Yaneqdoten – Komi, KKK, Meese und der alte Sack in Köpenick

18.11.2011
Foto:Klub7
Yaneq erfährt, dass die Nazis einen Ku Klux Klan im Berliner Stadtteil Köpenick gegründet haben und wird Zeuge von Gesprächen zwischen Kunst und Rassismus. Am Ende hat er eine Idee für eine Performance.

Komi war nicht gut drauf, als ich ihn neulich an der Ampel traf. Das sah man ihm schon von weitem an. Er kam gerade aus dem Aldi. Mürrisch blickte er über die Straße.
Ich kam auf dem Bürgersteig auf ihn zu und rief, noch ein paar Schritte von ihm entfernt: »Komi, was los? Schlecht drauf oder was?«
»Ach hör auf, ich bin echt genervt von den Deutschen!«
»Alter, das ist doch nichts Neues! Bin ich schon mein Leben lang.«
»Mann, jetzt haben die sogar einen Ku Klux Klan in Köpenick gegründet!«, sagte er und schüttelte resignierend die Dreads.
»Echt? Spinnen die«, fragte ich, auch halbgeschockt, aber fand zum Glück gleich wieder Haltung. »Was wollen die denn für Nazis sein? Importieren sich den Rassismus jetzt sogar schon aus Amerika? Wir haben doch eine eigene starke rassistische Tradition! Da kann man doch drauf aufbauen! Warum muss man denn jeden Mist aus USA importieren?!«
Ein kleines Schmunzeln legte sich in Komis Augenwinkel, der Rest des gut gebauten schwarzen Mannes blieb unverändert stoisch.
»Die verkaufen sogar Hoodies mit dem KKK-Logo drauf, für 80 Euro.«
»Jetzt reicht’s aber«, rief ich mit freudiger Empörung darüber, dass die blöden Nazis es meinem Zynismus so einfach machen. »Das ist das jüdisch-merkantile Element. Aus jedem idealistischen Ansatz noch Profit schlagen wollen! Das sind doch keine Nazis, Mann! Das ist undeutsch!«
Jetzt lachte auch Komi, schüttelte meine Hand und ging über die Ampel, sich um seine Kinder kümmern.

Speaking of Nazis. Neulich war ich zu einem Essen eingeladen. Und am Tisch sitzt ein sympathisches älteres Ehepaar. Er Anfang der Dreißiger in Hamburg geboren, sie vielleicht zehn Jahre jünger als ihr Mann und aus Tel Aviv stammend. Beide aus der Kunstwelt. Sagen wir mal sie heißen Müller.
»Wenn ich Jonathan Meese performen sehe und dieses Vokabular höre, wird mir ganz anders«, sagte Herr Müller.
»Ja, aber muss man nicht vielleicht in einem Land, dass zwar die Stasigeschichte mit aller Akribie aufarbeitet, aber das jedem Nazi einen Beamtenposten besorgt hat, muss man da nicht so sprechen? Jetzt wo alle tolle Demokraten sind und nicht mehr über die nie aufgearbeitete Vergangenheit reden wollen, weil man endlich eine †ºnormale†¹ Nation sein will«, bot ich an.

»Und dass Kunst eine Diktatur ist und ich ihr Diktator bin, behaupte ich auch schon länger als Meese«, sagte ich.

»Aber wenn Meese kathartisch sein will, muss da mehr hinter sein. In meinen Augen ist er bloß ein Schaumschläger, der sich für seine angebliche Anarchie auch noch bezahlen lässt.«
Seiner Frau war die Technik der Provokation selbst nicht fremd. Sie hatte den Abend über schon öfter gefordert, gewisse Kunstwerke mit dem Flammenwerfer zu bearbeiten und die Künstler auch gleich mit zu liquidieren. Das war in seinem Sarkasmus sehr sympathisch und ich sprang wiederholt von meinem Stuhl auf, um der Dame die Hand zu reichen und zu rufen: »Jawoll, die müssen alle weg, Frau Müller.«
Wir verstanden uns.
»Das sind doch alles leere Phrasen bei Meese«, sagte Herr Müller.
»Und dass Kunst eine Diktatur ist und ich ihr Diktator bin, behaupte ich auch schon länger als Meese«, sagte ich. »Seit bald neun Jahren, seitdem ich die Party Arty veranstalte, nämlich. Nur weil er bekannter ist und mehr Gehör findet! Ich müsste ihn eigentlich mal zum Zweikampf rausfordern.«
»Der brüllt bloß lauter als Sie«, wand Frau Müller ein.
»Man sollte mit Meese einen Lackmustest machen! Am Ende sind seine Performances nur ernst zu nehmen, wenn er die so auch in Tel Aviv bringt. Wenn er es bringt, den Hitlergruß vor einem israelischen Publikum zu performen, ist seine Arbeit echte Kunst und nicht bloß heiße Luft.«

Jetzt wusste ich nicht, wie ich diese Yaneqdote hier rund mache und abschließe, also habe ich mich, Bonvivant der ich bin, einfach ins Flugzeug gesetzt und bin nach Rom geflogen. Man gönnt sich ja sonst nichts.
Die Stewardess begrüßte mich und alle anderen mit ein paar Worten zu viel, war aber so aufmerksam mir den Sitzplatz an der Tür zu geben, damit ich meine langen Gräten strecken konnte. Ich bekam den Sitz ganz links. Ganz rechts saß ein alter Mann, kräftige Statur und vom Idiom her würde ich auf Berliner oder Brandenburger Provenienz schließen. Er trug eine dicke Brille und hatte eine dicke Altemännernase, beige Hose und weiße, dreckige Nike-Turnschuhe. Er redete, genau wie die Stewardess ein bisschen zu viel. Die Flughafenarbeiter in ihren Neonwesten, die vor uns im Eingang standen, um die Tür zu schließen, fragte er, wann denn der Flughafen Schönefeld fertiggestellt werde, was sie mit 2012 beantworten. »Na, ob ditt klappt…«, wollte er sie in ein Gespräch verwickeln, aber sie ließen ihn nicht.
Kaum in der Luft fing der alte Mann an, den Italiener mittleren Alters in unserer Mitte zuzutexten und der Italiener, per se höflicher als der Deutsche unterhielt sich mit ihm über sein Kreuzworträtsel, bis der alte Mann völlig zusammenhangslos davon berichtete, dass die Roma und Sinti, die Sarkozy letztes Jahr aus Frankreich ausgewiesen hat diesen Sommer alle in Berlin gewesen seien. Und dann fing er an Witze zu erzählen.

Jetzt wusste ich nicht, wie ich diese Yaneqdote hier rund mache und abschließe, also habe ich mich, Bonvivant der ich bin, einfach ins Flugzeug gesetzt und bin nach Rom geflogen. Man gönnt sich ja sonst nichts.

»Was ist ein Zigeuner ohne Hände?«
»Ich weiß nicht«, sagte der Italiener auf gutem Deutsch.
»Eine Vertrauensperson!«
Der Italiener lachte. Ich saß da, meinen Balzac-Roman in den Händen und traute meinen Ohren nicht.
»Was ist eine Zigeunerin ohne Schlüpfer«, setzte der alte Mann, durch das freundliche Lachen des Italieners ermutigt nach.
Ich lehnte mich nach Vorne: »Entschuldigen Sie«, sagte ich so laut, dass es auch die Reihen hinter uns gut hören konnten. »Können Sie ihren blöden Naziwitze bitte für sich behalten!«
Der Alte freute sich noch einen Gesprächspartner gefunden zu haben. Seine Augen blitzten auf. »Nein, der Sarkozy…«, wollte er nun mich in eine Diskussion einbinden, aber ich ließ ihn gar nicht erst fortfahren.
»Nein, nicht Sarkozi, Sie kommen hier mit Nazisprüchen an!«
Das saß. Jetzt hatte er mich verstanden. Er schwieg eine lange Minute, in der ich so tat als würde ich cool und gelassen weiterlesen, aber innerlich war ich natürlich voll Adrenalin gepumpt.
Dann sagte er zum Italierner zwischen uns gewandt: »Jetzt muss man sich hier schon als Nazi beschimpfen lassen, nur weil man…«, doch auch der Mittelmann unterbrach ihn jetzt: »Nein, das ist schon nicht ganz falsch, was der Mann gesagt hat«, und er deutete auf mich.
Für den Rest des Fluges hatte ich Ruhe und schmökerte im Cousin Pons.

Mein Vorschlag: Wir siedeln sämtliche Roma Rumäniens, die wollen, in Köpenick an. Aber schön über den Stadtteil verteilt und nicht ghettoisiert, damit sie die Pfeifen vor Ort auch wirklich assimilieren können. Also die Romas die Köpis. Jeder Roma kriegt als Begrüßungsgeschenk einen KKK-Hoodie. Dann binden wir den alten Nazi-Sack in eine Battle-Performance mit Meese ein und veranstalten das ganze beim KKK im Vereinsheim. Mal sehen, wer dann was zu lachen hat. Da ich Meese generell sympathisch finde, habe ich schon meinen Favoriten. Lass den alten Sack bluten, Jonathan!