch den Namen »Ogoya Nengo« (»Die Auserwählte«) ersetzt.

Was trägt Musik zu unserem Überleben bei?
Sven Kacirek: Ich glaube auf der ganzen Welt werden intensive und extreme Gefühle wie Schmerz, Trauer, Freude oftmals erst über Musik zum Ausdruck gebracht. Das erste, was die Menschen in Afghanistan machten, als sich die Taliban zurückzogen, war auf die Straße zu gehen, zu lachen und vor Freude zu weinen und die Musik zu spielen, die sie so lange nicht hören durften. Vor allem in Kenia habe ich erfahren, welch große Rolle Musik im alltäglichen Leben der Menschen hat und dass die soziale Gemeinschaft ohne Musik schlicht und einfach nicht funktionieren würde.

Was ist das größte Vorurteil gegenüber Afrika, das es zu widerlegen gilt?
Sven Kacirek: »Der Kontinent ist arm, weil die politischen Führer alle korrupt sind und ihr Volk ausbeuten.« In Wahrheit ist Afrika arm, weil einige Führer, von denen wiederum viele systematisch vom Westen unterstützt werden, korrupt sind und ihr Volk ausbeuten – und westliche Staaten und Großkonzerne Afrika auch viele Jahre nach dem Ende des Kolonialismus nach wie vor systematisch ausbeuten.

Wohin geht die nächste Reise?
Sven Kacirek: Ich plane gerade, gemeinsam mit Stefan Schneider von To Rococo Rot, noch in diesem Jahr erneut nach Kenia zu fahren, um mit 8 recht jungen Musikern aus Malindi ein neues Album aufzunehmen. Stefan hat eine starke Affinität zu afrikanischen Musikstilen. Sein letztes bei ~scape erschienendes Album The African Chamber ist ein tolles Beispiel dafür. Ich hoffe auch, dass Agnieszka Krzeminska wieder mitfahren wird, um die Entstehung des Albums erneuet über einen Videoblog zu dokumentieren. Im nächsten Jahr würde ich gerne mit der in der Schweiz lebenden japanischen Musikerin Mina nach Okinawa reisen, um dort gemeinsam mit Musikern dieser Region an einem neuen Album zu arbeiten. Wir treffen uns gerade regelmäßig, tauschen uns aus und überlegen, wie wir dieses Projekt am besten umsetzen.

Ist die Idee Schlagzeug auf Glas, Holz und Butterbrotpapier zu spielen, mit der Idee des »präparierten Piano« vergleichbar?
Sven Kacirek: Der Unterschied zum Klavier besteht natürlich darin, dass ich als Schlagzeuger oder Besenspieler tonal nicht gebunden bin. Ich kann ein Jazz-Pattern mit Besen auf einem Barhocker spielen und es bleibt ein Jazz-Pattern. Ich kann mit meinen zehn Fingern aber keine Bach-Invention auf einem Barhocker spielen, weil es dann natürlich nichts mehr mit der Bach-Invention zu tun. Denn der tonale Kontext geht ja vollständig verloren. Insofern denke ich, dass sich die Frage der Präparation des Instruments in der Form nicht stellt, wenn ich Gegenstände jenseits des Schlagzeugs nehme und auf ihnen Figuren spiele, die ich sonst am Schlagzeug oder auf einer Snare gespielt hätte. Anders verhält es sich mit Marimba oder Vibraphon. Wenn ich Butterbrotpapier oder Kronkorken auf einzelne Platten des Marimbas lege, dann ist das natürlich mit dem Präparierten Klavier vergleichbar.

Kannst du kurz überblicken, wie viele Gläser dir beim Schlagzeugspiel zerbrochen sind?
Sven Kacirek: Bisher noch keines.

Was genau ist eine Triple Hi-Hat?
Sven Kacirek: Du meine Güte! Wo hast du das denn recherchiert? Das ist eine lange, recht abenteuerliche Geschichte: Vor knapp zwölf Jahren habe ich zwei Mal auf dem bekannten World Drum Festival gespielt und im Zusammenhang mit meinen beiden »Drum-Nerd-Büchern« hier und da ein paar Interviews für Schlagzeuger-Magazine gegeben. Daraufhin ist ein recht dubioser Erfinder aus Bad Bentheim mit dem Namen Peter Küppers an mich herangetreten. Er hatte mit einem revolutionären Baustoff namens Lightex gutes Geld verdient und wollte nun einen Teil des Gewinns in die Erfindung neuartiger Musikinstrumente stecken. (Das sagte er mir jedenfalls.) Sein spektakulärster Coup war die Triple Hi-Hat. Eine normale Hi-Hat besteht aus zwei aufeinanderliegenden Becken. Peter Küppers baute nun eine Hi-Hat mit drei Becken. Die mittlere Hi-Hat ist fest montiert, während die untere beim Treten des Pedals von unten nach oben und das oberste Becken gleichzeitig von oben nach unten bewegt wird. Küppers wollte, dass ich das Instrument »erforsche«, neue Spieltechniken erfinde und darüber ein Buch schreibe. Ich setzte mich mit dem Instrument also intensiv auseinander, aber so viel ich auch herumprobierte, ich konnte einfach keinen sonderlichen Vorteil gegenüber einer konventionellen Hi-Hat-Maschine erkennen. Zudem ging die Triple-Hi-Hat alle paar Wochen kaputt. Noch heute habe ich sechs defekte Triple-Hi-Hats im Keller… Nach einigen Meinungsverschiedenheiten mit Küppers endete diese Zusammenarbeit.
Peter Küppers wurde übrigens einige Jahre später als Hochstapler enttarnt, der Millionenkredite verbrannte, und sich meines Wissens u.a. wegen Urkundenfälschung vor Gericht verantworten musste.

Deine Einschätzung zu den Schlagzeuger-Qualitäten von Steve Reid?*
Ich habe erst in der letzten Woche gelesen, dass er 2010 gestorben ist. Ich habe Reid leider nie live spielen sehen. Einmal hatte ich eine Karte für ein Konzert von Four Tet und Reid, das aber leider kurzfristig abgesagt wurde. Boris Netswetajev, ein großartiger in Hamburg lebender Pianist und Keyboarder spielte zuletzt in der Band von Steve Reid. Darauf bin ich natürlich sehr neidisch ! Ich habe ein paar Sun Ra-Alben mit Reid und auch ein Fela Kuti-Album, auf dem er trommelt. Ohne Musiker wie Steve Reid und Tony Allen gäbe es keinen Afrobeat.

Und was ist mit Ringo Starr?
Sven Kacirek: Ringo Starr gehört für mich zu den ganz großen Trommler-Giganten des letzten Jahrhunderts. Auf einer Stufe mit Steve Gadd, Buddy Rich, Tony Allen, Jeff Porcaro und Elvin Jones. Die Beatles ohne Ringo Starr sind für mich unvorstellbar. Gerade gestern habe ich wieder A Day In The Life , das letzte Stück der Sergent Pepper gehört und wieder eine Gänsehaut bekommen. Wenn man so etwas hört, fragt man sich, ob sich die Popmusik in den letzten 40 Jahren eigentlich überhaupt weiterentwickelt hat. Natürlich gib es unglaubliche Bands wie Radiohead und natürlich haben Kraftwerk und später dann Leute und Projekte wie Aphex Twin oder Autechre oder natürlich auch Kool Herc und Grandmaster Flash wieder eine ganz neue Tür aufgestoßen, aber was Ringo Starr, Lennon, McCartney und Harrison damals entwickelt haben, ist für mich nach wie vor die größte Sensation in der Geschichte des Pop. Manchmal fahre ich hier in Hamburg ganz alleine mit dem Fahrrad die legendären Beatles-Stationen ab: vorbei am Indra, am Kaiserkeller, am ehemaligen Stern-Kino und Star-Club usw…

Was hat Hamburg, was New York nicht hat?
Sven Kacirek: Udo Lindenberg, Ruud van Nistelrooy und den Jaffe-Davids-Kanal

Würdest du dennoch bei deiner New-York-Erfahrung der Sinatra-Sentenz »If I can make it there, I can make it anywhere« zustimmen?
Sven Kacirek: Ich habe New York bei meinem Aufenthalt im Dezember richtig schätzen gelernt. ich hatte bereits im April 2010 mit Hauschka im Poisson Rouge gespielt, musste aber gleich am nächsten Tag wieder nach Hamburg zurück und war daher nur zwei Tage in New York. Im Dezember war ich insgesamt zwölf Tage vor Ort, weil ich nach den Konzerten noch Aufnahmen mit dem Saxophonisten Jason Candler für eine neues Album gemacht habe. Ich hatte zwischendurch etwas Zeit, auch mal zwei Stunden planlos durch Brooklyn zu latschen oder abends ins Stone zu gehen, um mir Konzerte anzuhören. Ich hatte in New York das Gefühl, das meiner Musik ein größeres Interesse entgegengebracht wurde als das oft in Hamburg der Fall ist. In Hamburg konzentriert sich doch sehr viel auf Gitarrenrock und Hip-Hop und für viele bin ich hier nur der komische Kauz, der irgendwie was anderes macht. Es gibt zum Glück Musiker wie Lawrence, Springintgut oder Taprikk Sweezee aber im Vergleich zu Städten wie Berlin oder New York ist Hamburg im kulturellen Bereich schon etwas provinziell. In New York habe ich mich daher deutlich besser aufgehoben gefühlt, aber als Musiker in New York zu überleben ist leider schon recht heftig. Ich denke, da würde ich momentan einfach kaputt gehen. Insofern würde ich schon sagen: If I can make a living as a musician there, I can make it anywhere.

Trotzdem: Traumjob Musiker?
Sven Kacirek: Es ist ein Traumjob, wenn man nie etwas anderes machen wollte und sich auch nach einigen Jahren immer noch jeden Tag auf seine Arbeit freut. Ich habe ohnehin Schwierigkeiten, meine Arbeit als »Arbeit« zu definieren. Wenn meine Freundin sagt: »Ich arbeite so viel« denke ich mir oft: »Aber, ich mache doch nur das, was mir Spaß macht.« Wenn ich den ganzen Tag nicht üben oder aufnehmen kann, fehlt mir etwas und ich fühle mich dann auch schlecht und unausgeglichen.