Yaneqdoten – Wireless Lan

25.08.2011
Foto:Klub7
Yaneq erzählt einen Witz und darüber, wie er diesen Witz erzählt und gibt ganz nebenbei Einblicke in sein kleines Repertoire an Witzen und in seine Versuche als Statist beim Film Fuß zu fassen.

Es war Anfang der Nuller Jahre und Marc Hype hatte Geburtstag. Er feierte in der kleinen Galerie Tristesse Deluxe, die damals noch auf der Schlesischen Straße war. Einige Leute waren gekommen. Neben den Berliner Oldschoolern auch all diejenigen, die damals HipHop oder ähnliches in der Stadt machten und mit ihm befreundet waren. Hundert Leute vielleicht. Ich saß hinten nah der Bar und den Toiletten mit vier Jungs, die ich nicht kannte, und wir unterhielten uns bei Bier und Joints. Irgendwann kam das Thema »Ausländer« auf. Ich war schon gut angetüdelt und angeraucht und stellte nun meinen Ethno-Blick scharf.
»Ach so, ihr seid Türken«, sagte ich und freute mich. »Ich kenn’ ‘nen super Witz!«
Durch die Wolken meines Rausches brach sich jäh die Realität der Situation Raum. Der Sound ging quasi aus und ein Spot richtete sich auf mich. Kein zurück mehr. Das war mir aber auch egal. Mein Leben lang habe ich gerne Witze gehört und sie ebenso gerne weitererzählt und mich dann irgendwann gefragt, wer sich diese Witze alle ausdenkt. Wo kommen die her? Gibt es da Autoren und Redaktionen für? Heißen diese Redaktionen Kneipe? Was sind das für Menschen, die sich Witze ausdenken? Oder schreibt sie gar das Kneipenkollektiv gemeinsam? Die deutsche Form von Oral History also.
Irgendwann dann, kurz vor Hypes Geburtstag, fiel mir einfach so, ohne großes Nachdenken mein erster eigener Witz ein. Keine Ahnung, warum gerade mir als gutem alten, linken Multikulturalisten ausgerechnet ein Türkenwitz einfallen musste, aber so war es nun mal. Zumindest scheinbar. Als kleine Info zum besseren Verständnis der folgenden Pointe sei vorrausgeschickt, dass es die Zeit war als Internet zwar nicht mehr unbedingt, aber Laptops doch noch Neuigkeitswert besaßen.
»Du weißt, was jetzt passiert, wenn der Witz Scheiße ist?«, fragte der eine meiner Gesprächspartner und ich sagte: »Na klar, dann kannste mich boxen. Pass auf: Was ist ein Türke mit ‘nem Laptop?«
Die Jungs dachten ernsthaft nach, Denkmimik in den Gesichtern. Dann sagte der Wortführer: »Keine Ahnung. Kann alles mögliche sein! Ein Dieb?«
»Nein, Mann. Was denkst du was ich hier für Witze erzähle? Ich bin doch kein Nazi!«
»Weiß ich nicht, Alter! Was ist er?«
Ich setzte eine Kunstpause, die vier guckten mich gespannt an und dann droppte ich die Pointe: »Wireless Lan!«
Zwei von ihnen, der Wortführer darunter, packten sich augenblicklich weg vor Lachen, fielen fast von ihren Hockern. Die anderen beiden blieben regungslos sitzen, keine Miene verzog sich in ihren Gesichtern und dann fragten sie, nachdem die ersten beiden ausgelacht hatten, trocken, aber durchaus interessiert: »Was ist das: Wireless?«

Das Tolle an dem Witz ist, dass er als Seismograph des deutschen Apartheidsystems funktioniert.

Das Tolle an dem Witz ist, dass er als Seismograph des deutschen Apartheidsystems funktioniert. Erzählt man ihn einem wohlbehütet aufgewachsenem deutsch-deutschen Mittelklasse-Studenten, der keine deutsch-türkischen Freunde oder Bekannte hat, dann erntet man weder Lachen noch eine klärende Rückfrage. Die lieben Jungs und Mädels wissen einfach nicht, was das türkische »Lan« bedeutet. Und wenn man es ihnen dann erklärt… Aber erklärte Witze halt!
Obwohl, manchmal muss man auch einen Witz erklären. Vor allem den spontanen. Als ich zum Beispiel zum ersten Mal zu meinem Friseur in der Wrangelstraße ging, um mich bei Tarantinos Inglourious Basterds Statisten-Casting in Babelsberg mit schnieker 30er Jahre-Frisur auf Nummer Sicher zu empfehlen, guckte mich Ali ein bisschen geschockt an als ich ihm erklärte, ich bräuchte eine Nazifrisur.
»Nein, nicht Skinhead! So 30er Jahre, hinten hochrasiert und vorne zurückgegelt! Ich will zu einem Casting.«
»Ach so«, sagte er, »das kriegen wir hin!« Und seitdem fragt er jedes Mal, wenn ich zu ihm komme, ob ich wieder einen Nazischnitt wolle. Ich bin dabei geblieben. Bei ihm und bei der Frisur.
Die Rolle habe ich damals nicht gekriegt. »Wieso nicht«, fragte Ali.
»Die haben gesagt, ich sehe nicht deutsch aus! Ich könnte aber vielleicht einen Franzosen geben, am Ende, wenn das Kino in die Luft fliegt.« Aber auch daraus ist leider nichts geworden.

Später sind mir dann noch zwei Witze eingefallen, die nach dem gleichen Muster funktionieren, aber sie haben nicht die gleiche elegant-schlichte Schöhnheit wie Wireless Lan. Sie kommen noch mehr um die Ecke, aber gerade das macht ihren besonderen Charme aus.
Wie grüßen sich zwei heterosexuelle HipHop-Schwuchteln in einem New Yorker Sushi Restaurant?, ist der eine.
Wie nennt man grundsätzlicherweise einen asiatischstämmigen Amerikaner, der die Schnauze von San Francisco voll hat?, der andere.
Da kommt eigentlich keiner drauf. Sehr gute Denker aber haben »Wireless Lan« schon erraten. Das waren aber wirklich nur zwei oder drei in den bald zehn Jahren, die ich den Witz nun schon mit gleichbleibender Begeisterung erzähle.
Falls irgendjemand behaupten sollte, er hätte den Witz schon mal gehört und in Zweifel zieht, dass ich der Schöpfer dieser Perle bin: Er irrt! Wenn ich auf zwei Sachen im Leben wirklich stolz bin, ist es dieser Witz und die Lösung der alten Frage, was zuerst war, das Huhn oder das Ei. Aber die beantworte ich an anderer Stelle mal. Meine Witze jedenfalls, soviel habe ich rausgefunden, entstehen nachts am Tresen.